Die Geschichte der Gottschee
14.
Jahrhundert
Dr. Erich Petschauer, 1980
Aus dem
"Jahrhundertbuch der Gottscheer"
Die Grafschaft Ortenburg verfügte seit geraumer Zeit über ein
Verwaltungszentrum, das den jeweils regierenden Grafen bei der
geordneten Wirtschaftsführung zur Verfügung stand. Der Sitz des
"Lehenhofs" ist unbekannt. Sinngemäß wäre es jedoch gewesen,
Zweigstellen in Spittal an der Dräu und in Reifnitz einzurichten.
Ebenso zweckmäßig und organisatorisch vernünftig wäre es gewesen,
den "Lehenhof" unter der Leitung eines Mitgliedes des Hauses
Ortenburg zunächst mit der Prüfung der grundlegenden Voraussetzungen
für das Siedlungsvorhaben zu beauftragen. War der ältere Sohn
Meinharts I., Hermann III., der hierfür geeignete Mann? Allem
Anschein nach, ja. Begründung: Laut gesetzlicher Vorschrift mußte
jede Urkunde von mehreren Zeugen beglaubigt sein. Begreiflicherweise
war die Zeugenschaft der Grafen von Ortenburg infolge ihres hohen
Ansehens beim Adel in Kärnten und Krain gefragt. Nun verschwand ab
1301 die Unterschrift des Junggrafen Hermann aus den Urkunden (jene
seines Bruders Meinhart II. blieb). Von Hermann III. wußte man, daß
er jung heiratete. Seine Gemahlin war eine geborene Gräfin
Hohenlohe. Gewiß wäre es denkbar, daß er ihr in einen anderen Teil
des Reiches folgte, ebensogut konnte er jedoch mit Zustimmung seines
Großvaters vom Vater den Auftrag zur Vorbereitung der Kolonisation
des noch namenlosen Urwaldes erhalten haben.
An diesem Auftrag, änderte der Tod des Großvaters (1304 in Laibach)
kaum etwas. Hingegen hatte er vermögens-rechtlich für die Grafschaft
Ortenburg tiefgreifende Folgen: Die Söhne und Erben Friedrich II.,
Meinhart I., Otto V. und Albrecht II., teilten die Grafschaft unter
sich auf. Meinhart, der außerordentlich tatkräftige Erstgeborene,
fertigte seine Brüder mit den Lehensgütern in Kärnten und Steiermark
ab und behielt die Lehenschaften in Unterkrain für sich. Meinhart
war seinem Wesen nach ein Kriegsmann. Er hatte von seiner Mutter,
einer Gräfin von Görz, das heftige görzische Temperament und
betätigte sich mit Vorliebe als "Schwert Aquilejas". Trotzdem würde
man ihm Unrecht tun, wollte man ihn außerhalb des Gesamtbundes der
Ortenburger, das Türk auf Seite 13 entwirft, stellen: "Stolze
Ritter, Kirchenfürsten, kluge Rechner und Ratgeber, wohl auch
zeitweilig Verschwender, kühne Degen, dem höchsten Adel verwandt und
verschwägert, Beschützer des Patriarchats Aquileja und gefürchtete
Condottieri gegen die Republik Venedig".
Mit diesem großartigen Kärntner Adelsgeschlecht haben wir nun
bereits den Vorhof der Besiedlungsgeschichte des Gottscheerlandes
betreten: Es ist Absicht, daß noch nicht von einer deutschen
Besiedlung die Rede ist.
Im Weiterschreiten treffen wir auf die erste Urkunde, die indirekt
bestätigt, daß das Siedlungsunternehmen begonnen hat. Die
Geschichtsschreibung über Gottschee hat sie lediglich registriert,
ohne sie in die Gesamtsituation Kärntens und Krains am Beginn des
14. Jahrhunderts zu stellen und dadurch zum Reden zu bringen. Diese
ist
gekennzeichnet durch zahlreiche Neugründungen von Dörfern, Märkten
und Städten, womit eine weitgehende Umschichtung der Bevölkerung
Unterkrains eintrat. Modern ausgedrückt: Die Arbeitsmarktlage war
angespannt. Die Anziehungskraft der Städte mit ihrem Lockruf:
"Stadtluft macht frei!" wuchs von Jahrzehnt zu Jahrzehnt und mit ihr
die Abneigung gegen Schwerstarbeiten, wie etwa das Roden eines
Urwaldes. Die Bauernbefreiung war unendlich langsam vor sich
gegangen, aber hundert Jahre vorher hätte ein Grundherr seine Bauern
noch zwingen können, die Tortur des Rodens einer solchen Wildnis auf
sich zu nehmen. Nun nicht mehr!
Bei der besagten Urkunde handelt es sich um den sogenannten
Friedensschluß von Laibach zwischen den Grafen von Ortenburg und den
Herren von Auersperg im Jahre 1320. Herzog Heinrich II. von Kärnten
aus dem Hause Görz, Tirol, hatte die beiden verfeindeten
Geschlechter wegen Landfriedensbruchs vor ein adeliges
Schiedsgericht gestellt. Aus dem Schiedsspruch gehören nur die
Punkte1l, 3 und 4, zitiert nach Tangl, Band 1, Seite 113, hierher:
1. Aller Krieg soll aufhören.
3. Alle Gefangenen sollen endlich ledig sein. Wer aber vor dem
Frieden für seine Freilassung eine Geldsumme versprochen hat, soll
diese bezahlen.
4. Leute, die von den Gütern der Herren von Auersperg auf Güter der
Grafen gezogen sind, sollen wir (die Grafen von Ortenburg, ziehen
lassen.
Die sorgfältige, zeitbezogene Auslegung der Urkunde von 1320 fördert
eine Anzahl bisher unbeachteter, doch außerordentlich wichtiger
Gesichtspunkte zur Besiedlung des Gottscheerlandes zutage: Schon der
Vorspruch stellt eindeutig klar, wer der Angreifer war. Er beginnt
mit den Worten: "Graf Meinhart von Ortenburg bekennt, daß er unter
Beistimmung seiner Söhne Hermann und Meinhart zur Beilegung der
Fehde zwischen ihnen und Volker und Herbard von Auersperg .. . den
Schiedsspruch der einzeln aufgeführten adeligen Richter anerkennt."
Ferner ist festzustellen, daß Graf Hermann III. von Ortenburg 19
Jahre nach seinem Verschwinden aus den Urkunden zum erstenmal wieder
auftaucht. Dies könnte nicht der Fall sein, wenn er sich nicht in
Krain befunden hätte. Wir sehen darin eine Bestätigung für die
Annahme, daß er mit der Vorbereitung des Siedlungsunternehmens
beauftragt war. Im einzelnen läßt sich die Urkunde von 1320 dazu
folgendermaßen in Beziehung setzen:
Zu Punkt 1.: Ortenburg und Auersperg hatten in Fehde gelegen. Sie
war so heftig und so ausgreifend, daß der Herzog gezwungen war, sich
einzuschalten. Die ersten Scharmützel fanden spätestens 1316 statt.
Aus anderen Quellen wissen wir, daß der Görzer Graf Heinrich II. den
Auerspergern zu Hilfe gekommen war, was den Schluß zuläßt, daß die
Ortenburger sich in der Übermacht befanden.
Zu Punkt 3.: Ortenburg hatte Auersperg'sche Kriegsgefangene nicht
zurückgegeben.
Zu Punkt 4.: Ortenburg hatte von Auersperg'schen Gütern Leute unter
Versprechungen weggelockt, also "abgeworben", wie man heute sagen
würde und auf eigenen Gütern eingesetzt. Um welche ortenburgische
Güter konnte es sich dabei nur handeln? Wohl kaum um die
Lehenschaften in Unterkrain, die von den Grafen bereits seit bald
200 Jahren bewirtschaftet wurden. Das landwirtschaftliche
Arbeitsvolk auf ihren Gütern ergänzte sich von Generation zu
Generation auf ganz natürliche Weise. Woher aber kam der so
beträchtliche Mangel an Arbeitskräften, daß sich Graf Meinhart diese
auf seine Weise beim Nachbarn holte, nämlich mit Gewalt? Er mußte
seinerseits unter so starkem Druck gestanden haben, daß er das
Risiko einer unabsehbaren Fehde einging. In der Tat stand der wilde
Graf aus Oberkärnten vor ernsthaften, finanziellen Problemen. Gewiß,
er war kein armer Mann, doch alles, was er unternahm, kostete sehr
viel Geld, seine aufwendige Lebensführung, seine Feldzüge mit einer
kleinen Privatarmee zum Schutz des Patriarchenstaates. Sein Amt als
Landeshauptmann in Krain, das er seit 1307 innehatte, erforderte
ebenfalls einen nicht unerheblichen Aufwand. Vor allem aber erwies
sich die Kolonisation des Urwaldes als ein außerordentlich
kostspieliges Unternehmen, das zunächst nichts einbrachte, dem er
aber nicht ausweichen konnte.
Die Urkunde von 1320 berichtet uns also, daß Meinhart bereits vor
1315 das Siedlungswerk in Unterkrain begonnen haben muß und daß sein
Sohn Hermann III. die langwierige Planung und siedlungstechnische
Vorbereitung durchgeführt hat. Sie gibt jedoch auch über die
Herkunft der ersten Siedler eine einwandfreie Auskunft: Sie stammten
zu Beginn von den Lehenschaften der Ortenburger selbst, und als ihr
eigenes Menschenreservoir erschöpft war, griffen sie auf Leute des
Nachbarn zurück. Im übrigen hielt sich Graf Meinhart nicht an den
Schiedsspruch von 1320. Am Dreikönigstag des Jahres 1326 erging von
einem neuen Schiedsgericht ein ähnlicher Spruch wie sechs Jahre
zuvor.
Schließlich klärt die Laibacher Urkunde von 1320 auch noch die oft
gestellte, aber nie befriedigend beantwortete Frage nach der
Herkunft der slowenischen bzw. slowenisch klingenden Ortsnamen in
den Randgebieten der Sprachinsel: Sie stammten in der Hauptsache von
den Kolonisten aus den ortenburgischen und auerspergischen
Lehensgebieten, vor allem von den Zugehörungen der Lehen Reifnitz,
Ortenegg, Zobelsberg und Hohenwarth, die den Ortenburgern gehörten,
und der auersperg'schen Schlösser Oberhaus und Unterhaus. Die
erwähnten Güter lagen dem Urwald - wie gesagt, eine Zugehörung von
Reifnitz - am nächsten. Bei dem Mangel an Menschen, die für das
überaus schwere Rodungswerk zur Verfügung standen, blieben die
ersten Siedlungen am Rande des Waldes, namentlich am Ostrand, klein.
Sie besaßen offensichtlich infolge ihrer ungünstigen Lage keine
Anziehungskraft und erhielten keinen weiteren Zuzug. Das
Hauptgewicht des Siedlungsunternehmens verlagerte sich sehr bald an
den Nordrand des Urwalds. Was ging hier vor?
Diese Frage läßt sich allerdings mit logischen Schlußfolgerungen aus
dem Laibacher Friedensschluß von 1320 zwischen Ortenburg und
Auersperg nicht mehr beantworten. Die bisherige Geschichtsschreibung
hat sich ohnehin nicht auf die Besiedlungsgeschichte des
Gottscheerlandes bezogen, sondern sie für eine aus Unverträglichkeit
entstandene Fehde gehalten. Alle Autoren ließen die
Besiedlungsgeschichte des ortenburgischen Urwaldes im Jahre 1339
beginnen. Es bestehen keine aussagefähigen Urkunden für die Zeit
zwischen 1320 und 1339 zur Verfügung. Um diesen für das Entstehen
der späteren Sprachinsel ungemein wichtigen "stillen Zeitraum" zu
überbrücken, muß man nach einer anderen stichhaltigen Lösung suchen.
Die ergab sich aus der folgenden nüchternen Überlegung:
Schon der gesunde Hausverstand sagt uns heute noch, daß es undenkbar
war, planlos Menschen in die Wildnis zu schicken und dann von ihnen
zu erwarten, daß sie, allein auf sich gestellt, die ungeheure
körperliche und seelische Belastung der Urwaldrodung durchstehen.
Die Ortenburger bereiteten das Unternehmen vielmehr so vor, wie es
die natürlichen Voraussetzungen geboten. Da es sich um ein rein
wirtschaftliches Unternehmen handelte, erwarteten sie
selbstverständlich mit der Zeit einen Ertrag. Er war nur zu
erreichen, wenn man der menschlichen Arbeitskraft diese
Voraussetzungen in der entsprechenden Aufbereitung anbot. Das heißt,
es mußte Übereinstimmung bestehen zwischen der Geländeform für die
Anlage von Dörfern bei gleichzeitig entsprechender Humusschicht für
den Anbau von Feldfrüchten und die Ausbildung von Wiesenanteilen,
sowie das Vorhandensein natürlicher, möglichst ganzjährig fließender
Quellen, die durch das Abholzen großer Waldflächen voraussichtlich
nicht versiegten. Es wäre ein Irrtum, anzunehmen, daß die Menschen
damals nicht an diese Dinge dachten.
Man mußte sich also erst einmal wenigstens einen ungefähren
Überblick verschaffen, wo und in welcher Größe Ansiedlungen Erfolg
versprachen. Natürlich dürfen wir uns diese Vorbereitungsarbeiten
nicht so vorstellen, daß einige Geometer an Hand von Kartenskizzen,
begleitet von Gehilfen und ausgerüstet mit Kompassen und anderen
technischen Hilfsmitteln, das Land durchstreiften. Das gab es noch
nicht. Die einzigen Hilfsmittel für die Orientierung waren das Auge
und der gesunde Hausverstand.
Bevor sich Graf Hermann und seine Helfer ein Gesamtbild des
Besiedlungsgebiets machen konnten, mußten sie es vor allem anderen
verkehrsmäßig erschließen. Nicht so, daß sie Straßen im heutigen
Sinn anlegten, sondern mehrere Bautrupps schlugen primitive Steige
in die Wildnis, um den Bodenprüfern und Wassersuchern buchstäblich
den Weg zu bahnen. Die Vermutung liegt nahe, daß sie sich dabei
eines bereits vorhandenen, durch das Haupttal laufenden Saumpfades
bedienen konnten. Er taucht bei mehreren Autoren auf. Betrachtet man
die Oberflächengestalt des Gottscheer Hochlandes und berücksichtigt
man seine geographische Lage zwischen dem mittleren und nördlichen
Krain - ja, auch Kärnten muß man einbeziehen - und dem Kulpatal mit
den großen Siedlungen Tschernembl und Möttling, so kann es keinen
Zweifel mehr geben, daß der mittelalterliche Handel den Urwald auf
seine verkehrsmäßige Durchlässigkeit überprüft und eine
Nord-Süd-Abkürzung hindurchgelegt hat. Diese Bemerkung ist wiederum
nicht so zu verstehen, daß sich einige interessierte Städte oder
Einzelgeschlechter zusammentaten, um diesen Saumweg gemeinsam
anzulegen. Irgendwann einmal haben einzelne begonnen, einen Weg
durch das Dickicht zu finden. Führen wir den Gedanken zu Ende: Der
Saumpfad, der sicher nicht zuletzt dem Salztransport diente, kann
nur von Reifnitz über die späteren Ortschaften Gottschee, Obermösel,
Graflinden und Unterdeutschau gelaufen sein, womit bereits Richtung
und Verlauf der späteren Hauptverkehrsader des Gottscheerlandes
festgelegt war.
Die Oberflächengestalt des vorzubereitenden Siedlungsgebietes
erzwang noch zwei weitere unerläßliche Maßnahmen: Die Besiedlung
mußte sich wegen der äußerst verkehrsungünstigen Lage der östlichen
Hälfte des Urwaldlehens auf den Westteil der späteren Sprachinsel
konzentrieren. Zum anderen war es organisatorisch notwendig,
Besiedlungsmittelpunkte zu schaffen, von denen aus die weiteren
Dörfer strahlenförmig entwickelt wurden, keinesfalls alle auf
einmal, sondern je nach der Verfügbarkeit von Kolonisten, Vorräten
an Lebensmitteln, Saatgut und Vieh. Eines ist ganz sicher: Die
Siedler haben keineswegs ihre Erstausstattung in Hülle und Fülle
erhalten.
Die Besiedlungsmittelpunkte sind heute noch erkennbar. Sie waren
sorgfältig ausgewählt und echte Mittelpunkte der Teillandschaften
des Gottscheerlandes. Sie lagen so verkehrsgünstig wie möglich.
Würde man heutzutage einem Landschaftsplaner die Aufgabe stellen,
sie zu setzen, könnte er sie nicht günstiger einordnen als die
Planer der Grafen von Ortenburg. Es wird sich zeigen, daß sie aus
der Rolle der Besiedlungsmittelpunkte hineinwuchsen in die Aufgaben
von Verwaltungs- und Wirtschaftszentren, im 19. Jahrhundert aber der
ersten Schulorte. Jeder Gottscheer, der seine alte Heimat
einigermaßen kennt, ist ohne weiteres in der Lage, sie nun
aufzuzählen. Sie heißen von West nach Ost: Rieg, Gottschee-Stadt,
Mitterdorf, Altlag, Obermösel, Nesseltal und Tschermoschnitz.
Um den ortenburgischen Urwald gewissermaßen aufzubrechen, bedurfte
es besonderer Menschen. Man konnte dazu nur junge, gesunde und mit
der Landwirtschaft vertraute Bauernsöhne gebrauchen. Solche Leute
aber liefen nicht scharenweise herum, zumal die Städte und Märkte
lockten. Die ersten, mit Ochsengespannen befahrbaren, Wege mußten
zwangsläufig zu den Besiedlungsmittelpunkten angelegt werden.
Mit den geschilderten Maßnahmen allein war es jedoch nicht getan.
Das größte organisatorische und finanzielle Problem muß die
Verpflegung und Unterbringung der Erstkolonisten und ihrer Familien
gewesen sein, bis sie sich aus eigener Ernte ernähren und die
Kältemonate in einer eigenen Behausung überstehen konnten.
Auszugehen ist davon, daß eine Siedlerfamilie oder -gruppe
bestenfalls in dem dritten Sommer nach der Landzuweisung mit einer
ausreichenden Ernte auf den Feldern und Wiesen rechnen konnte. Der
nicht geringe Anfangsbedarf an Nahrungs- und Futtermitteln, Saatgut
und Wohnraum war für die Grafen, bzw. ihre Mitarbeiter, schon im
Stadium des Planens und Überlegens voraussehbar. Sie standen vor der
Wahl, ihn aus den eigenen Lehensgebieten in Unterkrain zu decken, d.
h. mit Ochsengespannen heranzukarren, oder den Besiedlungsvorgang
dergestalt zu organisieren, daß das Unternehmen sich unter ständiger
Kontrolle des Zuzugs an Kolonisten ernährungsmäßig soweit wie
möglich selbst versorgte. Aber wie?
Man benötigte im Anfangsstadium des Siedlungswerks also eine ständig
verfügbare, den Bedürfnissen der Kolonisten angepaßte
Versorgungsbasis, bestehend aus lagerfähigen landwirtschaftlichen
Erzeugnissen. Der erste organisatorische Arbeitsgang mußte daher die
Schaffung entsprechender landwirtschaftlicher Betriebe sein, anders
ausgedrückt, man mußte zuerst Versorgungsdörfer anlegen, die jedoch
zugleich bereits Bestandteil des Siedlungsunternehmens waren. Als
hierfür am besten geeignet bot sich das spätere Oberland an. Hier
war der geringste Widerstand des Waldes und der Geländeform zu
überwinden, die Rinse aber stellte den Wasserbedarf für Mensch und
Tier während des ganzen Jahres sicher.
All das bedeutet: Die Besiedlung des Gottscheerlandes in größerem
Stil begann am Nordrand des ortenburgischen Urwaldlehens. An dieser
Stelle wird auch erkennbar, wozu Graf Meinhart auf unlautere Weise
Arbeitskräfte, sprich: Siedler, an sich zog. Im späteren "Oberland"
lagen "die Güter der Grafen", von denen in der Laibacher Urkunde aus
dem Jahre 1320 die Rede ist, und die beiden Urkunden von 1320 und
1326 erlauben uns nun die weitgehend sinnvolle, zeitliche
Eingrenzung des Siedlungsbeginns im Oberland. Mithin ist nicht mehr
und nicht weniger gesagt, als daß die Rodung, Besiedlung und
landwirtschaftliche Aufbereitung des Oberlandes in der Hauptsache
zwischen 1315 und 1325 - es mögen einige Jahre vorher und nachher
dazugekommen sein - stattgefunden haben. Die notdürftige planerische
und verkehrsmäßige Erschließung des Urwaldinnern dürfte gleichzeitig
erfolgt sein.
Ein Wort noch zur Stamm- bzw. Volkszugehörigkeit der in diesem
Anfangsstadium der Hauptbesiedlung eingesetzten ortenburgischen
Kolonisten. Sie entstammten in ihrer großen Mehrzahl der
unterkrainischen Grundbevölkerung. Diese aber war zu Beginn des 14.
Jahrhunderts noch gemischtsprachig, das slowenische Element
herrschte jedoch vor. Von einem "Nationalbewußtsein" im Sinne des
19. und 20. Jahrhunderts kann jedoch noch keine Rede sein. Die
Slowenen verfügten ebensogut über die wenigen, für den Alltag
erforderlichen deutschen Ausdrücke, wie die Deutschen umgekehrt.
Eine der Landbevölkerung zugängliche Schriftsprache gab es weder auf
der einen noch auf der anderen Seite.
Wenn wir nun versuchen, die im genannten Zeitraum gegründeten
Ortschaften aufzuspüren, so kommt uns der Umstand zu Hilfe, daß die
Kolonisten schon damals ihre Siedlungen des öfteren mit Ortsnamen
aus der Heimat, auf jeden Fall aber in ihrer Muttersprache,
belegten. Welche Dörfer können das gewesen sein? Eindeutig erkennbar
sind heute noch Windischdorf (die Erläuterung dazu erfolgt an
anderer Stelle), von slowenischer Seite wird Mitterdorf genannt
(siehe Simonie, Seite 8), ferner ist Malgern mit aller
Wahrscheinlichkeit von "Mala Gora" = kleiner Berg, abgeleitet,
Kletsch ist zweifelsfrei slawischen Ursprungs, der Ortsname Seele
stammt mit ziemlicher Sicherheit vom slowenischen Sela = Dorf. In
diese Reihe gehört schließlich die Ortsbezeichnung "Gottschee". Wir
werden uns damit noch ausführlich zu beschäftigen haben.
Hier sei nur noch angefügt, daß die Grafen von Ortenburg an der
Ostflanke des Urwalds wenig Glück mit den kleinen Randsiedlungen
hatten. Zu einem Besiedlungszentrum, insbesondere bei der späteren
Binnenkolonisation, entwickelte sich lediglich Tschermoschnitz. Ein
weiterer Vorstoß in das Innere des Waldes erfolgte im westlichen
Teil mit Göttenitz, ursprünglich wahrscheinlich Gotenica. Über die
Besiedlung der westlichsten Hochtalfurche, des Suchener Beckens,
wird zu gegebener Zeit ein eigenes Kapitel berichten.
Schlußfolgerung aus der Urkunde von 1320: Der eigentlichen,
deutschen Besiedlung des Gottscheerlandes geht eine vorbereitende
Kolonisationsphase mit gemischtsprachigen, überwiegend slowenischen
Siedlern voraus. Sie litt unter Menschenmangel. Gerade der
Ortsnamenvergleich ergab, daß die erste Besiedlungsphase nicht
unvermittelt abbrach, etwa weil plötzlich große Siedlerscharen aus
Oberkärnten und Osttirol nach Unterkrain strömten, um den
ortenburgischen Urwald in Besitz zu nehmen, oder weil nach ihnen 300
fränkisch-thüringische Familien mit dem gleichen Ziel im Auge
angereist kamen. In mehrjähriger intensiver Beschäftigung mit dem
Stoff Gottschee hat sich beim Autor vielmehr die Meinung
herausgebildet, daß die beiden Phasen organisatorisch und weitgehend
auch menschlich ohne Bruch ineinander übergingen, bis die
Beteiligung unterkrainischer Kolonisten ganz aufhörte. Er glaubt
vielmehr, den fließenden Übergang durch die neuartige Auslegung von
Urkunden, Heranziehung von Ereignissen und Entwicklungen sowie die
Skizzierung eines Zeitbildes belegen zu können.
Der zweite Schiedsspruch gegen Meinhart und seine Söhne von 1326
beweist, daß Ortenburg beim Kärntner Herzog in Ungnade gefallen war.
Dieser konnte wohl auch beim besten Willen nicht dulden, daß sich
der Landeshauptmann in Krain persönlich des wiederholten
Landfriedensbruchs schuldig machte. Die unmittelbar betroffenen
Auersperger, die ja am herzoglichen Hof in St. Veit an der Glan als
Ministerialen tätig waren, dürften nachgeholfen haben. Meinhart
mußte daher, wollte er sich die Gunst des Herzogs nicht vollends
verscherzen, seine Fehden einstellen. Andererseits mußte die nun
einmal begonnene Urwaldbesiedlung weitergehen, sollte der bis dahin
entstandene Aufwand nicht umsonst gewesen sein. Mithin mußte
Meinhart versuchen, auf friedliche Weise Kolonisten heranzuschaffen.
Der nächstliegende Gedanke war, seinen jüngeren Bruder Otto um die
Beistellung von Siedlungswilligen zu ersuchen. Otto hatte ja bei dem
Teilungsvertrag nach dem Tode des Vaters die ursprüngliche
ortenburgische Grafschaft in Oberkärnten erhalten. Der
Teilungsvertrag, dessen genaues Datum unbekannt ist, war nicht etwa
der Ausgangspunkt zu einem schweren familiären Zerwürfnis, trotzdem
dürfte Otto von dem Angebot Meinhards nicht begeistert gewesen sein.
Wie die weitere Entwicklung zeigte, stimmte er jedoch schließlich
zu.
Die ortenburgischen Werber trafen in der Oberkärntner Landschaft,
vor allem im Möll- und Lesachtal, aber auch im Pustertal und in den
Osttiroler Seitentälern nördlich der Drau, auf eine bedeutend
wachere Bereitschaft, in einer anderen Landschaft des Herzogtums
Kärnten neu anzufangen, zumal die in Aussicht gestellten
Ansiedlungsbedingungen außerordentlich günstig zu sein schienen. Die
letzten Wanderzüge zur Besiedlung noch unerschlossener Gebiete lagen
bereits ziemlich weit zurück. So waren vor allem Menschen aus dem
weiteren Spannungsbereich des Freisinger Eigenklosters Innichen
unter anderem an der Gründung der Sprachinsel Deutsch-Ruth und Zarz
in Oberkrain beteiligt. Seine endgültige Ausdehnung erfuhr Zarz
allerdings erst durch weiteren Zuzug in der zweiten Hälfte des 13.
Jahrhunderts. Die Volksinsel, zahlenmäßig kleiner als Gottschee,
verschwand im Laufe des 19. und in den ersten Jahrzehnten des 20.
Jahrhunderts. Die Mundart, dem Gottscheer Dialekt nicht zufällig
nahverwandt, hielt sich als Haussprache bis ins 20. Jahrhundert, ist
aber nun ausgestorben. Ihr Wortschatz und ihre Grammatik konnten
glücklicherwelse für die Wissenschaft noch gerettet werden.
Um 1280 tauchen die Namen zweier weiterer, aus dem Pustertal
besiedelter Sprachinseln auf: Zähre und Pladen. Sie liegen in der
Landschaft Karnien auf heute italienischem Staatsgebiet und stellen
ebenso wie Tischlwang unter dem Plöckenpaß nur noch Reste ihrer
ehemaligen Ausdehnung dar. Die vorstehenden Angaben entstammen dem
Buch: "Historische Lautgeographie des gesamtbairischen
Dialektraumes" von Universitätsprofessor Dr. Eberhard Kranzmayer,
Wien, 1956. An gleicher Stelle (Einleitung, 13 bis 15, Seite 5)
schreibt er wörtlich:
"Um 1325 wurde schließlich vom tirolerisch-kärntnerischen
Grenzgebiet aus das große Bauernland Gottschee mit seiner
gleichnamigen Hauptstadt kolonisiert. Gottschee wurde vor eineinhalb
Jahrzehnten ausgesiedelt".
Hier stehen wir nun am Beginn der deutschen Besiedlung des
Gottscheerlandes. Bei der ungefähren Zeitangabe "um 1325" befindet
sich Professor Kranzmayer in Übereinstimmung mit Hugo Grothe, der
ohne Zuhilfenahme der Laibacher Urkunde von 1320 bzw. 1326 durch
eine plausible Schätzung zu dem gleichen Ergebnis kam. Wir würden
jedoch das tatsächliche Geschehen um die Werbung von Siedlern für
Gottschee grundlegend falsch beurteilen, nähmen wir an, daß "um
1325" in dem "tirolerisch-kärntnerischen Grenzgebiet" ein großer
Aufbruch von Siedlungswilligen in Richtung Krain erfolgte.
Historisch ebenso fehlerhaft, weil rein spekulativ, wäre die in das
14. Jahrhundert zurückprojizierte Erwartung, daß ganze Dörfer dem
Ruf ihres Grundherrn, des Grafen von Ortenburg, gefolgt sind.
Logisch ist vielmehr die Überlegung, daß nicht jedermann für die
Urwaldrodung in Betracht kam. Von vornherein schieden die Alten aus.
Die "Holden", das heißt, die mit dem Grundherrn traditionell und in
bewährter Weise verbundenen Bauern, hatten in der Regel keine
Veranlassung, sich nach einer anderen Heimat umzusehen. Angesprochen
wurden in erster Linie nicht erbberechtigte Bauernsöhne und
-töchter, für die wenig Aussicht bestand, einmal einen eigenen Hof
bewirtschaften zu können. Auch Knechte und Mägde wurden sicher nicht
abgewiesen, sofern sie den Anforderungen in gesundheitlicher und
arbeitsmäßiger Hinsicht entsprachen. Alle Siedlungswilligen, die
natürlicherweise eine gewisse Auslese darstellen mußten, verband
eine gemeinsame Hoffnung: ein freieres, besseres Leben zu finden.
Wir müssen uns auch von der Vorstellung freimachen, daß die
angeworbenen Siedler die Vorbereitungen für die große Fahrt nach
Süden binnen kürzester Zeit trafen. Sie können auch hinsichtlich
ihrer geistigen Beweglichkeit mit Bauern des 19. und 20.
Jahrhunderts nicht verglichen werden. Sie waren arm, das
Auswanderungsangebot kam überraschend. Die Reise nach Unterkrain war
bei den schlechten Wegen des Mittelalters überaus beschwerlich,
überhaupt nur gruppenweise durchführbar und nur in den Sommermonaten
möglich. Nicht jeder der künftigen Kolonisten besaß einen Planwagen.
Man tat sich jeweils zu mehreren zusammen, um den geringen Hausrat
auf einem Gemeinschaftsgefährt zu verladen. Es würde uns nicht
schwerfallen, die wochenlange Fahrt über Pässe und Flüsse weiter
auszumalen, um darüber nachzudenken, welche Marschroute allein
gangbar gewesen sein kann. Wir begnügen uns hier jedoch mit der
Feststellung, daß die neuen Kolonisten über weite Teile des
Oberlandes verstreut angesiedelt wurden. Vermutlich haben diese
ersten Gruppen von Oberkärntner Ansiedlern mit Zustimmung des
Ansiedlungsstabes bereits außerhalb des späteren "Ländchens"
haltgemacht und unter anderem die Ortschaften Treffen und
Deutschdorf gegründet. Der Ortsname "Treffen" kann gut und gerne auf
Burg und Dorf Treffen bei Villach zurückgehen. Dieser Platz war den
Ortenburgern als Privatbesitz des jeweils regierenden Patriarchen
wohlvertraut. Schon Ulrich I. (1086 bis 1121) hatte dem Stuhl von
Aquileja "Treffen" geschenkt. Den Namen "Deutschdorf" dürften die
slowenischen Bewohner der Umgebung gefunden haben, denn dieses Wort
ist eine Rückübersetzung aus dem slowenischen "Nemska vas". Genau
umgekehrt scheint die Ortsbezeichnung von Windischdorf entstanden zu
sein: Vermutlich waren Kärntner Siedler zur Erweiterung eines
bereits bestehenden, mangels Zuzugs jedoch nicht lebensfähigen
Weilers angesetzt. Seine darin lebenden Bewohner waren "windisch",
weil es die Kärntner schon damals gewohnt waren und heute noch sind,
die einen alten slowenischen Dialekt sprechenden Einwohner
Südkärntens als "Windische" zu bezeichnen. Während sich
"Deutschdorf", ebenso wie "Treffen", zu einer slowenischen Gemeinde
entwickelte, wurde "Windisch"-Dorf zu einer rein gottscheerischen
Ansiedlung. - Ohne Zweifel sind in der Übergangszeit zwischen den
beiden Besiedlungsphasen noch weitere, mit Kärntner Kolonisten
besetzte Dörfer entstanden. Vor allem scheinen dies Schalkendorf und
Koflern gewesen zu sein. Gründungsurkunden dieser Ortschaften
besitzen wir allerdings keine.
Es dauerte noch Jahre, bis die erste deutsche Ortschaft urkundlich
erscheint: Mooswald, das in einem Brief des Patriarchen Bertrand vom
l. September 1339 erwähnt wird. In dieser Urkunde genehmigt der
Patriarch dem Grafen die Einsetzung eines Kaplans in der neu
erbauten Kapelle des hl. Bartholomäus bei Mooswald.
Mit der Erwähnung des Briefes vom l. September 1339 sind wir der
allgemeinen politischen Entwicklung in Kärnten und Krain weit
vorausgeeilt. Wir werden den Namen Mooswald erst wieder aufgreifen,
nachdem wir auf die Katastrophe, die menschlich über das Haus
Ortenburg hereingebrochen war, eingegangen sind.
Der Tod hielt reiche Ernte im Hause Ortenburg: Innerhalb eines
Jahrzehnts starben fünf Grafen. Als erster verschied Meinhart 1332 -
nicht etwa im Kampfgetümmel, sondern auf der Stammburg seiner
Vorfahren in Oberkärnten. Sein Ableben wirkte offenbar lähmend auf
das Siedlungsunternehmen in Unterkrain. Man darf nämlich nicht
ausschließen, daß es zwischen den Brüdern Meinharts, Otto und
Albrecht, und den Söhnen des verstorbenen Grafen, Hermann und
Meinhart II., zu erheblichen Meinungsverschiedenheiten wegen der
Weiterführung der Urwaldkolonisation kam, namentlich über die
Finanzierung des Unternehmens. Nicht von der Hand zu weisen ist
ferner, daß Graf Otto V., der ja bis 1332 sicherlich bereits einige
hundert Kolonisten abgestellt hatte, angesichts seiner bereits
erfolgten und zu erwartenden personellen und finanziellen Leistungen
von den Neffen das Recht auf Mitentscheidung am Siedlungswerk
verlangte. Die rechtmäßigen Erben Meinharts I. waren nach dem Tode
ihres Vaters ja Hermann III. und Meinhart II. Mit diesem Verlangen
stieß der kinderlose Otto insbesondere bei dem ebenfalls recht
kämpferischen Hermann auf Widerstand. Nur wenn wir diese Entwicklung
innerhalb der Familie Ortenburg voraussetzen, erklärt sich der
Inhalt zweier weiterer Urkunden vom 24. Juni 1336 über die
Neubelehnung des Grafen Otto mit Schlössern und deren Zugehörung in
Unterkrain durch den Patriarchen Bertrand von Aquileja. Sie stellen
einen Schiedsspruch, besser einen Machtspruch des Kirchenfürsten in
seiner Eigenschaft als Lehensherr der Ortenburger dar.
Was zwang den Patriarchen diese Entscheidung von Villach zu treffen:
Wie wir wissen, setzte der Papst seit 1251 ohne Zustimmung des
Kaisers die Patriarchen von Aquileja ein. Sie residierten bereits
seit 1208 nicht mehr in Aquileja, sondern in Udine.
Mit dem Niedergang der kaiserlichen Macht in Italien ging auch der
Stern des Patriarchenstaates unter. Korruption der Verwaltung,
andauernde Aufstände der Städte und des Adels ruinierten die innere
Ordnung und die Finanzen. Der Staat konnte seinen finanziellen
Verpflichtungen gegenüber dem Vatikan nicht mehr nachkommen. Als
1332 durch den Tod des Patriarchen die Einsetzung eines Nachfolgers
erforderlich wurde, ließ sich Papst Johannes XXII. mit der Ernennung
Zeit, um die Verwaltung in Udine zur Zahlung der Schulden zu
zwingen. Die Sedisvacanz dauerte bis in den Sommer 1334. Während
dieser Zeitspanne ereignete sich in Udine der wohl seltsamste
Vorfall in der Geschichte des Patriarchenstaates: An der Spitze der
staatlichen Verwaltung und der militärischen Führung stand als
verfassungsmäßiger Schutzvogt und Generalkapitän - eine Frau namens
Beatrix. Sie konnte noch keine 23 Jahre zählen, genoß aber
allgemeine Verehrung. Das Volk nannte sie "fanciulla belissima", zu
deutsch ungefähr "wunderschönes Mädchen". Das Parlament von Friaul
lag ihr zu Füßen und wählte sie einstimmig in die beiden hohen
Ämter. Monatsgehalt: 160 Mark in Silber. Beatrix hätte in diesem
Buch keine Beachtung gefunden, wäre sie nicht eine bayerische
Prinzessin gewesen, eine Wittelsbacherin aus der niederbayerischen
Seitenlinie. Sie war an sich keine reiche Partie - ihre Brüder
hatten beim niederbayerischen Volk sogar für ihre Aussteuer
gesammelt - aber immerhin, der 1263 geborene Graf Heinrich II. von
Görz konnte es sich leisten, sie wegen ihrer Schönheit zu heiraten.
Heinrich von Görz starb 1323 und hinterließ einen eben geborenen
Sohn. Wiederum verfassungsgemäß gingen die im Hause Görz erblichen
Ämter des Schutzvogtes und des Generalkapitäns auf diesen über.
Gemeinsam mit dem Herzog von Kärnten wurde Beatrix zur Vormünderin
für das Kind eingesetzt und gelangte auf diese Weise vorübergehend
an die Spitze des Patriarchenstaates. Beatrix heiratete nicht wieder
und litt unter der Herrschsucht ihrer drei Schwäger, lebte - völlig
dem Aberglauben verfallen - eine Zeitlang in Cividale und kehrte
dann nach Landshut zurück, wo sie im Alter von 60 Jahren starb.
Um das Zustandekommen und den Inhalt der Villacher Urkunden und die
Zeit ihres Erscheinens richtig einzuordnen und aus ihr deuten zu
können, empfiehlt es sich, auch noch ein Bild der
allgemein-politischen Lage in Kärnten/Krain in der Mitte der
dreißiger Jahre des 14. Jahrhunderts zu skizzieren. Sie spitzte sich
durch den Tod des Kärntner Herzogs Heinrich II. aus dem Hause
Görz/Tirol am 4. April 1335 dramatisch zu: Herzog Heinrich
hinterließ keinen männlichen Leibeserben. Seine Tochter Margarethe,
genannt "die Maultasch", war nicht erbberechtigt. Aber die
Habsburger hatten vorgesorgt. Bereits 1330, auf dem Reichstag zu
Augsburg, hatten sie Kaiser Ludwig den Bayern dazu überredet, ihnen
das Herzogtum Kärnten zu Lehen zu geben, falls Heinrich ohne
männlichen Leibeserben stürbe. In der erstaunlich kurzen Frist von
vier Wochen hatten sie die Belehnung in Händen. Ludwig der Bayer
vollzog - sicherlich auf Vorschlag der Habsburger - sogar eine
Doppelbelehnung, indem er die Brüder Otto und Albrecht von Habsburg
zu Herzögen von Kärnten ernannte. Otto wurde mit der überlieferten
Zeremonie auf dem Zollfeld als Herzog bestätigt, während sich
Albrecht von den krainischen Ständen und dem Adel huldigen ließ.
Dies tat auch Otto. Seine Huldigung sollte jedoch wohl die Absicht
der Habsburger verdecken, Krain von Kärnten abzutrennen, was dann im
Laufe von anderthalb bis zwei Jahrzehnten ohne Aufsehen geschah. Ein
neues Herzogtum war geboren.
Für den Patriarchen von Aquileja, mithin auch für das
Siedlungsunternehmen der Ortenburger, bedeutete die Machtübernahme
der Habsburger in Kärnten/Krain eine Gefahrenzone erster Ordnung.
Der Papst, den das französische Königshaus Anjou 1309 nach Avignon
in Südfrankreich entführt hatte, begegnete den Habsburgern gleich
seinen Vorgängern mit einem gewissen Mißtrauen. Patriarch Bertrand,
ein ungewöhnlich begabter Politiker und Diplomat, gebürtiger
Südfranzose, hatte vom Papst ganz sicher den Auftrag in sein Amt
mitbekommen, den Habsburgera überall da, wo die Interessen der
Kirche beeinträchtigt schienen, mit den jeweils geeignetsten Mitteln
entgegenzutreten. Bei dem guten Verhältnis der Habsburger zu Kaiser
Ludwig dem Bayern war es nicht auszuschließen, daß sich die
Lehenslandschaft in Krain unvermittelt änderte. Ein Anlaß ließ sich
leicht finden. Verlor aber der Patriarch von Aquileja seine seit dem
Jahre 1077 bestehenden Lehen in Krain, waren sie auch für die Grafen
von Ortenburg verloren. Damit fiel auch das Urwaldlehen in andere
Hände. Durch den Verlust der krainischen Lehen wäre das Haus
Ortenburg auf seine ursprüngliche Grafschaft in Oberkärnten
zurückgeworfen und wirtschaftlich wie hinsichtlich der militärischen
Stärke entscheidend geschwächt worden. Das heißt, das "Schwert
Aquilejas", dessen Schlagkraft durch den Tod des Grafen Meinhart I.
ohnehin schon gelitten hatte, wäre gegenüber der Republik Venedig
und den zerstörerischen Kräften im Patriarchenstaat stumpf geworden.
Hinzu kam, daß schon unter dem Patriarchen Pagano II. zwischen den
Grafen von Ortenburg und dem Patriarchat ein ernsthafter Streit um
das Schloß Laas mit seinen Zugehörungen in Westkrain entbrannt war.
Er drohte das 240jährige Treueverhältnis zu sprengen. Nun auch noch
der Familienzwist im Hause Ortenburg!
Patriarch Bertrand hatte unter den geschilderten Umständen keine
andere Wahl, als das Gesetz des Handelns an sich zu ziehen. Sein
erster Schritt: Er belehnte, das heißt, er beschenkte das Haus
Habsburg mit Schloß Laas in Innerkrain, das Graf Hermann III. von
Ortenburg kurz vorher unüberlegt mit Handstreich abermals in seinen
Besitz gebracht hatte. Damit bewies der Patriarch dreierlei:
1. Er dokumentierte gegenüber Habsburg, vielleicht auch Auersperg,
daß er sich durchaus noch im Besitze der alten Lehen Aquilejas
fühlte und demgemäß darüber nach seinem Gutdünken verfügte. Die
Belehnten konnten indessen das Geschenk schlecht ablehnen, obwohl
sie dadurch zu Lehensnehmern des Patriarchen geworden waren.
2. Mit der Neubelehnung der Habsburger war das Streitobjekt aus dem
Schußfeld entfernt, weil die Ortenburger nunmehr keine Ansprüche
erheben konnten.
3. Die Grafen mußten außerdem zur Kenntnis nehmen, daß der Patriarch
notfalls auf sie keine Rücksicht nahm.
Aus den weiteren politischen Maßnahmen Bertrands ragt für uns seine
angekündigte Villacher Besprechung vom 24. Juni 1336 mit dem Grafen
Otto V. und dessen Neffen heraus. Es bestehen beträchtliche Zweifel,
ob sie nicht auf Burg Treffen bei Villach, dem Privatbesitz des
jeweils regierenden Patriarchen, stattgefunden hat. Graf Albrecht
II., der jüngste der drei Ortenburg-Brüder, war im Frühjahr
gestorben. Sein Tod erleichterte dem Patriarchen die Neuordnung der
Spitze des Kärntner Grafenhauses. Er ging auch hier energisch vor.
Über die Villacher Zusammenkunft liegen, wie bereits angekündigt,
zwei fast gleichlautende Urkunden vor. Die Geschichtsschreibung über
das Gottscheerland hat auch diese beiden Dokumente lediglich
registriert und nicht näher untersucht, bzw. mit dem
Siedlungsvorhaben der Ortenburger in Beziehung gesetzt. Zugegeben,
der sichtbar gemachte Inhalt scheint nebensächlicher Natur zu sein,
weil er lediglich einen Verwaltungsakt bestätigt, der ebensogut mit
der Unterschrift des Patriarchen von Udine aus hätte erlassen werden
können. Es geht um die Wiederbelehnung eines Lehensträgers, die
immer vorgenommen wurde, wenn entweder dieser selbst oder der
Lehensherr starb. In diesem Falle jedoch ging es für die Gottscheer
Geschichtsschreibung um viel mehr: Bertrand stellte die personelle
Einheit der Führung des Hauses Ortenburg wieder her, indem er Otto
mit den wichtigsten ortenburgischen Lehenschaften in Krain belehnte.
Er setzte sich damit über den wenigstens 25 Jahre zurückliegenden
Teilungsvertrag zwischen Meinhart, Otto und Albrecht ebenso hinweg
wie über die Erbfolge nach dem Tode Meinharts I. An sich hätten
Meinharts Söhne Hermann und Meinhart II. gemäß dem Erbrecht die
Lehen in Unterkrain erhalten müssen. Sie hatten im übrigen das Erbe
bereits angetreten.
Nun zu den beiden Urkunden: Selbst Tangl, der Kärntner
Ortenburg-Autor schlechthin, bemüht sich nicht um ihre
geschichtliche Wertigkeit und Auslegung. Er verzichtet auch darauf,
die lateinisch abgefaßten Urkunden im vollen deutschen Text
wiederzugeben und schreibt auf Seite 161 des II. Bandes seiner
Dokumentation über die Kärntner Ortenburger:
"1336 Juni Villach. Bertrand, Patriarch von Aquileja, belehnt den
Grafen Otto von Ortenburg, seinen Vasallen, und dessen Neffen, die
Söhne der Grafen Meinhart und Albrecht selig, (gemeint ist Albrecht
II.), der Brüder Ottos, mit den Schlössern Ortenegg, Zobelsberg und
Grafenwarth mit allen Zugehörungen, Gerichtsbarkeiten, Rechten und
Nutzungen derselben wie die Grafen von Ortenburg dieselben von
altersher von der Kirche von Aquileja zu Lehen getragen haben."
Professor Grothe zitiert auf Seite 212 den lateinischen Urtext der
zweiten Urkunde wie folgt: "Nr. 2 Urkunde des Patriarchen Ludwig von
Aquileja vom l. Mai 1336.
Nos Ludoicus dei gratia sanctae sedis Aquilegensis patriarcha ad
memoriam aeternam esse uolumus quod ad nostram deducta notitiam,
quod in quibisdam nemoribus seu siluis infra confines curatae
ecciesiae sancti Stephan! in Relffniz nostrae aquilegiensis
dioecesis, et in eius cora seu parochia, quae inhabitabiles erant et
incultae, multae hominum habitationes factae sint et nemora
huiusmodi ac siluae ad agriculturum reducta et non modici populi
congregatio ad habkandum conuenit in quibus quidem locis per
habitantes ibidem, ad honorem dei, et gloriosae virginis matris et
ad consolationem dicti populi et subsequentium atque deuotionis
augmentum, de nouo quaedam ecciesiae construtae sunt videlicet, in
Gotsche, Pölan, Costel, Ossiwniz et Goteniz et una infra confines
curatae ecciesiae sancti Petri in Taimansdorff, videlicet, in
Chrainau etiam dictae nostrae dioecesis de nouo facta, consentiente,
et concedente filio nostro in Christo carissimo spectabili comite
domino Ottone de Ortenburg, in cuius dominio et jurisdictione
territoria esse et consistrere huiusmodi dinoscontur. Nos deuotionem
dicti populi ibidem congregati ut suarum manuum labores manducent
paternis affectibus aduertentes et cupientes animarum ipsorum
proudidere saluti, ut per huiusmodi prouisionem ad deuotionis et
charitatis opera feruertius animentur, supradictio comiti eiusque
haeredibus concedimus nostro et successorum patriarcharum nomine
instituendi et ordinandi in dictis ecciesis sacerdotes ydoneos, per
quos celebrentur diuina, cura animarum exerceatur salubriter,
sacramenta administrentur ecclesiastica et seruiatur laudabiliter in
diuinis. Quorum sacerdotum praesentationen ad dictos comitem sousque
haeredes pro eo, quod in ipsius domino et jurisdictione praedicia
consistunt, spectare decreuimus et uolumus et opsorum confirmationem
in ecciesiis praedictis videlicet Gotsche, Pölan, Costel, Ossiwniz
et Goteniz ad plebanum seu rectorem in Reiffniz et ecciesiae in
Chrainau, ad plebanum seu rectorem in Rattmanstorff, sub quorum
curis et parochiis esse noscuntur, qui quidem sacerdotes, plebanis
praedictis et ipsorum plebibus in omnibus subsint, obediant et
Intendant, ac ipsis reuerentiam debitam exhibeant et honorem quodque
contradictores et rebelles auctoritate nostra ecciesiastica censura
compellant. In quorum omnium testimomum praesentes fieri jussimus
nostri sigilli appensione muniri. Datae in Castro nostro Vtim prima
die mensis Maij sub anno dominicae natiuitatis millesimo
trecentesimo, sexage-simo tertio, indictione prima."
Bemerkenswert ist, daß in beiden Urkunden Reifnitz nicht erwähnt
ist, obwohl ja der Urwald zu seinen Zugehörungen zählte. Eine
Erklärung hierfür ist in der Literatur zur Zeit nicht auffindbar.
Möglicherweise war das Lehen Reifnitz inzwischen Ortenegg
zugeschlagen worden, wo sich zum Zeitpunkt der Belehnung Ottos die
ortenburgische Schlösserverwaltung befand.
Ist es indessen nicht merkwürdig, daß sich der Patriarch nach
Villach bzw. Treffen bei Villach begab, anstatt seinen Vasallen Otto
und dessen Neffen nach Udine kommen zu lassen? Vergab sich der
höchste Kirchenfürst nach dem Papst nicht etwas durch diese Reise?
Kaum! Es scheint, daß er vielmehr ihre Bedeutung durch sein
persönliches Erscheinen auch gegenüber den Ortenburgern
unterstreichen wollte. Für den in schwersten Geldnöten befindlichen
Landesherrn Bertrand - der Patriarchenstaat war nicht nur gegenüber
dem Vatikan, sondern auch den Bankiers in Padua hoch verschuldet -
war es nicht zuletzt aus finanziellen Erwägungen von Bedeutung, daß
der Urwald besiedelt wurde. Nur wenn er besiedelt war, brachte er
der Kirche Geld und vermehrte er die den Ortenburgern zu Gebote
stehende Wirtschaftskraft, Menschenzahl wie ihr politisches Ansehen.
Diese nicht wiederkehrenden Möglichkeiten blieben ungenutzt, wenn
das Siedlungsunternehmen nicht fortgesetzt und vollendet wurde.
Unter diesen Umständen können wir uns gut vorstellen, daß Patriarch
Bertrand seinen Vasallen und Lehensträger nachdrücklich angewiesen
hat, die Kolonisation des Urwaldes unverzüglich wieder aufzunehmen.
Graf Otto hatte nun gegenüber seinem Neffen einen wesentlich
leichteren Stand. Wir wissen im einzelnen nicht, wie sich das
Verhältnis zu Hermann III. und Meinhart II. entwickelt hatte und
weitergestaltet hätte, in jedem Falle war es ein schwerer Schlag für
das Haus Ortenburg, daß beide hintereinander in den Jahren 1337
(Hermann III.) und 1338 ( Meinhart II.) kinderlos starben. Von den
Neffen Ottos, die in den Villacher Urkunden andeutungsweise genannt
sind, waren nun noch die Söhne Albrechts II., Ottos VI. und Rudolfs
zurückgeblieben. Ob sie ihrem Onkel bei der Fortsetzung des
Siedlungsunternehmens zur Verfügung gestanden sind, ist urkundlich
nicht belegbar. Es dürfte jedoch außer Zweifel stehen, daß sie dies
als seine dekretierten Erben taten. Vor allem mußte sich Otto VI.
auf die Seite seines Onkels geschlagen haben, da er infolge des
frühzeitigen Todes seiner Vettern vom Schicksal zum Fortpflanzer des
Grafengeschlechts Ortenburg ausersehen war.
Patriarch Bertrand aber hatte durch sein Drängen erreicht, daß die
Kolonisation des Urwaldes zwischen Reifnitz und Kulpa mit vollem
Schwung einsetzte. - Dies beweist der Brief des Patriarchen vom l.
September 1339 an den Grafen Otto V. Für die Geschichtsschreibung
über Gottschee begann das Besiedlungsvorhaben der Grafen von
Ortenburg an diesem l. September 1339. Die Patriarchen von Aquileja
traten in den Hintergrund. Man ging voraussetzungslos ans Werk und
so konnte es nicht ausbleiben, daß Ungereimtheiten und
ausgesprochene Irrtümer wie Fehlschlüsse eintraten. Wir wollen im
folgenden versuchen, sie soweit wie möglich auszuräumen.
In dem lateinisch abgefaßten Dokument vom l. September 1339
genehmigt Patriarch Bertrand dem Grafen Otto die Anstellung eines
Kaplans an der neu erbauten und dem hl. Bartholomäus geweihten
Kapelle bei der " villa Mooswald". Als Begründung für die
Sanktionierung dieser Expositur der Pfarre Reifnitz wird angeführt,
daß man den in großer Zahl zusammengeströmten Gläubigen den weiten
Weg zur Pfarrkirche in Reifnitz ersparen wolle. Auch sollten sie an
Ort und Stelle die Sakramente empfangen und ihre Toten in einem
eigenen Friedhof begraben können. Eine deutsche Übersetzung des
Patriarchenbriefes steht bei Grothe auf Seite 211.
Wie der kurzgefaßte Inhalt der Urkunde lehrt, haben wir es dabei
nicht mit einer siedlungsgeschichtlichen Urkunde, sondern mit einem
kirchlichen Erlaß zu tun, worin begreiflicherweise das Kirchliche im
Vordergrund steht. Man darf darin also keine greifbaren und genauen
Belege über den Stand der Besiedlung, die Herkunft und die Zahl der
Kolonisten bzw. ihre Verbreitung über die Ausdehnung des
Siedlungsgebietes sehen. All das interessierte die Sekretäre des
Patriarchen eben nur am Rande. Insbesondere hätten wir gerne Näheres
über Umfang, Gründungsjahr und Belegschaftszahl der "villa Mooswald"
erfahren. Selbst ein Hinweis auf das Fassungsvermögen der Kapelle
hätte uns bereits einen Anhaltspunkt für Schätzungen geben können.
Bei aller Achtung vor der Ehrwürdigkeit des obigen Dokumentes dürfen
wir nicht davon absehen, es an Hand unserer Forschungsergebnisse neu
zu deuten und zu beurteilen. Wir wollen auch versuchen, es mit der
rauhen Wirklichkeit des 14. Jahrhunderts in Einklang zu bringen.
Woher kommt der Ortsname Mooswald?
Obwohl der Brief vom l. September 1339 auch darüber nichts aussagt,
bewegen wir uns mit der Antwort auf festem Boden. Er kommt ohne
jeden Zweifel aus Kärnten, wo es zwei "Mooswald" gibt, von denen
jedoch nur eines als Patenort für das Mooswald im Gottscheerland in
Betracht kommt. Sie liegen in der Umgebung von Paternion und Spittal
an der Dräu. Die Verbindung zum Siedlungsunternehmen in Unterkrain
ist rasch hergestellt: Paternion und Spittal an der Drau waren im
14. Jahrhundert noch sogenannte Schutzmärkte der Grafen von
Ortenburg. Die direkten Namensüberträger waren mit Sicherheit die
Kolonisten aus dem Mooswald bei Paternion. Begründung: Im
Sichtbereich dieser Ortschaft gibt es die Bergbezeichnung "Nock",
die sonst im deutschsprachigen Alpenraum nur selten zu finden ist,
jedoch - und eben nicht zufällig! - auch in Sichtweite des
gottscheerischen Mooswald auf taucht.
In dem Augenblick aber, da wir fragen, wann dieses Mooswald im
Gottscheer Oberland angelegt worden war, betreten wir
geschichtliches Halbdunkel. Was heißt in diesem Falle "villa"? Übte
Mooswald eine besondere Funktion aus, weil es als einziger Ortsname
auftaucht? Nur eines ist sicher: Es kann nicht erst 1339 entstanden
sein. Dies läßt sich aus der Bemerkung in der Urkunde, daß man den
zahlreichen Gläubigen den weiten Weg nach Reifnitz zum Gottesdienst
und zu den Sakramenten nicht mehr zumuten wolle, schließen. Mithin
waren so viele Menschen zusammengeströmt, daß sie eine neu erbaute
Kapelle tatsächlich füllten. Aber mehr auch nicht, denn der fromme
Otto von Ortenburg hätte das Opfer nicht gescheut, eine Kirche zu
errichten. Der Bau der Kapelle des hl. Bartholomäus bei Mooswald
deutet andererseits darauf hin, daß die "villa" in seinen Plänen
noch eine Zeitlang von Bedeutung sein würde. Keinesfalls jedoch
wären die Kolonisten aus Kärnten in der Lage gewesen, innerhalb
weniger Sommermonate einmal die Übersiedlung aus der alten Heimat in
die neue zu bewerkstelligen, dann den Wald zu roden, das Saatgut
auszulegen, winterfeste Unterkünfte zu bauen und auch noch eine
Kirche zu errichten. Denn das alles mußte bereits geschehen sein,
als die Zustimmung des Patriarchen für die Anstellung eines Kaplans
eintraf. Das ist undenkbar, die "villa" mußte also schon längere
Zeit vor dem September 1339 angelegt worden sein. Der späteste
Zeitpunkt, an dem Mooswald hätte errichtet werden können und müssen,
um im Patriarchenbrief genannt werden zu können, wäre 1337 gewesen.
Dabei ist es fraglich, ob es in zwei Sommern möglich gewesen wäre,
die unerläßlichen Vorbereitungsarbeiten zu leisten und um 1339 zur
Selbstversorgung übergehen zu können. Wenn nicht, wann hätte
Mooswald bzw. die "villa" - dieses Wort bedeutete im
Mittellateinischen etwa "Landgut" oder "Dorf" - zum frühesten Termin
errichtet werden müssen, um im Sommer 1339 bereits eine offenbar
wichtige Funktion ausüben zu können?
Wir kommen dem Zeltpunkt der Gründung Mooswalds näher, wenn wir ihn
mit dem Todesjahr des Grafen Meinart I., 1332, in Beziehung setzen.
Wie wir wissen, starb Ottos älterer Bruder auf der Stammburg ihrer
Vorfahren, wo Otto lebte. Was wollte Meinhart auf der Ortenburg?
Unterhielt er sich mit seinem Bruder wegen des Fortganges der
Urwaldkolonisation? Was sie vielleicht vereinbarten, können wir nur
ahnen. Wenn wir jedoch annehmen, daß sie das für den weiteren
Vorstoß in den Urwald unerläßliche Durchgangs- und Vorratslager
anzulegen beschlossen, dürften wir ganz gewiß nicht einer billigen
Spekulation anheimfallen. Von 1333 bis 1339 war dann genügend Zeit
zum Ausbau des siedlungstechnischen Stützpunktes Mooswald. Wenn man
seine Gründung so frühzeitig ansetzt, wie eben geschehen, war er
imstande, nach Erweiterung des Fassungsvermögens auch den wachsenden
Zustrom seit der Konferenz von Villach aufzufangen und - zu
verteilen.
Stehen denn die Ausdrücke wie Auffanglager, Durchgangslager,
Vorratslager oder gar siedlungstechnischer Stützpunkt nicht im
Gegensatz zur Urkunde von 1339, das heißt, zur Bezeichnung "villa"?
Gewiß, die Frage ist berechtigt. Andererseits ist dieses Wort
verschieden übersetzt worden. Neben "Landgut" trifft man auf Dorf,
Ortschaft, größeres Gehöft. Für uns ist die Übersetzung von "villa"
jedoch nicht das Entscheidende. Wir suchen vielmehr den Platz oder
besser gesagt den Rang, den die "villa Mooswald" im Rahmen der
Deutschbesiedlung des Gottscheerlandes einnimmt. Die oben
verwendeten Ausdrücke sind mit vollem Bedacht gewählt, denn in
Mooswald muß sich der Lenkungsstab befunden haben. Mit ihm gekoppelt
war das Durchgangslager, das die ankommenden Kolonisten bis zu ihrer
Einweisung beherbergte, wozu primitive Unterkunftsräume erforderlich
waren. Zu dem "Landgut" gehörten folglich auch Vorratsräume für
Saatgut und den technischen Verpflegungsbedarf. Ferner mußte
wenigstens notdürftig für das eintreffende Vieh gesorgt sein.
Schließlich gehörte zu dem "Landgut", nicht etwa wahrscheinlich,
sondern bestimmt, eine Landwirtschaft, die von einer Anzahl Bauern
betrieben wurde - gleichsam den Pionieren des späteren Ortes
Mooswald. Ihre geringen Überschüsse dürften jedoch kaum ausgereicht
haben, um außer der ständigen Belegschaft des Durchgangslagers,
bestehend aus Beamten für die planmäßige Verteilung des
Siedlungslandes, Schreibern, Begleit- und Aufsichtspersonal, auch
noch die abzufertigenden Siedlergruppen in Mooswald selbst und bis
zur ersten eigenen Ernte am Einsatzort zu ernähren. Aufsicht war
übrigens zur Vermeidung eigenmächtiger Landsuche und Landnahme
etwaiger unzufriedener Kolonisten wohl unerläßlich. Nach dem
Stufenplan, den wir bereits bei der Darstellung der ersten
Besiedlungsphase nachzuzeichnen versuchten, mußten nun die bereits
länger bestehenden Dörfer des Oberlandes einen Teil ihrer Ernten an
das Hauptlager in Mooswald abliefern. Es kann jedoch durchaus sein,
daß die Ortenburger auch die Zugehörungen der alten Lehenschaften
Reifnitz und Ortenegg nach 1336 für diesen Zweck herangezogen haben.
Es stellt sich nun die Frage: Was wäre geschehen, wenn die Grafen
von Ortenburg ihr Urwaldlehen zur regel- und planlosen Besiedlung
hätten freigeben dürfen? Nichts. Es wäre nicht etwa dazu gekommen,
daß von allen Seiten Rodungsbauern herbeigeströmt wären, daß ein
großes Geraufe um die besten Böden und Felder, um die ergiebigsten
Quellen eingesetzt hätte, sondern, abgesehen davon, daß auch im 14.
Jahrhundert für eine Kolonisation Geld und nochmals Geld
erforderlich war, das die siedlungswilligen Bauernsöhne nicht
besaßen, waren die Bauern des 14. Jahrhunderts noch zu unbeholfen,
um ohne Führung und Anleitung an ein schwieriges Werk wie dieses
heranzugehen. Der einzelne aber hatte überhaupt keine Chance, sein
Leben in der Wildnis zu fristen. Er hätte sich und seine Familie
ohne Nachbarschaft nicht durchbringen können, sofern er überhaupt
den Mut aufgebracht hätte, sich schutzlos den bösen Geistern
auszuliefern. Der Aberglaube besaß zur damaligen Zeit noch einen
unvorstellbaren Einfluß auf die Gemüter.
Selbst wenn die Grafen von Ortenburg einen mittleren Weg gegangen
wären und die Siedlungswilligen gewissermaßen mit lockerer Hand im
Urwald angesetzt hätten, wäre das Gottscheerland, wie wir es nun
kennen, nie entstanden. Natürlicherweise waren die Menschen des
Mittelalters nicht weniger egoistisch, als wir es heute sind. Die
Rücksichtslosesten und Stärksten hätten sich die besten Plätze
gesichert und wer später kam, hätte nehmen müssen, was übrigblieb.
Wer aber wäre gerne und freiwillig hinaufgezogen auf die höher
gelegenen Plateaus mit ihren ungünstigen Böden und
Wasserverhältnissen? Den besten Beweis, daß die Grafen von Ortenburg
ihr Siedlungswerk im Karsthochland Unterkrains sorgfältig geplant
und durchgeführt haben, erbringt ein Blick auf die Landkarte. Mit
staunenswerter Anpassung an die Oberflächengestalt der Landschaft
und an die Wasservorkommen verteilen sich die Dörfer und Weiler über
das "Ländchen", sammeln sich die kleineren Ortschaften um die
Besiedlungsmittelpunkte. Wenn an keiner anderen Stelle, hier ist der
Plan erkennbar.
Die Grafen von Ortenburg haben weder das eine noch das andere
Verfahren angewendet, sondern haben für das außerordentlich günstige
Angebot an die Siedlungswilligen von diesen Ordnung und ein
vernünftig zweckmäßiges Mitgehen verlangt und - erhalten. Für die
Rodungsbauern war es nicht immer leicht. Drei Ortsnamen drücken dies
unüberhörbar aus: Verdreng und Verderb in der Gemeinde Obermösel und
Kummerdorf in der Gemeinde Nesseltal. Eine Erläuterung dazu erübrigt
sich. Aber die in diese Ansiedlungen eingewiesenen Bauern blieben!
Ihre Dörfer zählten zu den bekanntesten in der Sprachinsel. Der
Verdrengerberg und der Kummerdorferberg trugen Wallfahrtskirchen.
Die "villa Mooswald" war 1339 die am weitesten nach Süden
vorgeschobene Ansiedlung mit Kärntner und Osttiroler Kolonisten. Ob
schon ein wesentlicher Teil der Siedler Osttiroler Herkunft war,
wird noch zu untersuchen sein. Mooswalds Bedeutung schwand mit jeder
lebensfähig werdenden neuen Ortschaft bzw. dem Weiterwachsen der
Funktionsfähigkeit der Besiedlungsmittelpunkte. Wann es aufhörte,
Hauptlager zu sein, wird sich ungefähr noch feststellen lassen,
hingegen erscheint es ausgeschlossen, auch nur beiläufig die Zahl
der Kolonisten, die durch das Durchgangslager geschleust wurden,
bzw. das Verwaltungs- und Versorgungspersonal der "villa" zu
schätzen oder gar zu errechnen. Die Urkunde vom l. September 1339
sagt nur soviel aus, daß immerhin eine Kapelle gebaut werden mußte
und ein Friedhof in Aussicht genommen war. Also lebten in der "villa
Mooswald" bereits so viele Menschen, daß ein Geistlicher mit ihrer
seelsorgerischen Betreuung annähernd ausgefüllt war, daß Todesfälle
vorkamen, vor allem wohl durch Unfälle bei der Rodungsarbeit und
durch die hohe Säuglingssterblichkeit, aber eine Zahl kristallisiert
sich nicht heraus. Die Tatsache, daß Graf Otto eine Kapelle und
keine Kirche gebaut hat, spricht eigentlich dagegen, daß diese Zahl
"groß" gewesen sein kann. Eine slowenische Quelle vermutet das
Gegenteil. So lesen wir bei Simonie auf Seite 8 unter anderem: " ..
weil Gottschee nur in den Randgebieten mit slowenischen Bauern
besiedelt war, begannen im 14. Jahrhundert die Ortenburger, Siedler
von ihren Besitzungen in Kärnten hierherzubringen. Der Ortenburger
Graf Otto, der Kolonisator des Gottscheerlandes, siedelte in den
dreißiger Jahren des 14. Jahrhunderts schon so viele Kolonisten an,
daß er in Mooswald..." Es folgt ein Hinweis auf die Kapelle von
Sankt Bartholomäus. Auf Seite 9 heißt es bei Simonic weiter:
"Die Ortenburger haben Gottschee aus wirtschaftlichen Gründen mit
einer größeren Zahl von Bauern zu kolonisieren begonnen, um mit
einem dichter besiedelten und bearbeiteten Land ihre Einkünfte zu
vergrößern. Auf das Gut brachten sie auch deutsche Beamte und
Handwerker. Die Zahl der deutschen Bauern, die Graf Otto in den
dreißiger Jahren des 14. Jahrhunderts von seinen Besitzungen in
Oberkärnten nach Gottschee gebracht hatte, war sehr groß."
Es wäre eine reine Zahlenspielerei, würde man diesen weit
auseinanderliegenden Vermutungen eine konkrete Schätzung
gegenüberstellen. Die Unbestimmtheit wandelt sich allerdings bis zur
Wahrscheinlichkeit einer bestimmten Zahl, wenn man folgende
Überlegungen in das vermutete Geschehen der Kolonisation einführt.
Da ist vor allem ein privatwirtschaftliches Argument heranzuziehen:
Türk schreibt in seiner kurzen Charakteristik der Grafen von
Ortenburg, daß sie auch "kühle Rechner" waren. Meinhart I. war dies
zweifellos nicht, aber der sparsamere Otto hatte die Beamten des
"Lehenhofes" sicherlich angewiesen, dafür zu sorgen, daß sich der
unumgängliche finanzielle Aufwand möglichst bald in steigende
Erträge verwandelte. Außerdem dürfte er darauf geachtet haben, daß
die Zeitspanne zwischen der Zuschuß- und der Selbstversorgung der
"Holden" nicht zu lang ausfiel. Das heißt, der Zuzug der Siedler
wurde gesteuert und es war nicht möglich, daß beliebig viele
Interessenten ungerufen anreisten. Dieses Verfahren war mit ein
Grund, warum bis zum Ende des 14. Jahrhunderts noch Nachzügler in
Gottschee eintrafen. Darüber hinaus ist zu bedenken, daß ja auch in
Kärnten und Osttirol nicht unbegrenzt viele Siedlungswillige, die
den Anforderungen der Urwaldrodung entsprachen, zur Verfügung
standen. Völlig ausgeschlossen, weil Verkehrs- und
siedlungstechnisch sowie klimaabhängig undurchführbar, war die
gleichzeitige Besiedlung aller Teillandschaften des Hochlandes oder
auch nur eines Teiles, des Hinterlandes oder des Unterlandes. Die
Vernunft gebietet uns die Annahme, daß jeweils Gruppen
zusammengestellt wurden, die auf einem vorher bestimmten und
abgegrenzten Gelände ein Dorf, ihr Dorf, aufbauten. Die ersten
Dorfanlagen des 14. Jahrhunderts wurden bewußt klein gehalten und
dürften, außer den Besiedlungsmittelpunkten, zehn bis zwölf
Herdstellen kaum überschritten haben. Dieser Größenordnung würde
eine Einwohnerzahl von 40, höchstens 50 Personen entsprechen. Ihre
körperlichen Strapazen müssen ungeheuer gewesen sein. Damals wurde
die Nachbarschaft, von der die Gottscheer heute noch reden und
schreiben, geboren. Alle Arbeiten, die dem Kolonisten unausweichlich
auferlegt sind, der Blockhüttenbau, die Rodung und Säuberung der
Feldflur von den Steinen und das Herrichten der Weideplätze, wurden
gemeinschaftlich geleistet.
Die vorstehend dargelegten finanziellen, wirtschaftlichen,
organisatorischen und landschafts-strukturellen Hindernisse für eine
Massensiedlung vermögen wohl kaum die These bei Simonic zu stützen,
daß die Zahl der Siedler in den dreißiger Jahren des 14.
Jahrhunderts "sehr groß" gewesen sei, selbst wenn man in Rechnung
stellt, daß sie seit der Villacher Konferenz erheblich anstieg. Wie
kommt die von Simonic herausgegebene slowenische Festbroschüre
anläßlich des Gedenkens an die Stadterhebung von Gottschee vor 500
Jahren auf diese großzügige Mengenangabe?
Sie ist nur so zu erklären, daß man den Ausdruck "multae hominum"
aus der nächsten bedeutsamen Urkunde aus dem Jahre 1363 bereits auf
jene von 1339 angewendet hat. Im übrigen ist zu berücksichtigen, daß
man im Mittelalter mit wesentlich anderen Maßstäben rechnete als
heute. Uns stellen sich 80 oder 100 Menschen als eine Handvoll Leute
dar, in einem Gebiet, in dem bis zum Siedlungsbeginn null Menschen
lebten, war das "viel". Einige hundert Menschen gar mußten daher als
eine große Menge erscheinen.
Ob sehr viele oder wenige Kolonisten: Wie lautete das Angebot der
Ortenburger an die Siedlungswilligen? Es ist auch heute noch
interessant. Sie erhielten eine ganze "Hube", bayrisches Maß, das
waren ungefähr 20 ha, auf folgender Rechtsgrundlage: Grund und Boden
wurden dem Rodungsbauern in unkündbarer Erbpacht übergeben. Mithin
waren sie "Besitzer", ein Wort, das noch öfter auftauchen wird. Zwei
weitere Gesichtspunkte übten eine beträchtliche Anziehungskraft aus,
die Bauern konnten ihren Besitz vererben, teilen, tauschen und
verkaufen. Die Pachtzinsverpflichtung blieb auch auf Teilen des
ursprünglichen Grundstückes. Den vielleicht stärksten Antrieb zur
Annahme des Angebotes übte die Zusage der vollen persönlichen
Bewegungsfreiheit aus. Bei all dem wissen wir jedoch nicht, ob den
Siedlungswilligen von Anbeginn die Ungunst des Bodens mitgeteilt
wurde.
Wie die Kolonisten im einzelnen in ihre Parzellen eingesetzt wurden,
entzieht sich unserer Kenntnis. Es wäre auch zwecklos, die Frage
aufzuwerfen, ob anfänglich die Feldflur eines Dorfes
gemeinschaftlich bearbeitet wurde. Wir können sie nicht beantworten.
Die Siedler erhielten vermutlich keine schriftlichen Zusagen,
Belehnungsbriefe, Eigentumsurkunden oder dergleichen. Sie hätten sie
ja nicht lesen können. Wir gehen sicherlich nicht fehl in der
Annahme, daß sie mit Handschlag vor Zeugen in ihre Grundstücke
eingewiesen wurden. Ob diese ein zusammenhängendes Stück Land
bildeten, ist zweifelhaft. Man hat sicher darauf geachtet, daß das
bebaubare Land, die Wiesen, Felder und die Waldanteile einigermaßen
gerecht verteilt wurden. Daraus ergibt sich zwangsläufig, daß bei
der Aufgliederung einer Ortsflur ein entscheidungsbefugter Beamter
des Grundherrn anwesend war, wie hätte dieser sonst den Überblick
behalten sollen? Es dauerte außerdem gewiß nicht lange, bis jeder
Besitzer Zeugenschaft dafür ablegen konnte, welches Grundstück wem
in seinem Dorfe gehörte. Das Setzen der Grenzsteine wird eine der
unangenehmsten Arbeiten gewesen sein.
Wir verlassen nun den geschichtlichen Nachrichtenraum des
Patriarchenbriefes von 1339. 24 Jahre vergehen bis zum Auftauchen
einer weiteren Urkunde aus Patriarchenhand. In der Zwischenzeit, da
siedlungsgeschichtlich viel geschehen sein muß, fehlt jede Nachricht
über das Weiterwachsen des "Ländchens". Wir erfahren lediglich, daß
Graf Otto V. im Jahre 1342 gestorben war. Welcher von seinen Neffen,
es können nur Otto VI. oder Rudolf oder beide gewesen sein, das
Siedlungswerk in Unterkrain weiterführte, ist unbekannt. Sie müssen
in finanzielle Schwierigkeiten geraten sein, denn wir lesen bei
Professor Saria, daß "die Ortenburger" zwischen 1351 und 1364
insgesamt viermal Geld bei Laibacher Juden aufgenommen haben ("Die
mittelalterliche deutsche Besiedlung von Krain"). Was war geschehen?
1348 war ein Pest- und Erdbebenjahr. Laibach wurde weitgehend
zerstört. Vom Dobratsch bei Villach stürzte eine riesige Felswand in
das Gailtal nieder und verschüttete angeblich sieben Dörfer. - Die
Pest aber raffte - wie verlautet - etwa die Hälfte der Kärntner
Bevölkerung dahin. Daraus können wir schließen, daß die Zahl der
Siedlungswilligen so entscheidend abgenommen hatte, daß die Grafen
gezwungen waren, den Anreiz für die Auswanderung nach Unterkrain
durch ein weiteres Zugeständnis zu erhöhen, nämlich, eine
Geldprämie, anders ausgedrückt, ein Handgeld, anzubieten. Noch eine
andere Folge zog die Seuche nach sich. Die Grafen befanden sich
durch die Menschenverluste in einer ähnlichen Lage wie ihr Onkel
Meinhart I. Das Menschenpotential in der eigenen Grafschaft reichte
nicht mehr aus, um die Besiedlung des Urwaldes in absehbarer Zeit
fortzuführen und zu vollenden. Sie mußten daher versuchen, anderswo
Auswanderungswillige zu finden. Sie fanden diese im östlichen Teil
der benachbarten Grafschaft Tirol. Natürlich konnten die Grafen von
Ortenburg auf dem Gebiete Osttirols nicht einfach Kolonisten werben.
Sie bedurften dazu der Genehmigung des Grafen von Tirol und der
Grafen von Görz, die dort umfangreiche Lehenschaften besaßen. Auch
das Kloster Admont und das Stift Dießen am Ammersee in Oberbayern
waren dort begütert. Hübsch hätte sich die historische Pointe in
diesem Buch ausgenommen, hätte man einen Zusammenhang zwischen dem
Vorhaben der Ortenburger und der Gräfin Beatrix, geborene Prinzessin
von Wittelsbach, herstellen können. Wenn sie zu diesem Zeitpunkt
überhaupt noch in Friaul lebte, so hätte sie keinen Einfluß auf die
Freigabe von Kolonisten für Unterkrain nehmen können, denn ihr Sohn
war volljährig und ihre Schwäger, die in Lienz in Saus und Braus
lebten, hätten ihr gewiß kein Mitspracherecht zugestanden. Es
spricht viel mehr dafür als dagegen, daß sich die drei Görzer Grafen
die Freigabe von Untertanen durch die Ortenburger abkaufen ließen.
Wie dem auch sei, der Zuzug von Osttirolern in die spätere
Sprachinsel Gottschee scheint richtig erst nach 1348 eingesetzt zu
haben und nicht unbeträchtlich gewesen zu sein. Dafür sprechen
zahlreiche mundartliche Einflüsse aus Osttirol im Gottscheer
Dialekt. Die lapidare Feststellung Prof. Kranzmayers, daß die
Vorfahren der Gottscheer aus dem tirolerisch-kärntnerischen
Grenzgebiet stammen, läßt sich, wie wir gesehen haben, nicht nur
sprachwissenschaftlich, sondern - mit einigem Anspruch auf
Wahrscheinlichkeit - auch historisch belegen. Bevor wir jedoch auf
die Feststellung des Kärntner Gelehrten näher eingehen, werfen wir
noch einen Blick auf andere Auffassungen zu diesem Thema. Sie
trieben die seltsamsten Blüten, auch hinsichtlich der Deutung des
Ortsnamens Gottschee, der dem ganzen "Ländchen" seinen Namen gegeben
hat.
Da waren viel laienhaftes Historisieren und mancher geschichtliche
Wunschtraum unterwegs. Die Abstammungstheorien reichten von der
Annahme, die Vorfahren der Gottscheer seien Nachkommen der letzten
Goten, die sich in die Wälder des Karsthochlandes zurückgezogen
hatten, gewesen, bis "Gottes Segen" und "Gottes See" oder "Gatschen"
und Kocevje, ein sloweniches Wort, das der historischen Wirklichkeit
noch am nächsten kommt. Es ist abgeleitet von "koca" = Hütte und
bedeutet soviel wie "Ansammlung von Hütten". Mit dem aufkommenden
Nationalismus des 19. Jahrhunderts träumten manche Gottscheer von
einer Abstammung ihrer Urahnen aus allen deutschen Stämmen, und
hielten das "Ländchen" für ein Klein-Deutschland. Am hartnäckigsten
hielt sich die "Thüringer-Franken-Theorie". Sie ging davon aus, daß
Kaiser Karl IV. (er regierte von 1346 bis 1378) einem Grafen
Friedrich von Ortenburg auf dessen Bitte 300 Männer samt ihren
Familien als Kolonisten in den Wäldern von Gottschee überlassen
habe. Es handelte sich angeblich um Rebellen aus Thüringen und
Franken, die an sich ihr Leben verwirkt haben sollten. Als Quelle
für diese Mär wurde Valvasor herangezogen. Er schreibt auf Seite 194
des XI. Bandes seines Hauptwerkes: "Die Ehre des Herzogtums Crain",
der Laibacher Bischof Chroen habe in dem Archiv von Bischoflak bei
Laibach eine Notiz gefunden, aus der hervorging, es seien "300
Männer samt ihren Weibern und Kindern durchgekommen". Sie sollen
nach Gottschee weitergereist sein, um dort die Wälder zu roden.
Nichts gegen den Bischof, nichts gegen den Verfasser der Notiz, aber
alles gegen die Zahl 300 und gegen den Grafen Friedrich von
Ortenburg, der um diese billige Belegschaft für das
Siedlungsunternehmen Urwald in Unterkrain gebeten haben soll. Die
Zahl 300 ist einfach zu glatt und - zu hoch. Sie stellt ohne jeden
Zweifel eine Schätzung dar, und was man von den Maßstäben der
mittelalterlichen Schätzer im Vergleich zu den heutigen und in bezug
auf Menschenmengen halten kann, haben wir bereits erörtert. Aber der
Historiker und der Sprachwissenschaftler haben unwiderlegbare
Argumente gegen die "Thüringer-Franken"-Theorie:
"300 Männer samt ihren Weibern und Kindern" bedeuteten, selbst wenn
man nur vier Familienmitglieder als Durchschnitt nimmt, 1200
Personen, wahrscheinlich wären es aber 1400 bis 1500 gewesen. Was es
bedeutet hätte, diese mehrere hundert Meter lange Menschenschlange
samt einem entsprechenden Troß von Ochsengespannen von Thüringen und
Oberfranken durch teilweise unbesiedeltes Gebiet über Bäche und
Flüsse, Berg und Tal, bei schlechtester Verpflegung nach Gottschee
zu lotsen, können wir uns mit etwas Phantasie heute noch ausmalen.
In Sonderheit können wir uns vorstellen, daß diese Menschenmasse
nicht an allen Orten, durch die sie bettelnd zog, willkommen gewesen
wäre, denn sie war wohl mit Kindern, kaum jedoch mit barem Geld
gesegnet.
Doch gesetzt den Fall, alle Strapazen wurden überwunden und die "300
Männer samt ihren Weibern und Kindern" waren in Gottschee
eingetroffen. Was dann? Die Organisatoren des ortenburgischen
Siedlungswerks hätten sie ja nicht in Mooswald oder anderswo
lagermäßig unterbringen können. Der Elendszug wäre ja erst mit dem
Sommer zu Ende gegangen. Wohin mit ihnen? In die bereits bestehenden
Dörfer hineinzwängen? Es ist außerdem schlicht und einfach
unrealistisch und ein Wunschtraum, zu erwarten, daß die bereits
angesiedelten Kolonisten aus Oberkärnten und Osttirol die
Überflutung ihrer Ansiedlung mit Thüringern und Franken
widerspruchslos hingenommen hätten. Der weitere Verlauf der
Gottscheer Geschichte läßt vermuten, daß die ersten Gottscheer in
diesem Falle ihrerseits erstmals zu Rebellen geworden wären.
Die Verfechter der "Thüringer-Franken-Theorie" mögen dieser
Argumentation entgegenhalten, daß die Grafen von Ortenburg als
Grundherren dann eben durchgegriffen und für Ordnung gesorgt hätten.
Zu einfach! Wer sich durch die obigen Einwände nicht überzeugen
ließ, wird sich dem unwiderlegbaren wissenschaftlichen Hauptargument
beugen müssen: Es findet sich in der Gottscheer Mundart kein
nennenswerter Anhaltspunkt dafür, daß in diesem frühen Stadium der
Besiedlung des "Ländchens" 1200 bis 1500 Thüringer und Franken
eingesetzt wurden. Die dem Sächsischen nahverwandte thüringische
Mundart hätte sich auf jeden Fall zumindest in dem bereits
erschlossenen Siedlungsraum niedergeschlagen. Hätten die Ortenburger
aber einige Dörfer ausschließlich mit Thüringern und Franken
angelegt, so hätten sich deren Dialekte erst recht erhalten. - Im
übrigen war schon Valvasor nicht sicher, daß die von Chroen
aufgefundene Notiz der Wirklichkeit entsprach. Und nebenbei bemerkt:
Wir brauchen ja gar nicht auszuschließen, daß Karl IV. oder jemand
anderer den Ortenburgern eine Anzahl Bauernfamilien aus Thüringen
und Franken zur Verfügung gestellt hat. Es wäre. durchaus denkbar,
daß sie dann in kleinen Gruppen auf die bereits bestehenden
Ansiedlungen aufgeteilt wurden. Die Formulierung; "300 Männer samt
ihren Frauen und Kindern" ist historisch falsch. Kein Beleg
existiert auch für die Behauptung, ein Graf Friedrich von Ortenburg
habe um die Überlassung von Kolonisten beim Kaiser nachgesucht. In
dem fraglichen Zeitraum zwischen 1346 und 1363 gab es keinen
ortenburgischen Grafen Friedrich, hingegen einen krainischen
Landeshauptmann namens Friedrich von Sanneck. Einen Grafen Friedrich
von Ortenburg konnte es deshalb nicht geben, weil die beiden Söhne
Meinharts I. kinderlos starben und sich unter den 9 Kindern des
Grafen Albrecht II. kein Friedrich befand. Außerdem befinden sich
unter den Regesten, das sind Kurzfassungen von Anordnungen und
Erlässen der Regierungszeit Karls IV. - 1346 bis 1378 -, keine
kaiserliche Verfügung über die Freigabe von 300 Rebellen samt ihren
Weibern und Kindern.
Wir verlassen die urkundlich unergiebige Zeit von 24 Jahren zwischen
der Urkunde vom l. September 1339 und vom l. Mai 1363 nicht ohne die
Gewißheit, daß die finanziellen Aufwendungen der Grafen von
Ortenburg offenbar weitaus größer waren als ursprünglich
veranschlagt. 1363 also stoßen wir auf die nächste bedeutsame
Urkunde aus der Besiedlungsgeschichte des Gottscheerlandes: Wieder
handelt es sich um einen Patriarchenbrief, diesmal aus den Händen
Ludwig I. de la Torre, datiert vom l. Mai. Aus dem Inhalt des,
kirchlichen Obliegenheiten gewidmeten, Dokuments interessiert uns
hauptsächlich, was Professor Grothe aus dem lateinisch abgefaßten
Text auf Seite 26 seines Buches über Gottschee ins Deutsche
überträgt:
"Es gelangte zur Kenntnis des Patriarchen Ludwig auf dem Heiligen
Sitz zu Aquileja, daß innerhalb der Grenzen der zu unserer
aquilejischen Diözese gehörigen Seelsorgestation des hl. Stefan von
Reifnitz, und zwar in dessen Seelsorge oder Pfarre in gewissen
Hainen und Wäldern, die unbewohnbar und unbebaut waren, viele
menschliche Wohnungen errichtet, diese Haine und Wälder dem Ackerbau
zugeführt worden sind und daß eine nicht geringe Menge Volkes darin
zu wohnen kam."
Zur seelsorgerischen Betreuung dieser "nicht geringen Menge Volkes"
genehmigte Aquileja die Errichtung von fünf Pfarrstellen, und zwar:
"Gotsche, Pölan, Costel, Ossiwnitz et Goteniz." Das sind in der
späteren Schreibweise: Gottschee, Pölland, Kostel, Ossilnitz und
Göttenitz. Der lateinische Wortlaut der Urkunde steht bei Grothe auf
Seite 212. Bemerkenswert ist, daß die Urkunde auch einen Grafen Otto
von Ortenburg anspricht. Es handelt sich mit Sicherheit um Otto VI.,
Sohn des Grafen Albrecht II. und Fortpflanzer seines Geschlechts.
Vor uns liegt abermals das schwierige Unterfangen, eine von ihren
Schreibern ungenau angefertigte Urkunde aus ihrer Zeit heraus zurück
in die Vergangenheit und vorwärts in die Zukunft möglichst richtig
einzuordnen und auszudeuten. Zunächst stellen wir fest, was sie
direkt aussagt:
Zum erstenmal ist der Ortsname Gottschee in der Schreibweise "Gotsche"
urkundlich genannt. Gleichzeitig taucht in der nördlichen Hälfte der
Sprachinsel Göttenitz auf - Mooswald hingegen wird nicht mehr
erwähnt. Stark in den Vordergrund tritt die Süd- und Südostflanke
des Siedlungsgebiets mit der Erwähnung der Schlösser Pölland und
Kostel, sowie des Ortes Ossilnitz an der Einmündung der Cabranka in
die Kulpa. Die Urkunde bestätigt ferner, daß das Urwaldlehen der
Ortenburger unbewohnbar und unbebaut war, daß nun aber eine "nicht
geringe Menge Volkes" hier seßhaft geworden sei und Landwirtschaft
betreibe.
Alle fünf neu geschaffenen Pfarrstellen liegen im Bereich der ersten
Besiedlungsphase. Natürlicherweise waren sie hinsichtlich der
Bevölkerungszahl schon wesentlich weiter als die Kolonistendörfer
der Oberkärntner und Osttiroler. Deren Besiedlungsmittelpunkte waren
noch nicht zu Pfarrdörfern herangereift. Sie hatten jedoch bestimmt
einen gewissen Anteil an der nicht geringen Menge Volkes, von der
die Urkunde des Patriarchen Ludwig spricht. Auch die Ostflanke des
Siedlungsgebiets, die Moschnitze, ist kirchenorganisatorisch noch
uninteressant. Woraus zu schließen ist, daß sie kolonisatorisch
ebenfalls noch abseits lag.
Zweitens: Mooswald hat offensichtlich seine Bedeutung als Vorort des
Siedlungsunternehmens an "Gotsche" abgegeben. In Gottschee taucht
laut Urkunde auch der Kirchenpatron der Mooswalder Kapelle, der hl.
Bartholomäus, auf. Das muß nicht heißen, daß 1363 die "villa"
bereits aufgelassen war und besiedlungstechnisch keine Rolle mehr
spielte. Hingegen hat sich "Gotsche" bevölkerungsmäßig so weit
entwickelt, daß eine Pfarrstelle und die dazugehörige Kirche
erforderlich geworden waren.
Die vorstehende Überlegung des Verfassers betreffend den Übergang
siedlungsgeschichtlicher Funktionen von Mooswald auf Gottschee deckt
sich nicht mit den slowenischen Vorstellungen zu diesem Punkt. So
heißt es bei Simonic auf Seite 8: "Weil in der ersten folgenden
Urkunde aus dem Jahre 1363 die Kapelle des hl. Bartholomäus nicht
mehr erwähnt wird, sondern nur die Kirche des hl. Bartholomäus in
Gottschee, die inzwischen vergrößert wurde, daß mit dem Namen
Mooswald ursprünglich Gottschee bezeichnet wurde, das eine blühende
Ansiedlung auf dem ortenburgischen Gut war. Der Name Gottschee war
vordem im Amtsgebrauch noch nicht bekannt."
Drei tragfähige Argumente sprechen gegen die Annahme, Gottschee habe
ursprünglich Mooswald geheißen:
a) Gotsche ist älter als Mooswald.
b) Mooswald wäre aus dem Ortsnamensverzeichnis des Gottscheerlandes
verschwunden, wenn an seine Stelle die Bezeichnung Gotsche getreten
wäre.
c) Der Ortsname Gottschee durchlief eine eigenständige sprachliche
Entwicklung, die siedlungsgeschichtlich gebunden ist, jedoch mit der
Herkunft der Urahnen der Gottscheer aus Oberkärnten und Osttirol
nichts zu tun hat.
Woher aber kommt die Orts- und Landschaftsbezeichnung "Gottschee"?
Wir können es uns leisten, auf die Deutungstheorien des 19.
Jahrhunderts zu verzichten, weil wir eine wissenschaftlich fundierte
Alternative vorzuweisen haben. Wir wiederholen: Graf Meinhart I. und
sein Sohn Hermann III. haben bereits vor 1315 die Ansiedlung von
überwiegend slowenischsprechenden Kolonisten aus ihren
unterkrainischen Lehenschaften begonnen. Sie erschlossen zunächst
das Oberland und drangen vom Norden her in das Waldinnere bis zu dem
späteren Gottschee und dem Hinterland, bis Göttenitz als südlichste
Punkte vor. Bis in unsere Zeit herein galt die These, der Name
Gottschee komme aus dem slowenischen "Kocevje", als ganz
realistisch, denn mit einer "Anzahl von Hütten" hat es ja sicher
angefangen. Mühelos ließ sich außerdem von "Kocevje" ein lautlicher
Entwicklungsgang zu "Gottschee" konstruieren. Das ist auch geschehen
und man gab sich wohl auf slowenischer, weniger jedoch auf
gottscheerischer Seite damit zufrieden. Nichts und niemand zwingt
uns jedoch aber anzunehmen, daß "Kocevje" das Ausgangswort sein muß.
In der Tat kann es ein fast gleichlautendes Wort gewesen sein: Dabei
fällt einem die Ortsbezeichnung "Hocevje" östlich von Reifnitz auf
(das Anfangs-"H" ist wie "CH" zu sprechen). Die erste urkundliche
Erwähnung war laut Grothe (Karte Nr. 5) im Jahre 1145. Weder der
Leipziger Professor noch der Autor vermuteten einen Zusammenhang mit
der Ortsbezeichnung "Gottschee". Erst später stieß er bei Professor
Saria, einem der besten Kenner der Kolonisationsgeschichte Krains,
in seiner Arbeit (Seite 96) auf den tieferen Sinn des Wortes "Hocevje".
Der 1974 in Graz verstorbene Gelehrte kommt zu der Erkenntnis, daß "Gotsche"
nicht von "Kocevje" stamme, sondern von "Hocevje" herrühre. "Hocevje"
bedeute "der Tann" oder "Tannwald". Saria bezog seine sprachliche
Entdeckung noch nicht auf die Siedlungsgeschichte des
Gottscheerlandes. Für uns, die wir über deren Uranfänge unterrichtet
sind, ist nur ein kurzer Gedankensprung nötig, um in die
unmittelbare Nähe der geschichtlichen Wirklichkeit vorzudringen:
Das ursprüngliche "Hocevje" lag auf dem Boden entweder der
auersperg'schen oder der ortenburgischen Lehenschaften in Unterkrain.
In beiden Fällen können die Ortenburger Siedler aus diesem Ort an
die mittlere Rinse verpflanzt haben. Es bedarf keiner besonderen
Begründung, daß diese Kolonisten mit slowenischer Umgangssprache der
neuen Heimat die Bezeichnung ihrer alten gegeben haben. Wie wir
außerdem wissen, hat Graf Otto V. seinem Bruder Meinhart bzw. dessen
Sohn Hermann III. mit Kärntner Siedlern ausgeholfen. Keinem der
damaligen Ortenburger wurde es bewußt, daß sie Angehörige zweier
verschiedener Völker ansiedelten. Deshalb mischten sie diese völlig
unbefangen. Wie das rasche Wachstum des Ortes beweist, belegten sie
namentlich "Hocevje", das spätere "Gotschee", mit Siedlungswilligen
aus dem fernen Kärnten, weil das kleine Dorf an der mittleren Rinse
verkehrsmäßig und wasserwirtschaftlich besonders günstig war, und -
das muß den Kolonisatoren schon vor 1363 aufgegangen sein - sich als
Mittelpunkt des gesamten Siedlungsgebiets zu eignen schien.
Da nun nur noch deutsche Kolonisten in dichter Folge nachrückten,
überwog mit gleicher Geschwindigkeit ihre bairisch-österreichische
Mundart. Der vorgefundene Ortsname "Hocevje" lag den neuen Siedlern
nicht. Der Deutsche meidet allgemein das "CH" als Wortbeginn. Er
weicht, wo er es antrifft, gerne auf "K" oder "G" aus. Im Gegensatz
dazu schätzen die Slowenen und andere slawische Völker das gehauchte
anlautende "H" wiederum nicht. Die Entwicklung von "Hocevje" zu "Gottschee"
wird jedoch erst ganz verständlich, wenn man die mundartliche
Bezeichnung für Stadt und Land Gottschee heranzieht.
Die Umwandlung des "H" zu "G" war die erste Stufe. Unter dem Einfluß
des "G" verschob sich das "o" zu einem kurzen, gestoßenen "a". Das
"tsch" blieb erhalten, während sich das "e" unter dem Druck der
Betonung in "e" und "a" spaltete. Das "v" aber verschob sich zu "b".
Die Schlußsilbe "je" aber wurde fallengelassen. Das Endergebnis war
- und das kann kaum mehr als ein Menschenalter gedauert haben - das
heute noch gebräuchliche "Gatscheab". Nicht zuletzt wird der
Kindermund an dieser Ausformung beteiligt gewesen sein. Der
Gottscheer nennt sich heute noch "Gattscheabar", das "r" wird nur
angedeutet. Die Gottscheerin aber heißt "Gattscheabarin".
Drittens: Die Verfasser der Urkunde vom l. Mai 1363 - der Patriarch
hat sie gewiß nur unterschrieben - beschränkten sich ebenfalls auf
eine unbestimmte und für den Betrachter nach 650 Jahren numerisch
nicht bestimmbare Angabe: "... eine nicht geringe Menge Volkes..."
Trotzdem nähern wir uns der tatsächlichen Zahl, wenn wir die nächste
Urkunde ins Auge fassen: 1377 wurde das Dorf "Gotsche" zum Markt
erhoben. "Markt" bedeutete das Zusammenkommen von Erzeugern und
Verbrauchern sowie Handel zwischen ihnen. Die Markterhebung erfolgte
zweifelsfrei auf Betreiben der Grafen von Ortenburg, die damit das
mit der fortschreitenden Besiedlung wachsende Wirtschaftsleben in
Gang setzen wollten. Gotsche und Mooswald allein hätten aber einen
Markt nicht gelohnt. Also mußten bereits weitere Ortschaften in
einer Zahl entstanden sein, daß die Errichtung eines
wirtschaftlichen Mittelpunktes nützlich erschien, sowohl für die
Bauern als auch für den Grundherrn, dessen Einnahmen wuchsen. Die
Ortenburger wären eben keine "kühlen Rechner" gewesen, hätten sie
nicht dafür gesorgt, daß ihre Neubauern die Erbpacht bezahlten, aber
auch bezahlen konnten.
In unsere Überlegungen müssen wir auch die Tatsache einbeziehen, daß
seit dem Beginn der Kolonisation etwa zwei Menschenalter vergangen
waren. Das heißt, daß bereits 60 Jahrgänge an Gottscheern geboren
waren und jeder wurde durch natürliche Vermehrung und
weiterfließenden Zuzug stärker als der andere. Logische Folgerung:
Diese stetig zunehmende Bevölkerung konnte nicht mehr im Oberland
oder im Raum des Neumarktes untergebracht sein, zumal es ja nicht
der Zweck des ortenburgischen Siedlungswerkes war, die Menschen an
einer Stelle zusammenzuballen. Dazu wird es unter völlig veränderten
Umständen erst später, in rund 600 Jahren, kommen.
Die Verteilung der Kolonisten über die westliche Hälfte des
Siedlungsgebietes muß sich bereits um 1377 dem Abschluß genähert
haben. Dafür spricht insbesondere die Mitteilung bei Simonic (siehe
Seite 23), daß das erste Urbarium des Siedlungsgebietes von
Gottschee schon im Jahre 1398 erstellt wurde. Leider ist davon nur
die Aufstellung der Ansiedlung und ihrer Abgaben im Amte Rieg
erhalten geblieben. Sie wird im Staatsarchiv zu Ljubljana (Laibach)
aufbewahrt. Leider war dieses Urbarium dem Verfasser beim Abschluß
seiner Arbeit noch nicht zugänglich. Immerhin wissen wir aber, daß
1398 bereits ein Amt Rieg bestanden hat und im großen und ganzen die
Kolonisation des Gottscheerlandes abgeschlossen war. Diese
Feststellung deckt sich mit der Ansicht von Professor Saria, daß der
Zuzug von Kolonisten mit dem 14. Jahrhundert zu Ende ging. Wenn wir
nun auch noch auf das vollständig erhaltene Urbarium aus dem Jahre
1574 vorgreifen, so treffen wir auf eine Schätzung von 9000
Gottscheern. Wenn wir schließlich berücksichtigen, daß die
Kindersterblichkeit sehr hoch war, und die durchschnittliche
Lebenserwartung rund 42 Jahre betrug, so bleiben wir
wirklichkeitsnah, wenn wir die Zahl der Gottscheer im Jahre 1363 auf
etwa 2500 bis 2600 und 35 Jahre später, 1398, auf rund 3500
schätzen.
Das Siedlungswerk der Grafen von Ortenburg in dem Urwald zwischen
Reifnitz und Kulpa schien am Ende des 14. Jahrhunderts geglückt zu
sein. Waren aber ihre Kolonisten und deren erste und zweite im Lande
geborene Nachfolgegeneration glücklich? Wir wissen es nicht. Wir
wissen nur, daß sie den unabänderlichen Lebensgesetzen und
Abhängigkeiten der Gottscheer unterworfen waren: Klima und Boden,
Wald und Wasser, Enge des Lebensraumes und kleine Zahl, Politik und
Religion. - 1393 war die Pfarrstelle Gottschee von der Großpfarre
Reifnitz abgetrennt und als eigene Pfarre bestätigt worden. Ihre
Aufgabe als Mittelpunkt des "Ländchens" war urkundlich bereits 30
Jahre zuvor in Erscheinung getreten.
Bevor wir auf das weitere Schicksal der Grafen von Ortenburg
eingehen, verzeichnen wir kurz das tragische Ende des Patriarchen
Bertrand von Aquileja. Vom Volk des Patriarchenstaates geliebt und
verehrt, vom friaulischen Adel und den Städten wegen seiner
ordnungsgebietenden Regierung als Landesherr gehaßt und bekämpft,
starb er 1350 unter den Schwerthieben einer Verschwörergruppe. Er,
der persönlich tapfere Mann, der unter dem Chorhemd stets den
Kettenpanzer trug, hatte die Warnungen seiner Umgebung vor dem
Überfall während einer Reise von Padua nach Udine in den Wind
geschlagen.
Mehr Raum als dieser bemerkenswerten Persönlichkeit auf dem Stuhl
des hl. Hermagoras widmen wir nach dem Ausklang des 14. Jahrhunderts
den Vasallen der Patriarchen von Aquileja, den Grafen von Ortenburg.
Daß Otto V. 1342 gestorben war und sein Neffe, Otto VI., der
Fortpflanzer des Geschlechts, die Führung der Grafschaft übernommen
hatte, wissen wir bereits. In seinem Sohn Friedrich III. tritt uns
abermals eine jener ortenburgischen Gestalten entgegen, die dem
Hause Ortenburg weit über Kärnten hinaus Einfluß und Ansehen
verschafften. Begabt, überlegen, tapfer und - treu als "Schwert
Aquilejas". Er stieg in die höchsten politischen Ämter auf, die je
einem Ortenburger zuteil wurden, ohne freilich in den politischen
Geschäften eine besonders glückliche Hand zu besitzen. Bereits in
verhältnismäßig jungen Jahren schloß er mit dem Grafenhaus von
Cilli, seine Mutter war eine geborene Gräfin von Cilli, einen
Erbvertrag auf Gegenseitigkeit für den Fall, daß einer der
regierenden Grafen ohne männlichen Leibeserben bliebe. Verheiratet
war Friedrich mit Margaretha, einer Tochter des Herzogs von Teck im
württembergischen Schwaben. Ihr einziger Sohn starb im Kindesalter.
Der Graf genoß die besondere Förderung des Kaisers Sigismund (er
regierte von 1407 bis 1437). Der Herrscher war, wie Friedrichs
Vater, mit einer geborenen Gräfin von Cilli vermählt.
Weil die Zuverlässigkeit des Ortenburgers bereits vor dem
Regierungsantritt Sigismunds erprobt war, übertrug er ihm zeitweilig
das Amt des Generalvikars in Norditalien und erteilte ihm
Sonderaufträge im Kampf mit der Republik Venedig, der Friedrich mit
seiner kleinen Privatarmee nicht unbeträchtliche Verluste zufügte.
Dank seiner Eitelkeit und Stellung fiel es ihm nicht sonderlich
schwer, die Erwählung seines Schwagers, Herzog Ludwigs von Teck, zum
Patriarchen durchzusetzen. Doch damit stehen wir bereits im
15.Jahrhundert.
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