Die Geschichte der Gottschee
19.
Jahrhundert
Dr. Erich Petschauer, 1980
Aus dem
"Jahrhundertbuch der Gottscheer"
Zu Beginn des
Zeitraumes schien es, als sollte sich die Blütezeit des "Ländchens" fortsetzen
und vollenden, seine kulturelle Eigenart und das Charakteristische seines
Menschenschlages unberührt bleiben. Hundert Jahre später wird jedoch das
Gottscheerland in allen seinen Erscheinungsformen, wie wir sie im Augenblick der
Jahrhundertwende vor uns sehen, nicht mehr bestehen. Zwar werden es die
Gottscheer noch bewohnen, allein die kulturellen Veränderungen, die
zivilisatorischen und technischen Fortschritte, der verkehrsmäßige Anschluß an
das Land Krain und dadurch die weitgehende Aufhebung der geographischen
Abgeschiedenheit und - das nicht zuletzt - der zweischneidige Nationalismus
werden die Riegel, hinter denen die Gottscheer ihre Traditionen hüteten,
aufgebrochen haben.
Versuchen wir, Gang und Wandlung dieses Jahrhunderts, das mit der ganzen Welt
auch das Gottscheer Völkchen von Grund auf verändert hat, in großen Zügen
nachzuzeichnen. Zuerst bemerken wir im "Ländchen" einen einzigartigen
psychologischen Vorgang: Seine Bewohner, namentlich die Gottscheerinnen,
verlieren allmählich ungewollt und unwissentlich die Mitte zwischen dem
Neuschöpfen und Nachschaffen ihrer eigenen Volkskultur und den steigenden
kulturellen Einflüssen ihres Gesamtvolkes. Dieses hat es im begrenzten Umfang
immer gegeben, doch nun greift es auch auf das soziale Denken über. Das ganz
langsame Durchsickern der städtischen Zivilisation durch die Außenhaut der
landschaftlich gebundenen Überlieferungen bewirkt eine heimliche innere Abkehr,
fast eine Mißachtung des Bäuerlichen. Was von außen kommt, beginnt als schöner,
vornehmer und "besser" zu gelten. Übrigens, nicht nur in Gottschee.
Durch 14, 15 Menschenalter war es der Gottscheerin gelungen, jene angedeutete
kulturschöpferische Mitte, gleichsam auf der Schwelle ihres Hauses stehend,
auszubalancieren. In wenigen Jahrzehnten kamen ihr nun in bedenklichem Maße
Freude und Fähigkeit abhanden, als junges Mädchen Erbin, als reife Frau und
Großmutter aber Erblasserin der überlieferten Volkstumsgüter zu sein. Es wird
sich allerdings zeigen, daß man ihr dieserhalb keine Schuld zumessen und keinen
Vorwurf machen kann, ebensowenig, wie sie für die fast fluchtartige Auswanderung
der Gottscheer in den achtziger Jahren nach den Vereinigten Staaten von Amerika
verantwortlich ist.
Das 19. Jahrhundert begann noch durchaus "männlich". Napoleon legte sich weite
Teile Europas zu Füßen, auch das "Ländchen" wurde von seinen Truppen erobert und
der neu gebildeten Provinz Illyrien eingegliedert. Die Gottscheer leisteten 1809
Widerstand und protestierten heftig gegen die unmenschlich hohen Steuern. Da sie
kein Verständnis fanden, erschlugen sie in ihrem gerechten Zorn den
Stadtkommandanten. Sie waren so erbost, daß sie dem französischen Offizier nicht
einmal ein Friedhofsbegräbnis gönnten, sondern seinen Leichnam in eines der
Rinse-Sauglöcher unterhalb von Obermösel warfen. Mit der Erschießung mehrerer
Geiseln und der Freigabe der Stadt zu einer dreitägigen Plünderung durch die
Soldaten waren sie mehr als hart bestraft. - Die Franzosenzeit blieb
glücklicherweise eine Episode.
In unabsehbaren Zeiträumen und weltverändernd lebte jedoch die "Romantik". Die
zunächst rein geistige Bewegung wurde im wesentlichen durch den deutschen
Dichter und kulturellen Anreger Johann Gottfried Herder (1744 bis 1803)
konzipiert. Was später daraus wurde, steht auf einem anderen Blatt. Sie löste
bei den europäischen Völkern eine stürmische Begeisterung für die eigenen
Kulturleistungen und -werte aus, die jedoch auf dem politischen Antriebsfeld
durch Selbstüberschätzung und Machtmißbrauch ungleich mehr, ganze Kulturen und
Kulturnationen, zertrümmerte und heute noch vernichtet. Neue Gegensätze wurden
aufgerissen, alte vertieft. Dazu gehörte vor allem der überlieferte Hang zum
Mißtrauen zwischen den Deutschen und den Slawen. In der ersten Hälfte des 19.
Jahrhunderts bekam es in zwei streitbetonten Bewegungen, dem "Pangermanismus"
und dem "Panslawismus", Gestalt. Das politische Fernziel war in beiden Fällen
die Errichtung je eines Großstaates, in dem einmal alle Germanen und das andere
Mal alle Slawen vereinigt sein sollten. Die West- und Südslawen strebten darüber
hinaus die vollständige geistige und gesamtkulturelle Loslösung vom Deutschtum
an. Sie waren überzeugt, daß sie dies nur durch die Zerstörung der
österreichisch-ungarischen Monarchie zu erreichen vermochten. Wer das Schicksal
der Gottscheer anders als unter dieser Zuspitzung sieht, verzeichnet es.
Im weitesten Sinn gehört es zu den Auswirkungen der Romantik, daß die
Sprachinsel Gottschee im 19. Jahrhundert von drei Seiten entdeckt wurde:
1. von den Gottscheern selbst,
2. von Sprachwissenschaftlern und Volkskundeforschern Alpen-Österreichs und
3. von der politischen und kulturellen Führung des slowenischen Volkes.
Entdeckt von sich selbst: Das im Entstehen begriffene, noch unfertige
Selbstverständnis der Gottscheer war bis in die Romantik herauf politisch nicht
kämpferisch. Etwa zu Beginn des 19. Jahrhunderts trat es jedoch ebenfalls in
eine "Sturm- und Drangperiode" ein und begann mit der Selbstbewertung und der
genauen Standortbestimmung zum deutschen Volk. Diese Entwicklung setzte bei den
Bürgern der Stadt ein und erzeugte das Bestreben, das Deutsch-Sein auch zu
beweisen. Dem Zug der Zeit folgend, geschah dies durch die Gründung von
Privatschulen mit deutscher Unterrichtssprache. Man nannte sie auch
"Notschulen". Als Lehrkräfte gewannen die Gründer Idealisten, die als frühere
Beamte oder länger dienende Soldaten tätig waren, wie Personen mit eigener
Schulbildung und Begabung.
Von der ersten auf Gottscheer Boden errichteten Volksschule wissen wir bereits
1690. Es dauerte 128 Jahre, bis in Altlag 1818 die erste private Landschule
eröffnet wurde. 1819 folgte Mitterdorf, 1820 schloß sich Obermösel an. 1822 trat
- überraschend früh - Tschermoschnitz dazu, noch vor Nesseltal und Rieg, die
1829 nachzogen. Verwundert hätte es den aufmerksamen Leser nur, wenn der Aufbau
des Gottscheer Schulwesens nicht in den aufgeführten Mittelpunktsiedlungen
begonnen hätte. 1836 bzw. 1839 begannen Stockendorf und Unterdeutschau den
Unterricht. In den fünfziger Jahren entstanden vier weitere Privatschulen: 1852
Pöllandl, 1854 Göttenitz und Unterlag und 1856 war die Bauerninitiative auch in
Morobitz erfolgreich. Dann stockte für längere Zeit der Gründungseifer. Die
Lehrer fehlten.
Der Schulbesuch war natürlich
noch freiwillig, jedoch nicht unentgeltlich. Der Lehrer und die Lehrmittel mußte
von den Eltern der Schüler bezahlt werden. Ihre Zahl hielt sich vor allem wegen
der weiten Schulwege in Grenzen. Sie stieg ganz allmählich an. Auf dem Lande
hatte man es praktisch mit reinen Knabenschulen zu tun.
Das änderte sich schlagartig, als 1869 mit dem "Reichsvolksschulgesetz" die
allgemeine Schulpflicht eingeführt wurde. Die Gottscheer Privatschulen wurden
anerkannt. Das Herzogtum besaß daher plötzlich 15 vom Staat getragene,
öffentliche Volksschulen, jedoch keine dem neuen Gesetz entsprechend
ausgebildeten Lehrer. Da die Schulanfänger die Gottscheer Mundart als
Muttersprache verwendeten und das Hochdeutsche nur mangelhaft beherrschten,
sollten die Lehrer nun nach Möglichkeit geborene Gottscheer sein und eine
Lehrerausbildung erfahren haben. Die Sorge der angesehenen Stadtbürger um den
schulischen Fortschritt des Gottscheerlandes war groß. Sie diskutierten bereits
seit Jahren das angekündigte Schulpflichtgesetz, ohne eine andere Lösung zu
finden, als daß Gottscheer Junglehrer außerhalb der Heimat ausgebildet werden
mußten. Sie besprachen es auch mit dem Wiener Germanisten, Universitätsprofessor
Dr. K. J. Schröer, der schließlich eine Teillösung vorschlug. Eine
Lehrerbildungsanstalt mit einer Vorschule konnte man begreiflicherweise in
Gottschee nicht einrichten, doch die Gründung eines vierklassigen
Untergymnasiums war denkbar. Professor Schröer hielt sich 1867 und 1869 zu
sprachwissenschaftlichen Studien in der Sprachinsel auf. Sein wichtigster
Gesprächspartner war Apotheker Robert Braune, ein Mann mit hoher humanistischer
Bildung und Führungsgabe. Braune sorgte für die begeisterte Zustimmung zu dem
Plan des Wiener Gelehrten und dieser gab im Unterrichtsministerium die
erforderliche Starthilfe. Am 28. Oktober 1872 wurde das Untergymnasium mit einem
Festakt und einem Festessen aus der Taufe gehoben und der erste Jahrgang
eröffnet. Die Anstalt mußte allerdings zunächst in einem Privathaus
untergebracht werden. Zum Direktor wurde der Lehrer am Obergymnasium in Laibach,
Benedikt Knapp, ernannt.
Dem ersten Jahrgang gehörten 17 Schüler an, davon neun aus der Stadt, deren
Bürger den hilfsbedürftigen auswärtigen "Studenten" mit kostenlosen
Mittagstischen und Quartieren weiterhalfen. 1873 gründete die Bürgerschaft sogar
einen "Unterstützungsfonds". - Außer Benedikt Knapp (1872 bis 1894) wurde das
Gottscheer Gymnasium in den 46 Jahren seines Bestehens von zwei weiteren
Direktoren geleitet: Peter Wolsegger (1894 bis 1908) und Dr. Franz Riedl (1908
bis 1918). 1907 wurde die Anstalt auf Betreiben des damaligen Bürgermeisters
Alois Loy und mit politischer Unterstützung des Fürsten Karl von Auersperg (1859
bis 1927) zum Obergymnasium erweitert.
Von ausschlaggebender Bedeutung, insbesondere für das Untergymnasium, wurden die
achtziger Jahre. In Wien entstand 1880 der "Deutsche Schulverein", der ein Jahr
später auch in Gottschee seine Tätigkeit als Schulgründer aufnahm. In kurzer
Zeit entstanden 24 Ortsgruppen, die erste in Gottschee/Stadt. Zum Vorsitzenden
wählten die Mitglieder Robert Braune, zum Schriftführer Peter Wolsegger. 1881
wurde außerdem die Begabtenauslese für das Gymnasium auf eine neue Grundlage
gestellt:
Der in Prag lebende Großkaufmann Johann Stampfl aus der Gemeinde Morobitz
errichtete die "Johann Stampfelsche Stipendienstiftung" in Höhe von 100.000
(einhunderttausend!) Gulden. Aus ihren Zinsgewinnen wurden jährlich 22
Stipendien zu 50, 13 zu 100 und 8 Stipendien zu 200 Gulden an bedürftige und
begabte Gottscheer Buben vergeben. Johann Stampfl, der großherzige Stifter, 1805
geboren, starb nach einem ungewöhnlich erfolgreichen Kaufmannsleben 1890 in
Prag.
Seit der Gründung des "deutschen Schulvereins" wuchs das Gottscheer
Volksschulwesen rasch weiter. Allein in den Jahren 1881 bis 1888 entstanden neun
einklassige Volksschulen. Eine Vergleichszahl: von 1856 bis 1881 wurde lediglich
eine einzige Schule gegründet, jene in Stalzern (1874). Aus den verhältnismäßig
zahlreichen Gründungen der achtziger Jahre läßt sich nicht nur entnehmen, daß
die Gottscheer mit großem Eifer am Werke waren, sondern es werden auch die
Auswirkungen des Untergymnasiums sichtbar: Jahr für Jahr wächst die Zahl der
Junglehrer, die alten Schulmeister können abgelöst, die neuen Schulgründungen
besetzt werden. Solche wurden in folgenden Dörfern bzw. Schulsprengeln
errichtet:
Warmberg 1881, Maierle und Langenthon 1882, Masern und Schäflein 1883, Hohenegg
1884, Lichtenbach 1885, sowie Steinwand und Unterskrill 1888. Damit war jedoch
der Nachholbedarf der Sprachinsel an schulischen Einrichtungen noch nicht
gedeckt. Dies geschah erst mit den nachfolgenden Gründungen:
Lienfeld 1892, Altbacher 1898, Verdreng und Reichenau 1905, Reuter 1908,
Stalldorf 1909 und Suchen (im Hochtal) 1910. In der Sprachinsel Gottschee
bestanden also 1910 bzw. 1918 beim Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen
Monarchie insgesamt 33 Volksschulen. Jene in den alten Siedlungsmittelpunkten
waren inzwischen um eine Klasse aufgestockt worden. Die Schule in der Stadt
wurde auf fünf Klassen erweitert. Die 1932 entstandene Schule in Tiefenbach war
keine deutsche Gründung mehr, wurde aber natürlich von deutschen Kindern
besucht.
90 Jahre hat es also gedauert, bis das Schulwesen des Gottscheerlandes so
dichtmaschig ausgebaut war, daß jedes Kind unter möglichst geringen
Schwierigkeiten in den Genuß des deutschen Schulunterrichts kam. Wir dürfen
jedoch nicht bei der organisatorischen Seite der schulischen Entwicklung
stehenbleiben. Diese lief parallel mit den gleichartigen Vorgängen in der ganzen
Donau-Monarchie, so, wie das Reichsvolksschulgesetz von 1869 es angeordnet
hatte. In unserer Sprachinsel vollzog sich mit der Stillung des Bildungshungers
jedoch ein kultureller und sozialer Wandlungsprozeß, der in die Tiefe der
Volksseele reichte: Das Eintreten des jungen Mädchens in die Welt der
gesamtdeutschen Kultur und das Heraustreten der Gottscheerin aus ihren
überlieferten sozialen Bindungen als einseitig ausgerichtete und verpflichtete
Bäuerin, Ehefrau und Mutter.
Wie wir hörten, hatten die Gottscheer in die allgemeine Schulpflicht ihre
zwischen 1818 und 1856 ins Leben gerufenen 15 Privatschulen eingebracht. Die
meisten, an sich schulreifen Mädchen hatten zusehen müssen, wie ihnen die
gleichaltrigen Buben vorgezogen wurden. Das Einrücken in die Schulbank, das
gleichberechtigte Lernen-dürfen und -müssen, das Messen mit den Knaben war für
die plötzlich zu Schülerinnen ernannten Dorfkinder ein elementares Ereignis. Es
zählte nicht nur in der noch eng begrenzten kindlichen Menschlichkeit, sondern
auch ihnen erschloß sich nun die geheimnisvolle Welt des deutschen Lesebuches.
Am Sonntag verstanden sie von Jahr zu Jahr mehr von der Predigt des Pfarrers.
Wir vermögen uns heute wohl nicht mehr die richtige Vorstellung zu machen,
welchen Stolz etwa ein zehnjähriges Mädchen in der Kirche erfüllte, wenn es
neben der vielleicht fünfunddreißigjährigen Mutter saß und in seinem ersten
Gebetbuch las.
Die Schule gewann die Oberhand über die gottscheerischen Sagen und Märchen,
Lieder und Geschichten - nicht über die Mundart, nicht über die Kinderspiele.
Die bunte Welt der deutschsprachigen Sagen und Märchen tat sich auf,
überstrahlte bald das heimische Erzählgut. Rotkäppchen, Scheewittchen und die
sieben Zwerge, das tapfere Schneiderlein, der Wolf und die sieben Geißlein und
viele andere Kindermärchen eroberten den Platz der Hexen- und Teufelssagen.
Große Heldengestalten, wie Hermann der Cherusker, Kaiser Rotbart im Untersberg,
Kaiser Maximilian in der Martinswand und später die Rittergeschichten in der
Schulbücherei - das war alles ungeheuer spannend, und das konnte man lesen und
immer wieder lesen. Die Gottscheer Geschichten, Märchen und Erzählungen waren
nirgends aufgeschrieben, ebensowenig wie die Volkslieder. In der Schule sangen
sie nur die hochdeutschen Kinderlieder: Kommt ein Vogel geflogen, ein Männlein
steht im Walde oder sah ein Knab ein Röslein stehn ...
Und die Mütter dieser ersten zehn- bis fünfzehn Schulmädchen-Jahrgänge? Sie
waren keineswegs unbefangen in die Fußstapfen ihrer Großmutter getreten, das 19.
Jahrhundert hatte auch noch andere fortschrittliche Dinge anzubieten als nur die
Schule. Schon lange bevor das Mädchen in die Volksschule gehen durfte, war über
die älteren Mädchen und die jungen Frauen der Sprachinsel der "Zeitgeist"
gekommen. Die Vermittlerin zwischen ihm und der ländlichen Frauenwelt war die
Stadt Gottschee. Dort zeichnete sich zuerst das "moderne Leben" ab. Dort bauten
immer mehr Bürger bei steigenden Lebenserfolgen und einer liberaleren Handhabung
der Wirtschaft die Aufgabe der Stadt als Mittelpunkt des Gottscheerlandes weiter
aus. Ihr Selbstbewußtsein stieg. Gewiß, es senkte sich nicht etwa ein
ungewohnter Reichtum auf die kleine Stadt nieder, doch der Lohn der Emsigkeit
ihrer Bürger reichte aus, um den gestiegenen Lebensstandard im Bau von
angemessenen Geschäfts- und Wohnhäusern Ausdruck zu verleihen. Zunächst gaben
nur einzelne Bauherren, Bürgerfrauen und -mädchen Beispiele für den neuen
Lebensstil. Man eiferte ihnen nach, "die Mode kam nach Gottschee". Die Männer
lasen Grazer und Wiener Zeitungen.
Die Mädchen und jungen Frauen auf dem Lande, namentlich in den alten
Siedlungsmittelpunkten, bemerkten die Veränderung an ihrem "Stadtle" sehr wohl.
Wie überall und zu allen Zeiten suchten und fanden auch sie ihre Leitbilder. Wie
sie sich trugen und anzogen, war nachahmenswert, bald sogar verbindlich, wollte
man nicht als rückständig gelten. Die feineren Tuche und modischen Schnitte
verdrängten das grobe Leinen der Tracht. Das geschah natürlich nicht mit der
Geschwindigkeit des Modewechsels unserer Jahre, und die alten Frauen hielten an
der überlieferten Tracht fest. Hüte à la mode trugen natürlich nur die
Bürgersfrauen in der Stadt, aber auch dort konnte man noch im 20. Jahrhundert
beim einfacheren Volk das unter dem Kinn geschlungene Kopftuch sehen. Auch
dieses war feiner geworden. Die Männer hatten schon vor den Frauen auf die
Tracht verzichtet.
Der relative Wohlstand, der nicht mit Wohlleben verwechselt werden darf, und die
kulturelle Umstimmung der Jugend in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts,
schufen einen weitergehenden Abstand zwischen den Generationen als früher
üblich. Anders ausgedrückt: Die Aufnahmebereitschaft für das Neue und die
Hinneigung zum Überlieferten hielten sich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt weniger die
Waage. Die Mundart blieb allerdings uneingeschränkt das Verständigungsmittel der
bäuerlichen Bevölkerung. In den Bürgerkreisen der Stadt gewann allmählich eine
Mischung zwischen Gottscheer und Wiener Dialekt die Oberhand.
Der allgemeinen Feststellung über den wirtschaftlichen Fortschritt im "Ländchen"
sei gleich das Entstehen und die zeitweilige Blüte eines für Gottschee typischen
Industriezweiges angefügt: Ein Hausierer aus Lichtenbach hatte in Böhmen mehrere
Jahre gut verdient. Er beobachtete die Lodenweber und rechnete sich aus, daß man
daheim in dieser Branche noch mehr verdienen könnte. 1843 ließ er von dort
einige Webstühle und mehrere Weber nach Lichtenbach kommen. Das Werk gelang über
Erwarten gut. Der geschäftliche Erfolg sprach sich herum, fand Nachahmer und
damit Konkurrenz. In den Nachbarorten Kummerdorf und Altfriesach, bis nach
Reichenau und Nesseltal, Hohenegg und Obermösel, versuchten sich mit ähnlichem
Erfolg weitere unternehmungslustige Bauern-Fabrikanten. Allein die
Lichtenbacher-Gruppe beschäftigte zur Zeit der Hochkonjunktur bis zu 80 Weber
und Hilfskräfte.
Die Schafwolle wurde zunächst nur aus Kärnten bezogen. Steigender Bedarf zwang
die Gottscheer Lodenhersteller, auch auf ungarische und albanische Lieferanten
zurückzugreifen. Die Wolle der albanischen Bergschafe ergab eine besonders
hochwertige und begehrte Qualität des Gottscheer Lodens. Die Erzeuger vertrieben
den Loden meistens selbst und vorwiegend auf kroatischen Märkten. Die
Beförderung der Ware ging jedoch nicht mit der "Kraxn" vor sich, wie bei den
Hausierern bis ins 19. Jahrhundert, sondern auf Pferdefuhrwerken.
Übertriebene Konkurrenz unter den eigenen Landsleuten und die Industrialisierung
der Lodenerzeugung (automatischer Webstuhl) in anderen Ländern verdrängten gegen
Ende des 19. Jahrhunderts den Gottscheer Loden vom Markt. Seine Herstellung war
zu kostspielig geworden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lief auch in Lichtenbach
kein Webstuhl mehr. Die meisten Weber hatten das "Ländchen" verlassen. Dennoch
war es in Lichtenbach nicht still. Das Dorf hatte 1885 eine einklassige
Volksschule erhalten und war damit Schulsprengelort geworden.
Nur geringe volkswirtschaftliche Bedeutung gewann der Versuch, eine
Glasindustrie aufzubauen. Aus Wien kommend errichteten die Brüder Ranzinger 1835
bei Masern im Hinterland eine Glashütte und nannten sie "Karlshütten". Der dazu
nötige Energieträger Holz war reichlich vorhanden, doch der Rohstoff Kies mußte
aus Kroatien herangeführt werden. Der Abtransport der Erzeugnisse mußte wegen
der Bruchgefahr ebenso umständlich wie kostspielig mit Saumtieren erfolgen. 1856
verlegten die Betriebsinhaber das unwirtschaftlich arbeitende Unternehmen in die
Stadt Gottschee und bauten es auf dem Gelände des dortigen Braunkohlenvorkommens
auf. Der Erfolg blieb der Familie Ranzinger auch in der neuen Umgebung versagt.
1888 gab sie endgültig auf.
Das eben erwähnte Braunkohlenflöz in unmittelbarer Stadtnähe wurde bis 1892
nicht systematisch abgebaut. In diesem Jahre erwarb es die "Trifailer
Bergwerks-Gesellschaft" und nahm den Tagbau in größerem Stil auf. Der Kauf
erfolgte nicht zufällig 1892. Der Käuferin war bekannt, daß die Eröffnung der
Stichbahn Laibach-Gottschee bevorstand. Nicht zu Unrecht rechnete sie sich bei
wesentlich günstigeren Transportbedingungen nennenswerte Erträge aus. Da die
Gottscheer Bauern bzw. ihre zweiten und dritten Söhne nur geringes Interesse am
Bergbau zeigten, holte die Gesellschaft Knappen aus Krain und Kroatien heran. Um
sie zu halten, baute ihnen die "Trifailer" bescheidene Werkswohnungen.
Zeitweilig wurden bis zu 500 Arbeiter beschäftigt. Diese verhältnismäßig große
Zahl slowenisch und kroatisch sprechender Einwohner veränderte das
Nationalitätenverhältnis in der Stadt Gottschee erheblich.
Nicht nur die "Trifailer" hatte die Eisenbahn in ihre Kalkulationen einbezogen.
Dies tat auch Fürst Karl von Auersperg. Er war schon an der Planung und dem Bau
der Stichbahn Laibach-Gottschee nicht unbeteiligt gewesen, setzte darüber hinaus
aber noch durch, daß von der Station Großlupp (Grosuplje) ein Schienenstrang
nach Rudolfswerth (Novo mesto) und Straza abgezweigt wurde. Diese Nebenstrecke
sicherte dem Fürsten von Auersperg den Abtransport seiner im großen Stil
geplanten Holzindustrie im auerspergischen Revier "Hornwald".
Herzog Karl hatte beim Bahnbau nicht nur an sich gedacht. Er und Bürgermeister
Alois Loy in Gottschee/Stadt fanden die persönliche Unterstützung des Kaisers
Franz Joseph I. Der Monarch wußte um die enge Verbindung des Hauses Habsburg mit
dem uralten Adelsgeschlecht der Auersperg. Sie hatten der Monarchie eine
unabsehbare Reihe von Politikern, Militärs und Diplomaten gestellt. Diese
Verbindung war so familiär, daß beispielsweise der junge Prinz Karl von
Auersperg zum Spielgefährten des unglücklichen Kronprinzen Rudolf von Habsburg
ausgewählt wurde. Trotz seiner jungen Jahre war er bestrebt, mit diesem Bahnbau
den Gottscheern den Anschluß an das Eisenbahnnetz Krain und der österreichischen
Alpenländer zu schaffen.
Die Stichbahn war jedoch nicht die erste "fahrende" Verbindung des "Ländchens"
zur großen Welt. Schon 1856 richtete der organisatorisch begabte Gottscheer
Bürger Anton Hauff eine wöchentlich verkehrende Pferdepostlinie nach Laibach
ein. Wenige Jahre darauf wurde sie in eine sechsmal wöchentlich trabende
Schnellpost umgewandelt. Anton Hauff wurde der erste Postmeister im
Gottscheerland.
Selbst der Hausierhandel bekam unter dem Druck der alles verändernden Kräfte des
19. Jahrhunderts ein anderes Gesicht. Schon die Postverbindung nach Laibach
hatte für die Hausierer die mühevolle Anreise zum Hausierrevier beträchtlich
abgekürzt. Sie zogen auch nicht mehr mit der vollbepackten "Kraxn" von Ort zu
Ort, sondern waren in die kleinen und mittleren Städte umgezogen. Dort ging der
"Hausierer" in die Lokale und spielte mit einem kleinen Lotto Südfrüchte,
Süßwaren und allerlei Delikatessen aus. Sein Warenangebot führte er in einem
Bauchladen mit. Nun konnte er ein Lager halten und den Korb des Abends mehrfach
füllen. Warenverkauf war ihm jedoch nicht mehr gestattet. Wollte der Gast mit
dem Gottscheer ein Spielchen machen, so hielt ihm dieser ein mit 90
holzgeschnitzten Nummern gefülltes Leinen- oder Ledersäckchen hin. Der Gast
setzte, je nach dem Preis seines Gewinnwunsches, einen bestimmten Betrag ein und
zog drei Nummern aus dem kräftig durchgeschüttelten Beutel. Bevor dies geschah,
wurde bereits vereinbart, welches Spiel gelten sollte: "Drei unter Hundert" oder
"Drei - fünf - sieben". Das bedeutete: Lag die Quersumme der gezogenen Nummern
unter hundert, hatte der Spieler gewonnen, lag sie darüber, kassierte der
Gottscheer den Einsatz. Die andere Spielart: Befanden sich bei den gezogenen
Nummernköpfen eine Drei und eine Fünf und eine Sieben, war das Glück auf Seiten
des Gastes. - Neben dieser neuen Art des Wanderhandels auf Grund des alten
Privilegs bürgerte sich im 19. Jahrhundert auch das Maronibraten als
Winterbeschäftigung in den Großstädten ein. Wann die Umstellung des Hausierens
genau erfolgte, läßt sich begreiflicherweise nicht mehr ermitteln. Es besteht
jedoch ohne Zweifel ein Zusammenhang mit einer anderen Entwicklung, die bereits
gegen Ende des 18. Jahrhunderts eingesetzt hatte. Kaufmännisch besonders begabte
Hausierer waren allmählich in das Südfrüchte-Geschäft hineingewachsen. Sie
kontrollierten schließlich über einen längeren Zeitraum des 19. Jahrhunderts von
den Großstädten der Monarchie aus fast den gesamten Import dieser Branche in
Mitteleuropa.
Die neue Art des Hausierens der Gottscheer Bauern ließ sich durch sie selbst
auch leichter überwachen und vor Nachahmung schützen. Daraus ist zu erklären,
daß zwischen 1841 und 1914 keine Bestätigung des uralten Hausierpatents von 1492
erfolgte.
War die Umstellung auf ein anderes Warensortiment eingetreten, weil in Gottschee
niemand mehr schnitzte. Leinewand herstellte? Vollständig vergessen war die
Holzschnitzerei nicht, doch konnten die Könner auf diesem Gebiet mit der
billigen und scheinbar auch praktischeren Industrieproduktion nicht
konkurrieren. Es verriet daher durchaus Erfindungsgabe, daß der Gottscheer
Wandersmann nun leckere Genußmittel zu einer Tageszeit an seinen Kunden
heranbrachte, da er sie sonst nicht angeboten erhielt, schon gar nicht über ein
lustiges Glücksspielchen, an dem sich jeden Abend die Stammtischrunden
ergötzten. Andererseits ließ ein findiger Kopf in der Stadt Gottschee es nicht
dabei bewenden, daß das Schnitztalent seiner Landsleute nun brachliegen sollte.
Die Holzwarenvertriebsfirma Loy entstand und regte die Herstellung von
Schnitzereien an, die dem Bedarf und dem Geschmack der Zeit angepaßt waren. Die
Holzschnitzerei nahm Ausmaße an, daß man 1882 eine Fachschule für
Holzbearbeitung errichtete. Auch hier stand Johann Stampfel Pate. Die Firma Loy
baute ihr Sortiment ständig weiter aus und sie beschickte Ausstellungen, und
schließlich ging ihr Angebot weit über die Haushaltsgegenstände allein hinaus
und reichte - nach einem Inserat im "Deutschen Kalender von Krain" - vom
Spazierstock bis zu Kleinmöbeln.
Da aber, wo ein Fortschritt am notwendigsten gewesen wäre, in der
Landwirtschaft, änderte sich in den wesentlichsten Punkten so gut wie nichts in
der Bodenverfassung. Zwar wurde den Bauern 1847 durch die sogenannten
Servitutsrechte eine weitergehende Mitnutzung der Auerspergschen Wälder
zugestanden, wuchs der Umsatz des Holzhandels, griff die eiserne Pflugschar
tiefer in den Humus als die Hacke und der Holzpflug, schafften die etwas
vermögenderen Bauern Bodenentlüftungsgeräte an, tauchten gegen Ende des
Jahrhunderts die handgetriebenen Dreschmaschinen auf, fand auch die
Getreidereinigungsmaschine auf genossenschaftlicher Basis im Gottscheerland
Eingang, wurde im 20. Jahrhundert mehr und mehr Kunstdünger gestreut - jedoch
die Dreifelderwirtschaft und die Zersplitterung der ohnehin dünnen Ackerkrume in
kleine und kleinste Gevierte rührten sich nicht von der Stelle. Jeder Bauer
pflanzte außerdem alles an, was er zur Ernährung von Mensch und Tier benötigte.
Die Zeitverluste bei der Bestellung und Ernte waren infolge der weiten
Verstreuung des Bodenbesitzes eines Hofes und der Langsamkeit der Zugtiere noch
größer als anderswo, und noch im 20. Jahrhundert waren in kleineren, abgelegenen
Dörfern das Ochsen- und Kühegespann keine Seltenheit. In den größeren,
stadtnahen Dörfern herrschte bereits das Pferd vor. Zudem war der Boden nicht
nur wegen seines hohen Kalkgehalts, sondern auch wegen unzureichender Düngung,
namentlich der Wiesen, ausgelaugt.
Andererseits lösten die romantischen Impulse von außen, die seit Jahrzehnten
bereits gewohnte Erweiterung der Ernährungsbasis durch Mais und Kartoffel wie
der Glaube, daß eine bessere Zukunft bevorstehe, im "Ländchen" bereits zu Beginn
des Jahrhunderts eine steigende Geburtenfreudigkeit aus. Der Kindersegen
bedeutete aber auch eine ungeahnte Steigerung der landwirtschaftlichen
Arbeitskräfte, freilich auch mehr Esser. Es mußte mehr Feldfrucht angebaut und
mehr Vieh gehalten werden. Zwar begann die Bauernschaft sich danach zu richten,
doch in den siebziger Jahren war der noch bebaubare Boden so gut wie erschöpft,
das heißt, das "Ländchen" quoll von Bewohnern über. Das Diktat der beiden
Lebensgesetze von der Enge des Lebensraumes und der geringen Ergiebigkeit des
Bodens war voll in Kraft. Zwei Zahlen sollen die Lage der Sprachinsel zu diesem
Zeitpunkt veranschaulichen, da sich das übervölkerte "Ländchen" anschickte, wie
ein Kessel an seinem inneren Überdruck zu explodieren. Professor Grothe verweist
auf Seite 46 seines Buches über Gottschee ohne nähere Quellenangabe auf eine
Zählung der Gottscheer aus dem Jahre 1745. Sie wurde angeblich von den damaligen
fünf Pfarren vorgenommen und ergab 9000 "betraute Seelen". Wir lesen diese Zahl
nicht ohne Mißtrauen, denn sie scheint zu niedrig zu sein. Wenn sie stimmte,
hätte sich seit 1574 die ebenfalls geschätzte Einwohnerzahl nicht verändert. Das
aber ist so gut wie ausgeschlossen, denn die Türkeneinfälle lagen 150 Jahre
zurück und die wirtschaftliche Erholung der Sprachinsel unter den Auersperg
dauerte bereits über hundert Jahre. Aber selbst wenn man die Grotheschen 9000 um
ein Drittel auf 12.000 Seelen steigert, sind die Angaben des Wiener Statistikers
C. Czoernig für das Jahr 1852 mit rund 22.000 und um 1875 mit 25.000 bis 26.000
Personen noch erstaunlich genug (zitiert nach Maria Hornung, "Mundartkunde
Osttirols", Seite 145).
Zugespitzt ausgedrückt: Am rapiden Bevölkerungswachstum der Gottscheer erweist
sich, daß sich das Völkchen im Karst biologisch trotz seiner völkischen
Insellage keineswegs mehr isoliert entwickelte, sondern - wiederum, ohne es
recht zu wissen -, die allgemeine europäische Bevölkerungsexplosion des 19.
Jahrhunderts mitvollzog. Und noch mehr:
Als der Sog des menschenarmen nordamerikanischen Kontinents namentlich das
deutsche Volk zum zweiten Mal in diesem Jahrhundert überfiel, riß er auch aus
dem Gottscheerland Tausende und Abertausende junge Menschen fort. Für den
einzelnen Auswanderer scheinbar zum Glück, für die Gesamtheit der Gottscheer
letzten Endes aber zum Verhängnis, öffnete er das breite Schleusentor zum
Abfließen des Bevölkerungsüberschusses. Doch der Strom wollte nicht aufhören. Im
ersten Halbjahr 1914 erteilte die Bezirkshauptmannschaft in Gottschee etwa 700
Reisepässe für die USA.
Das Wandern und Geldverdienen in der Fremde war den Gottscheern nichts Neues. Es
war jedoch stets Männersache gewesen. Diesmal war es anders. Diesmal hatte der
"Zeitgeist" vorgearbeitet, war das innere Feld aufbereitet für die große Unruhe,
die nun auch die jungen Frauen und Mädchen erfaßte. Sie begannen dem Mann, dem
Bruder, dem Verlobten oder dem heimlich Geliebten zu folgen - in ein Land, das
von sich sagte, es biete unbegrenzte Möglichkeiten.
Und was bot Gottschee?
Folgte die Gottscheerin wirklich nur dem Manne nach oder war es auch die
berufliche Aussichtslosigkeit daheim oder die Aussicht, den Angehörigen auf
diesem weltweiten Umweg besser helfen zu können, die sie bewog, in dieses Land
aufzubrechen? War es Abenteuerlust, die den viel Mut erfordernden Entschluß zur
Auswanderung hervorrief? Vielleicht war es der auch in ihr aufgestaute ewige
Wandertrieb, das Wandernmüssen der Gottscheer? Ihr winkte doch gutes und rasches
Verdienen, zugleich ein freieres, besseres Leben, war es das? Man muß wohl das
ganze Bündel nüchterner und zweckmäßiger Überlegungen, familiärer und
freundschaftlicher Bindungen und die im tiefsten Menschentum wartende Neugier
auf das geheimnisvolle Unbekannte zusammennehmen, will man die Verhaltensweise
einer damals jungen Gottscheerin aus ihrer Zeit heraus ganz begreifen.
s'Lantle" ließ sie trotzdem nicht los, auch dann nicht, nachdem sie, von der
grauenhaften Ozeanüberquerung auf dem Auswandererschiff arg mitgenommen,
amerikanischen Boden betreten hatten. Auf der einen Seite war sie der Enge
entronnen, andererseits suchte und fand sie in der Endlosigkeit des unbekannten
und drohenden Raumes Halt und Geborgenheit bei ihren Landsleuten. Doch nicht nur
Schutz suchte sie, sondern auch die Wärme des "Hoimischn", des "Heimischen", des
Gewohnten. Nicht wenige der Einwanderer brauchten viel Trost und guten Zuspruch,
um das Heimweh ertragen zu können. Hier begegnen wir einem bemerkenswerten,
seelischen Phänomen: Als ob sie einem Naturgesetz gehorchte, wehrte sie sich
dagegen, auf dem Lande Arbeit zu suchen - nicht nur, weil "er", der Landsmann
oder ein bestimmter Landsmann die Stadt nicht verließ, sondern weil es ihr seit
Jahrhunderten förmlich eingeboren war, daß der Boden auch die härteste Mühe
nicht recht lohnte.
Beim Einleben in die völlig anders gearteten Daseinsumstände kam der
Gottscheerin, wie übrigens auch ihrem Landsmann, ein Umstand zustatten:
Die bäuerlichen Menschen im Gottscheerland wurden von Kindheit an täglich
gezwungen, zu improvisieren. Deshalb fanden sie sich in dem Land, dessen "way of
life" auch heute noch eine zum System gewordene Improvisation darstellt, schnell
zurecht.
Die ersten Gottscheer Einwanderungsgruppen blieben jedoch nicht in dem
überfüllten New York, sondern zogen in ihrer Mehrzahl nach Cleveland/Ohio
weiter, wo sie verhältnismäßig rasch Arbeit fanden. Schon in den achtziger
Jahren waren es ihrer so viele - und der Zuzug hielt an - daß soziale Probleme
entstanden. Um sie aufzufangen, gründeten einige beherzte Männer die erste
landsmannschaftliche Hilfsorganisation der Gottscheer in den Vereinigten Staaten
und nannten sie: "Erster österreichischer Unterstützungsverein". Die äußeren
Umstände ihres Entstehens sind zum Teil noch bekannt. Das "Gottscheer
Gedenkbuch" beschreibt sie auf Seite 48: "Die erste Idee zur Gründung eines
Unterstützungsvereines entstand Anfang Juni 1889, als sich verschiedene
Gottscheer an der Hochzeit des Herrn Josef Perz aus Malgern trafen. Das Resultat
dieser Privatbesprechung war, daß schon am 7. Juli desselben Jahres vierzehn
wackere Gottscheer den ,Ersten österreichischen Unterstützungsverein' gründeten.
Herr Josef Kump aus Schalkendorf hatte das Vergnügen, als der erste Präsident
dieses ersten Gottscheer Vereins in Amerika gewählt zu werden. Die monatlichen
Beiträge waren auf 50 Cents festgesetzt."
Die Menschenverluste des
kleinen Gottscheer Volkskörpers in den achtziger und neunziger Jahren bzw. bis
zum Ersten Weltkrieg waren nicht mehr aufzuholen. Dabei ging es jedoch nicht nur
um die Zahl der unmittelbaren Auswanderer, sondern auch darum, daß es sich um
die tatkräftigsten, wagemutigsten und arbeitsmäßig Tüchtigsten handelte. Zwar
kam es bis 1914 vor, daß junge Paare, vom Heimweh getrieben, in die alte Heimat
zurückkehrten und dort entweder neu begannen oder das Werk ihrer Eltern und
Schwiegereltern mit den ersparten Dollars fortführten. Diese Rückwanderung
wirkte gegenüber dem breiten Strom in der Gegenrichtung wie ein dünnes Rinnsal.
Für Gottschee verloren waren vor allem aber die Kinder und Kindeskinder der
Auswanderer.
Die Massenauswanderung zeitigte eine weitere psychologische Rückwirkung: Die
Ausgewanderten schickten, sobald sie dazu in der Lage waren, Geld nach Hause.
Jeder ins "Ländchen" gelangte Dollar bedeutete eine echte Hilfe, gleichzeitig
aber auch eine intensive Werbung für Amerika. Was mußte der Empfänger alles tun,
um den Gegenwert eines US-Dollars in mehr als vier österreichisch-ungarischen
Kronen zu ersparen?!
Nach der Jahrhundertwende mehrten sich, zunächst in den abgelegeneren Dörfern,
die Bauernhausruinen. Die früheren Besitzer oder ihre Erben lebten in Amerika.
Niemand hielt den Verfall auf.
Und nicht wiedergutzumachender Schaden entstand an den Traditionen der
Gottscheer durch die Abwanderung der volkstumsgestaltenden jungen Kräfte aus 30
Geburtsjahrgängen. Unter ihnen zählten manche Mädchen und junge Frauen doppelt,
die Vorsängerinnen in der singenden Dorfgemeinschaft, in den Pfarrkirchenchören,
die Erzählerinnen bei abendlichen Gemeinschaftsarbeiten, überhaupt die jungen
weiblichen und männlichen Persönlichkeiten, nach denen man sich richtete. Das
soll nicht heißen, daß diese jungen Gottscheer moralisch verantwortlich zu
machen wären für die Lücke, die sich nun nicht mehr schließen ließ. - Wie vordem
die Tracht beim Kirchgang, verschwand allmählich das mundartliche Kirchenlied
aus den Gottesdiensten.
Von zwei Seiten also war all das, was das Gottscheertum ausmachte, bedroht;
Durch den unaufhaltsamen Rückgang der Menschenzahl und das allmähliche Schwinden
der Traditionen formenden und erwerbenden Kraft.
War die Sprachinsel überhaupt noch zu retten?
Kaum etwas von dem eigentümlichen Gottscheer Kulturgut war um die Mitte des 19.
Jahrhunderts aufgezeichnet. Zwar konnten die jüngeren Erinnerungsträger des
Volkstumsgutes nun lesen und schreiben, doch ihre Schicht war bereits vor der
großen Auswanderungswelle dünner und dünner geworden. Nur alte Frauen und Männer
beherrschten noch die Volkslieder, das Erzählgut und die unverfälschte Mundart.
Aber wie sollte eine alte Bäuerin, die ohnehin nicht schreiben und lesen konnte,
etwa ein Volkslied oder eine Sage, Sprichwörter oder dergleichen aufzeichnen?
Die ersten Tastversuche, über die Mundart auf die Antwort zu der Frage nach der
Herkunft zu gelangen, fielen in die frühe, zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts.
1861 erschien aus der Feder des damaligen evangelischen Pfarrers in Laibach,
Theodor Elze, eine Arbeit: "Gottschee und die Gottscheer". Sein Interesse für
die Sprachinsel hatten persönliche Begegnungen mit Gottscheern geweckt. Sie
waren nun öfter in der krainischen Landeshauptstadt zu sehen, bestand doch eine
Postverbindung von Gottschee nach Laibach. Er schrieb unter anderem über ihren
Dialekt: "Die Gottscheer Mundart ist eine äußerst wertvolle und noch unbenutzte
Quelle für germanistische Studien, aus welcher nicht allein eine bedeutende
Bereicherung der Kunde der deutschen Mundarten, sondern selbst mancher nicht
verachtenswerte Beitrag zum Verständnis unserer altdeutschen Sprache geschöpft
werden kann." (Zit nach Grothe S. 129.)
Tiefer als Elze schürfte der uns bereits bekannte Wiener Universitätsprofessor
Dr. K. J. Schröer in der Mundart nach Herkunftsmerkmalen. Noch etwas unsicher,
doch mit klarem Blick steuerte er auf das engere Herkunftsgebiet zu: "Die
Gottscheer sind im ganzen Markomannen, die Mundart hat den Charakter der
bairisch-österreichischen Lechmundarten, aber mit einem alten Zusatz von
Schwaben und Franken her, durch den sie, bei großer Verwandtschaft mit der
Mundart der Zimbri und der Kärntner, sich von diesen in vielen Wortformen und
gewissen Lauten unterscheidet " (Zit. nach Grothe, S. 129.)
Die Frucht seines an sich kurzen Aufenthaltes in Gottschee war eine Abhandlung
über die Mundart, die nur noch historischen Wert besitzt. Ihm verdanken wir auch
ein Verzeichnis der Ortschaften des "Ländchens".
Die geistige Nachfolge Schröers trat der in Prag lehrende Prof. Dr. Adolf
Hauffen, ein geborener Laibacher, an. Er veröffentlichte die bereits als
klassisch angesehene Monographie: "Die Sprachinsel Gottschee", erschienen in
Graz 1895. Bei ihm herrscht kein Zweifel mehr über die Herkunft der Vorfahren
der Gottscheer aus dem bairisch-österreichischen Dialektraum, wenn auch dieser
Fachausdruck zu seiner Zeit noch nicht gebräuchlich war. Er fand in ihr die
wesentlichsten Eigentümlichkeiten des Bairischen in Wortschatz und Wortbildung,
Flexionsform und Vokalismus wieder. Einen erheblichen Einfluß
alemannisch-schwäbischer Dialektformen läßt Häuften nicht gelten. Seine übrigen
Ansichten über die Herkunft der Gottscheer erfahren wir bei Grothe auf Seite 129
unten, wo der Leipziger Forscher schreibt: "Einfluß und Einwanderung
bairisch-österreichischen Schlages ist aus dem benachbar-ten Kärnten und
Steiermark im Gottscheerland unstreitig sehr stark gewesen. Der Wortvorrat der
Gottscheer Mundart hat wohl zu 60% diesen Ursprung. Merkwürdig aber ist, daß
trotz dem ansehnlichen bairisch-österreichischen Wortvorrat mehrere
Eigentümlichkeiten des Bajuwarischen im Gottscheerischen sich nicht finden, so
die Dualformen "ös" und "enk", sowie das Verschlucken des e in den Vorsilben der
Worte.
Bis zu Hauffen veröffentlichten ausschließlich Nicht-Gottscheer die Ergebnisse
ihrer Forschungsarbeiten über das "Ländchen" und ihre Ansichten. Der erste
Gottscheer, der ein einwandfrei wissenschaftliches Werk über die Mundart seiner
Heimat beisteuerte, war ein Schüler Hauffens: Dr. Hans Tschinkel aus
Lichtenbach, Gymnasialdirektor in Prag. Er schrieb "Die Grammatik der Gottscheer
Mundart", erschienen in Halle 1908. Sie sollte überleiten zu einem Wörterbuch
der Gottscheer Mundart, doch die Strapazen des Ersten Weltkriegs und seine
rastlose Forschertätigkeit, in die er auch das Gottscheer Volsklied einbezog,
hatten seine Lebenskraft frühzeitig aufgezehrt. Viel zu früh starb er 1926 und
hinterließ eine einzigartige Ernte, weit über tausend Mundartlieder aus der
Sprachinsel Gottschee. Sie sollten als Band I eines mehrbändigen Werkes über das
Volkslied in der österreichisch-ungarischen Monarchie erscheinen. Der
Zusammenbruch des Donaustaates im Jahre 1918 zerstörte auch diesen Plan. Hans
Tschinkel hinterließ darüber hinaus zahlreiche vorbereitende Aufzeichnungen für
das Mundartwörterbuch. Keiner der Eingeweihten wagte zu hoffen, daß es jemals
erscheinen würde.
Dennoch: Ein halbes Jahrhundert nach seinem Tode erschien im Verlag der
österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien der II. Band des
"Wörterbuches der Gottscheer Mundart", von Dr. Walter Tschinkel aus Morobitz,
dem Neffen des Forschers. Walter Tschinkel hatte seine pädagogische Ausbildung
an der Lehrerbildungsanstalt in Klagenfurt erfahren und studierte als junger
Lehrer, um dem großen Werk fachlich-sprachwissenschaftlich gewachsen zu sein,
Germanistik. Wieder schien es, als sollten durch einen weiteren Krieg und die
gesundheitliche Gefährdung Dr. Tschinkels alle Bemühungen um die Erfassung des
bedeutendsten wissenschaftlichen Werkes über die Sprachinsel Gottschee umsonst
gewesen sein. Es gelang ihm jedoch, den ersten Band 1974 und den zweiten Band
1976 bis auf die letzten Korrekturen noch selbst zu vollenden. Im Oktober 1975
starb er in St. Georgen am Längsee, der Stätte seines langjährigen Wirkens, noch
nicht 70 Jahre alt.
Mit seinem "Wörterbuch der Gottscheer Mundart" hat Dr. Walter Tschinkel der
deutschen Sprachwissenschaft, namentlich der bairisch-österreichischen
Dialektgeographie, einen unschätzbaren Dienst erwiesen. Frühzeitig nahm er die
Verbindung mit der "Bairisch-österreichischen Wörterbuchkanzlei" in Wien auf,
früh erkannte die Kanzlei die Bedeutung seiner Arbeit. - Walter Tschinkels Werk
erschien als Band VII der Schriftenreihe: "Studien zur österreichisch-bairischen
Dialektkunde" und setzte damit die Tradition der "kaiserlichen", ab 1867 k. u.
k. Akademie der Wissenschaften in der Förderung von Gottschee-Forschern fort. K.
J. Schröer war der erste Walter Tschinkel - so hoffen die Gottscheer - wird
nicht der letzte Geförderte sein.
Für die Breite des wissenschaftlichen Stoffes und seine detaillierte Vertiefung
war es gewiß von großem Vorteil, daß Tschinkel die Gottscheer Mundart als
Muttersprache in den Arbeitsbereich der modernen österreichisch-bairischen
Dialektgeographie einbrachte. Diesen Umstand wußten besonders zwei führende
Experten auf diesem Gebiet zu schätzen, die Wiener Universitätsprofessoren Dr.
Eberhard Kranzmayer und Frau Dr. Maria Hornung. Sie führten das Lebenswerk
Walter Tschinkels wieder richtungweisend und vergleichend behutsam zu seinem
Platz auf der akademischen Ebene Österreichs.
In den Jahren vor dem Erscheinen des "Wörterbuches der Gottscheer Mundart" fand
ein ständiger Gedankenaustausch, vor allem zwischen Walter Tschinkel und Frau
Maria Hornung, statt. Auf zahlreichen Kundfahrten durchforschten sie die
Teillandschaften des von Prof. Kranzmayer allgemein als "tirolisch-kärntnerisches
Grenzgebiet" umrissenen Herkunftsraumes der Gottscheer. Es glückte ihnen
mehrfach, durch Vergleich ausgefallener Ausdrücke des bäuerlichen Lebens,
Auswanderungsorte bis auf das Dorf genau festzulegen. Über die allgemeinen
Übereinstimmungen zwischen dem Osttiroler und Gottscheer Dialekt schreibt Prof.
Hornung in ihrem Buch "Mundartkunde Osttirols" auf Seite 147 das Folgende:
"Nach Ausschaltung der für eine Wortvergleichung des Gottscheerischen mit den
Mundarten des tirolisch-kärntnerischen Grenzbereiches nicht brauchbaren
Wortgruppen ergibt sich folgendes dialektgeographisches Bild: Zu einem
erheblichen Teil sind die Gottscheer Eigentümlichkeiten denen des Pustertales
bzw. des Lesachtales zuzuordnen."
Einer besonderen Erörterung bedarf hinsichtlich seiner Mundart und
Herkunftsfrage das "Suchener Hochtal", die westliche Randlandschaft des
Gottscheerlandes. Sie hat ihre eigene Besiedlungsgeschichte. Es gibt Gründe für
die Annahme, daß diese bereits mit der ersten Besiedlungsphase einsetzte. Wenig
spricht jedoch dafür, daß das Hochtal aus dem Hinterland, etwa von Göttenitz
aus, besiedelt wurde, weil es durch den Rieg-Göttenitzer Wald geradezu
verkehrsfeindlich abgeriegelt war. Hingegen war es aus dem Raum Altenmarkt, Laas,
Zirknitz, Idria ohne große Mühe zu erreichen. Diese Tatsache haben wohl auch die
Siedlungsplaner der Grafen von Ortenburg vor der Kolonisierung des Tales
ermittelt. Das Schloß Laas und seine Zugehörungen waren altes Lehen der
Patriarchen von Aquileja. Über diese hinaus wies die eben kurz umschriebene
Landschaft mehrere sprachinselartige Einflüsse mit deutscher Bevölkerung auf.
Das Zustandekommen dieser kleinen Siedlungen beschäftigte bereits den Schulrat
Josef Obergföll, der uns im 20. Jahrhundert wieder begegnen wird. Grothe geht
auf Seite 202 auf die diesbezüglichen Anmerkungen ein und schreibt: ".. . die
Bewohner des Suchener Hochtales, einer alten Aufzeichnung gemäß, von Idria und
der Wochein, also von den dort eingepflanzten Kolonien des Freisinger
Hochstiftes gekommen."
Grothe bedauert zunächst, daß Obergföll seine Quelle nicht angibt und wir sind
heute darauf nicht unbedingt angewiesen, weil wir in der Lage sind, der
Obergföllschen Mitteilung zur Herkunft der Suchener eine bisher nirgends
erörterte, geschichtliche Komponente hinzuzufügen: Schloß Laas und seine
Zugehörungen waren - ein Ausnahmefall! - jahrelang zwischen Aquileja und
Ortenburg strittig. Die Angelegenheit ist heute nicht mehr ganz durchsichtig,
doch ist soviel bekannt, daß die Grafen behaupteten, das Schloß gehöre ihnen zu
eigen, während die Patriarchen diesen Anspruch ablehnten. Jedenfalls hielten die
Ortenburger Laas über längere Zeit besetzt, bis Patriarch Pagano II. 1327 die
Geduld verlor und es zum "ledigen Lehen" erklärte. Die Ortenburger aber waren
durch diesen Spruch zum Abzug gezwungen, wollten sie nicht der "Felonie"
geziehen werden und damit alle ihre Lehen aus Patriarchenhand verlieren.
Trotzdem versuchte der ungebärdige Graf Hermann III. 1335 noch einmal. Schloß
Laas mit Handstreich zu gewinnen. Der damals bereits regierende Patriarch
Bertrand (siehe Villacher Konferenz von 1336) griff hart durch, vertrieb Hermann
und belehnte die in Kärnten eben zu Herzögen eingesetzten Habsburger Otto und
Albrecht mit dem Streitobjekt.
Schlußfolgerung: Die Grafen
von Ortenburg verfügten lange genug über Schloß Laas, weil sie in den
Zugehörungen und im Umkreis von Altenmarkt, Idria usw., Kolonisten für die
Ansiedlung im Suchener Becken fanden. Sie ersparten sich damit viel Weg, Zeit
und Geld, zumal in ihren eigenen Lehensgebieten Unterkrains Siedlungswillige
ohnehin nicht mehr in beliebiger Zahl zur Verfügung standen.
Unter diesen durchaus glaubhaften Voraussetzungen klärt sich wie von selbst auch
die Frage nach den Unterschieden zwischen der Suchener Haussprache und der
übrigen Gottscheer Mundart. Man war lange geneigt, anzunehmen, daß sich diese
Unterschiede in der Abgeschiedenheit des Suchener Hochtales "entwickelt" haben
und gewachsen sind, nun aber besteht kaum noch ein Zweifel, daß die Bevölkerung
dort von Anbeginn nicht anders gesprochen hat als bis zur Umsiedlung. Die
Vorfahren der Suchener Bevölkerung kamen, wie wir gesehen haben, andererseits
ebenfalls aus dem Kolonisationsstreubereich des Freisinger Eigenklosters
Innichen im Pustertal, doch offensichtlich nicht unmittelbar aus dem
Herkunftsgebiet der Urgottscheer. Wir sind der Zeit etwas vorausgeeilt, um die
Einheitlichkeit des Herkunftsnachweises durch die Mundart zu wahren. Das ist uns
hinsichtlich des Suchener Hochtales zunächst nur mit Hilfe einer geschichtlichen
Gedankenreihe gelungen. Der eigentliche sprachwissen-schaftliche Nachweis steht
zugegebenermaßen noch aus. Es wäre daher sicher ein reizvolles Thema für einen
angehenden Dialektgeographen der Wiener Schule, solange es noch gewissermaßen
Original-Suchener gibt, die obige geschichtliche These sprachwissenschaftlich zu
untermauern.
Wir haben nun noch die Frage zu beantworten, welche spezifisch gottscheerischen
Kulturgüter die Männer der Wissenschaft außer der reinen Sprechsprache im 19.
Jahrhundert gefährdet sahen. Das waren die mundartlich gebundenen liedhaften und
erzählenden Inhalte als Zeugnisse der Volksphantasie und -poesie, als da waren:
das Volkslied, die Sagen und Märchen, Mythen und Legenden, Erwachsenen- und
Kinderspiele, heitere und ernste Erzählungen, Brauchtum und Aberglauben,
teilweise aus heidnischer Wurzel.
Die Forscher und die Gottscheer selbst waren in der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts noch überzeugt, daß viel von dem ungehobenen Volkstumsschatz des
"Ländchens" bereits endgültig untergegangen sei. Mag sein, daß Lieder und
Erzählgut aufgegeben wurden, weil sie dem Volk nicht mehr gefielen. Als aber
Schröer und vor allem Hauffen auf Entdeckungsreise gingen, standen sie bei den
alten Menschen vor einer schier unerschöpflichen Fundgrube. Hauffen war es auch,
der das Gottscheer Volkslied als erster in die noch junge deutsche
Volkslied-Systematik einband. Er charakterisiert es auf Seite 130 seines Werkes
unter anderem wie folgt: "Manches harrt noch verborgen des Finders. Doch der
moderne Volksliederschatz anderer deutscher Landschaften vermittelt nicht diesen
Eindruck des Altertümlichen und Eigenartigen. Keiner weicht in der Form so von
allem übrigen ab, nur wenige bieten in den Einzelheiten so viel des Neuen dar,
wie der Gottscheer Liederschatz." - Hauffen zieht dann einen Vergleich zwischen
dem Volksliedschaffen der Siebenbürger und der Gottscheer: "In beiden
Sprachinseln werden die Volkslieder völlig in der Mundart gesungen. Das
Volkslied abgelegener Gegenden ist überhaupt in der Regel mundartlich, in beiden
wird die Ballade bevorzugt, in beiden gewähren die Lieder durch die Form meist
dreiteiliger Strophen, durch Auffassung und Darstellung einen altertümlicheren
Eindruck als die entsprechenden deutschen Parallelen."
Hauffen verneint auch nicht
einen gewissen Einfluß der anders-völkischen Umgebung. Das Gottscheer Volkslied
erscheint dem Nicht-Gottscheer Hauffen beim ersten Lesen ungewöhnlich, ja
fremdartig, und der Text ist ihm, auch ohne Melodie, zunächst unverständlich.
Dies lag größtenteils an der behelfsmäßigen Aufzeichnung der Lieder durch die
Sammler, deren eifrigste die jungen Lehrer waren. Unter ihnen befanden sich
Namen, wie Wilhelm Tschinkel, der Vater Dr. Walter Tschinkels, Josef Perz,
Mathias Petschauer u. a., ihre Namen sind im Hauffischen Werk zu finden. Der
Volksliedforscher aus Prag hatte es daher ungleich schwerer als sein Schüler und
Mitarbeiter Hans Tschinkel, das musikalische Gewand der Gottscheer Volsklieder
auszumachen und zu ihrem innersten Wesenskern vorzudringen. Aber auch Hans
Tschinkels Aufzeichnungen vermochten niemandem die eigentümliche Klangfarbe der
Vokale, überhaupt die Melodik der Mundart so eindeutig zu vermitteln, daß ein
hochmusikalischer, landfremder Deutscher imstande gewesen wäre, ein Gottscheer
Volkslied sozusagen vom Blatt zu singen. Erst die modernen technischen
Hilfsmittel erschließen dem persönlich oder wissenschaftlich interessierten
Nicht-Gottscheer lautgetreu die Lieder des "Ländchens".
Die Mehrzahl der Gottscheer Volsklieder dürfte nicht außerhalb der
gesamtdeutschen Entwicklung auf diesem Kultursektor entstanden sein. Schon
Hauffen sagte, daß die Deutschen im 15. und 16. Jahrhundert besonders sanges-
und wanderfreudig waren. Wenn wir nun bedenken, daß in diesen beiden
Jahrhunderten Tausende von
Gottscheer Hausierern im österreichisch-bairischen Dialektraum, im musikalisch
ungemein begabten Böhmen, auch in den deutschsprachigen Enklaven Krains
herumkamen, so ist nicht von der Hand zu weisen, daß sie eine unübersehbare Zahl
von Anregungen zur Weitergabe an die Leute daheim mitbrachten. Der Hausierer
lebte in seinem Handelsrevier ja nicht von der ansässigen Bevölkerung isoliert.
Er verbrachte die Abende am liebsten doch dort, wo es unterhaltsam war, in den
Herbergen, Gasthäusern oder bei gastfreundlichen Bauern.
Nicht zu übersehen ist die Funktion der Kirche und der von ihr wachgehaltenen
Gläubigkeit und Frömmigkeit der Bewohner des "Ländchens". Die Betreuung durch
die kirchliche Organisation und die religiöse Betätigung der Gläubigen waren von
Anbeginn der Kolonisation entscheidende Faktoren für das Weiterbestehen der
Schicksalsgemeinschaft im Karst. Bedingungslose Gläubigkeit und die durch das
Kirchenjahr klar gegliederte Brauchtumskette bildeten eine übergeordnete
geistige Kraft, die ihrer Seelenlage entgegenkam. Das Verharren der Kirche in
ihren Überlieferungen und der Hang der Gottscheer zum Leben im Althergebrachten
verbanden sich zu einer psychologisch äußerst wirksamen Einheit. Dazu kam, daß
die bäuerliche Bevölkerung im Pfarrer jahrhundertelang die einzige, stets
vorhandene Autorität sah, die auch die weltliche Ordnung beeinflußte. Und diese
Autorität sprach gottscheerisch, zumindest verstand sie deutsch. Schon die
Grafen von Ortenburg hatten zur Heranbildung seelsorgerischen Nachwuchses in
ihren krainischen Lehensgebieten zu Reifnitz eine Lateinschule eröffnet. Mit der
Gründung des Bistums Laibach im jähre 1461 wurde die Priesterausbildung nach
Laibach verlegt. Das Bistum Laibach nahm die Sprachinsel Gottschee, soweit sich
dies zurückverfolgen läßt, als völkische Besonderheit zur Kenntnis und versorgte
sie mit Geistlichen aus dem "Ländchen" selbst, mit deutschsprachigen
Geistlichen. Der Bedarf an solchen war gering. Um 1745 waren erst fünf Pfarreien
zu betreuen.
Ihre Zahl stieg mit der Bevölkerung im 19. Jahrhundert auf elf Pfarrgemeinden
mit rein gottscheerischer Bevölkerung: Göttenitz, Rieg, Morobitz,
Gottschee-Stadt, Mitterdorf, Altlag, Obermösel, Nesseltal, Stockendorf,
Tschermoschnitz und Pöllandl. Pfarren mit gemischtsprachiger Bevölkerung in den
Randgebieten wurden grundsätzlich mit slowenischen Pfarrern besetzt.
Seltsamerweise erhielt aber auch das Suchener Hochtal seit Menschengedenken nur
slowenische Priester. Kirchenorganisatorisch waren die Pfarren des
Gottscheerlandes einem Dekanat mit dem Sitz in der Stadt unterstellt.
Die stärksten Priester-Persönlichkeiten brachten die Gottscheer - nicht zufällig
- in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts hervor. Ihr Wirken ragte in den meisten
Fällen noch in das 20. Jahrhundert hinein: Das höchste kirchliche Amt, in das
ein Gottscheer Priester berufen wurde, trug von 1898 bis zu seiner Pensionierung
der Domherr und Kanonikus Josef Erker in Laibach. Er stammte aus Mitterdorf, wo
er 1851 zur Welt kam, und starb 1924 in der Stadt Gottschee, der er mit großem
Idealismus und Beharrungsvermögen das "Waisenhaus" vermittelt hatte. Es
unterhielt eine dreiklassige Bürgerschule für Mädchen unter Leitung von
katholischen Schulschwestern.
Mädchenerziehungsanstalt "Marienheim" in Gottschee
Diese Anstalt besaß für die weibliche Jugend des "Ländchens" ungefähr die
gleiche Bedeutung wie das Untergymnasium für die Knaben. Noch als Domkaplan
gründete Josef Erker gemeinsam mit seinem Schwager Franz Jonke den
"Waisenhaus-Verein", dem es unter seiner tatkräftigen Leitung gelang, rund
90.000 Gulden für die gemeinnützige Einrichtung zu sammeln. Sein Bruder
Ferdinand Erker, geboren 1866 in Mitterdorf, gestorben am 13. Oktober 1939 in
Gottschee, war der letzte deutsche Dechant in Gottschee und Ehrendomherr in
Laibach.
Ein weiterer Geistlicher namens Josef Erker aus Mitterdorf (1873 bis 1939)
amtierte jahrzehntelang in der Pfarre Obermösel, deren Geschichte er in der "Gottscheer
Zeitung" in zahlreichen Fortsetzungen veröffentlichte. In Mitterdorf selbst
wirkte der Geistliche Rat Josef Eppich, geboren 1874 in Malgern, gestorben unter
tragischen Umständen 1942, als geachteter Seelsorger. Er war derjenige
Gottscheer Geistliche, der sich in der Öffentlichkeitsarbeit, bzw. politisch,
unter schwierigsten Umständen für seine Heimat am meisten exponierte. Er war
Eigentümer und Herausgeber der "Gottscheer Zeitung" seit 1919, wurde 1927 in den
Landtag Sloweniens gewählt, ohne dort für das Weiterbestehen des Gottscheer
Schulwesens, das ihm sehr am Herzen lag, mehr tun zu können, als beschwörende
Worte zu verlieren.
Als hervorragender Prediger
und Herausgeber des "Gottscheer Kalenders" bekannt war der Geistliche Rat August
Schauer, geboren 1872 in Pöllandl, gestorben 1941 in Nesseltal, wo er
jahrzehntelang das Pfarramt innehatte und kraft seiner überragenden
Persönlichkeit Gesicht und Gewicht seiner Gemeinde prägte.
Ungewöhnlich volksverbunden war der Geistliche Rat Alois Krisch, geboren 1893 in
Rieg, gestorben 1966 in Brandenberg/Tirol, der zuletzt das Seelsorgeamt daheim
in Altlag ausübte. In unserem Andenken auch Herrn Pfarrer Heinrich Wittine,
geboren 1891 in Lichtenbach, gestorben 1977 in Graz. Außerhalb des eigentlichen
Bereiches der Verstreuung treffen wir zwei Gottscheer Ordensgeistliche in
maßgeblichen Stellungen an: Julius Josef Gliebe, 1891 in Langenton geboren, war
65 Jahre an der Kirche St. Mary of Assumtion in Kalifornien als Pfarrer tätig,
wo er im Jahre 1974 starb. Pater Anton Fink, geboren am 27. November 1915 in
Altlag, war seit 1955 Generalprokurator der Missionskongregation der Brüder vom
Heiligsten Herzen Jesu in Rom (Vatikan).
Ein weiterer Ordensgeistlicher ("Gesellschaft des Göttlichen Wortes") Pater
Mathias Schager, geboren 1935 in Maierle, lebt in Wien. Nach seinem
Theologiestudium in Wien, Bonn und München wirkte er als Kinder- und
Jugendseelsorger in Wien, wo er dann eine Stelle als Pfarrer übernommen hat.
In Niklasdorf bei Leoben amtiert als Pfarrer ferner Josef Seitz, geboren 1932 in
Malgern.
Bevor wir uns aus dem 19. Jahrhundert entfernen, gebührt einer außerordentlichen
Lehrerpersönlichkeit des Gottscheerlandes die ehrende Erwähnung: Die Rede ist
von dem "Alten Lehrer" Josef Erker, geboren 1824 in Mitterdorf, gestorben 1906
in Gottschee. Er wurde nach der Neuordnung des österreichischen Schulwesens
durch das Reichsvolksschulgesetz von 1869 in den staatlichen Schuldienst
übernommen. Als Erzieher und Mensch war er gleich erfolgreich. Durch seine Hände
gingen zahlreiche Talente des weiten Schulsprengels Mitterdorf, die ihrerseits
wiederum - auf seiner pädagogischen Leistung und dem Untergymnasium in Gottschee
aufbauend - im Leben vielfach Überdurchschnittliches erreichten. Zu ihnen
zählten seine beiden Söhne, Dompfarrer und Kanonikus Josef und Dechant Ferdinand
Erker.
Wenn die Zahl der Kirchen in einem Bereich als Maßstab für die Religiosität der
darin lebenden Menschen gelten soll, so waren die Gottscheer in der Tat sehr
fromm. Auf dem ihnen unmittelbar gehörenden Siedlungsgebiet - der Auerspergsche
Herrschaftwald kann hier abgezogen werden - standen rund hundert Pfarr- und
Filialkirchen sowie kirchenähnliche Kapellen. Und keine von ihnen war ohne
Glocke. Nach dem Ersten Weltkrieg wetteiferten die Amerika-Gottscheer geradezu
dorfweise, um die zwischen 1914 bis 1918 für militärische Zwecke
eingeschmolzenen Glocken zu ersetzen.
In der Einleitung zur Beschreibung des 19. Jahrhunderts stellten wir fest, daß
das Gottscheerland hundert Jahre später zwar von den Gottscheern noch bewohnt,
in seinem Gesamtbild jedoch völlig verändert sein würde. Der Wandlungsprozeß
spielte sich jedoch nicht unbeachtet und unbeobachtet von der anderssprachigen
Umgebung ab. Der slowenische Nationalismus hatte sich in der ersten Hälfte des
19. Jahrhunderts weiter verdichtet und am Widerstand gegen das Deutschtum in
Krain formiert. Dies gilt weniger für die unmittelbare
gottscheerisch-slowenische Nachbarschaft an den Randgebieten der Sprachinsel.
Dort verstand und verständigte man sich wie eh und je - vor allem über
wirtschaftliche Dinge. Der steigende politische Druck auf die Gottscheer ging
vielmehr von einer ständig wachsenden, panslawistisch orientierten Beamtenschaft
aus. In ihren Augen wies die Landkarte des slowenischen Lebensraumes, der ja
nicht identisch war mit Krain, einige Schönheitsfehler auf, die es zu beseitigen
galt: Das städtisch-bürgerliche Deutschtum in der Landeshauptstadt Laibach sowie
in den Städten der Untersteiermark, Marburg an der Drau, Cilli und Pettau.
Namentlich aber störten sie die beiden ländlichen Sprachinseln Zarz in Oberkrain
und Gottschee in Unterkrain. Zarz wurde im Laufe des Jahrhunderts systematisch
aufgerieben, was verhältnismäßig leicht fiel, weil es sich - im Gegensatz zu
Gottschee - um ein kleines, nicht geschlossenes Siedlungsgebiet handelte.
Eine Periode erbitterter Kampfstimmung gegen das krainische Deutschtum erreichte
ihren Höhepunkt in den vierziger Jahren, genauer im Jahre 1848. Das krainische
Deutschtum befand sich zur gleichen Zeit in erwartungsvoller politischer Unruhe,
weil scheinbar die Gründung eines Reiches unter Einfluß der österreichischen
Kronländer bevorstand. Alle Hoffnung klammerte sich an die Nationalversammlung
in Frankfurt am Main, die endlich die deutsche Kleinstaaterei beseitigen sollte.
Auch Krain sollte Abgeordnete wählen, das heißt, nicht nur die deutschsprachige,
sondern ebenso die slowenische Bevölkerung. Aus der damaligen Zeit heraus wird
es daher verständlich, wenn sich auch die Gottscheer die Lösung aller ihrer
Probleme von einer deutschen Einheit erwarteten. Kein Wunder, daß auch sie die
Stimme des Freiheitsdichters Anastasius Grün gerne vernahmen, wie wohl nicht
anzunehmen ist, daß man von Anbeginn in Gottschee wußte, wer sich hinter diesem
Decknamen verbarg, nämlich: Graf Anton Alexander von Auersperg, geboren 1830 in
Laibach, gestorben 1876 in Graz. Er gehörte der Gräflich-Auerspergischen Linie
in Krain an und hatte somit keine unmittelbare Beziehung zu Gottschee. Deshalb
ist es auch fraglich, ob Gottschee im besonderen für ihn ein Anliegen war. Sein
Gut lag in Thurn am Hart im mittleren Krain. - Der Dichter, der gesamtdeutsch
dachte, empfand dennoch für Krain ein Heimatgefühl, ohne den Slowenen in seinem
Inneren ablehnend gegenüberzustehen. Er glaubte sogar, daß sie sich erst im
Rahmen eines größeren deutschen Staates richtig würden entfalten können. Das war
es aber gerade, was die national überaus erregte slowenische Führung ablehnte.
Ebenso verwarf sie die Ansicht des Dichters Anastasius Grün, daß die deutsche
Eiche und die slawische Linde nebeneinander wachsen könnten.
Im Februar 1848 wandte sich der dichtende Graf Auersperg mit dem flammenden
Appell: "An meine slowenischen Brüder!" an die Krainer und forderte sie auf,
Abgeordnete zum Frankfurter Parlament zu wählen. Sie selbst standen vor einer
Alternative, die ihnen ihre noch von Wien aus agierende und agitierende Führung
auferlegte: Für ihre Zugehörigkeit zu einer slawischen Großmacht zu kämpfen. Der
in dem Verein "Slovenija" zusammengeschlossene Führungskreis verlangte von ihr,
daß sie die Wahl ablehnte und sich diesen offenen Widerstand mit amtlichen
Protokollen bescheinigen ließe. Es kam zur Wahl. Die Gottscheer gaben ihre
Stimme einem Abgeordneten, den sie nicht kannten und zu dem sie weder eine
politische noch menschliche Beziehung besaßen, weil er kein Gottscheer war.
Das Schicksal der deutschen Nationalversammlung von Frankfurt ist bekannt, sie
zerfiel, ohne ihre Ziele erreicht zu haben. Tiefe Depression auch bei den
Deutschen in Krain, Triumph bei den Slowenen, die den Mißerfolg in Frankfurt wie
einen eigenen Sieg feierten. Mit verstärkter Energie verfolgten sie die
Verwirklichung ihrer Ideale. In der Sprachinsel kam es 1854 zum ersten gezielten
Eingriff der Landesregierung in die mittlere Verwaltungsebene, die
Bezirkshauptmannschaft: Die Moschnitze wurde der rein slowenischen
Bezirkshauptmannschaft Rudolfswert (Novo mesto), Stockendorf, und das
Weinbaugebiet von Maierle dem ebenfalls rein slowenischen Bezirk Tschernembl (Crnomelj)
einverleibt. Die Absicht, die gewachsene innere Einheit des Gottscheer Völkchens
zu zerstören, mißlang.
Wie man auf slowenischer Seite in der gegenwärtig lebenden, vom jugoslawischen
Sozialismus geprägten Generation, die damalige Gegenüberstellung
slowenisch-deutsch sieht, dafür liegt ein literarischer Nachweis vor, das Buch:
"Anastasius Grün in Slovenci" (Anastasius Grün und die Slowenen). Es erschien
1970 in Marburg an der Drau und stammt aus der Feder von Dr. Breda Pozar. Der
Inhalt wird dem des Slowenischen unkundigen Leser in einer deutsch geschriebenen
"Zusammenfassung" nahegebracht. Die Autorin legt an die Symbolfigur Anastasius
Grün uneingeschränkt den slowenischen Maßstab an: "Die Einstellung Grüns gegen
die Slowenen in politischer und sozialer Hinsicht war die des deutschen
Aristokraten und Grundherrn. Er war im Grunde gegen jede Gleichberechtigung von
Slowenen mit den Deutschen. Er war überzeugt, daß dem deutschen Volk die
führende Rolle gebührt gegenüber den kulturell und wirtschaftlich rückständigen
Slowenen. Er wollte die Lebensinteressen des Volkes nicht anerkennen und hatte
den revolutionären Kampf seiner slowenischen Untertanen nie verstanden. So
wirkten seine Gesinnungen als Schriftsteller, die begeisterte Liebe für Freiheit
und Aufopferung für die Menschheit als eine Affektation."
Anastasius Grün wird jedoch in dem Augenblick zum "guten" Deutschen, da er sich
mit dem slowenischen Volkstum befaßt. Es heißt auf Seite 270 nämlich weiter:
"Wenn sich Grün auch als überzeugter Deutscher nach dem Jahre 1848 in seinem
politischen Wirken immer für die Interessen der Deutschen und Grundbesitzer
einsetzte, war er in seinem ganzen Leben dem slowenischen literarischen Schaffen
freundlich gesinnt." Zum besseren Verständnis dieses Satzes sei angefügt, daß
Anastasius Grün mit dem größten slowenischen Dichter, France Preseren, der
seinerseits auch noch in deutscher Sprache dichtete, eng befreundet war. Auf
Seite 271 bescheinigt die Autorin dann dem deutschen Freiheitsdichter: "Grün
befaßte sich mit der slowenischen Literatur, indem er slowenische Volkslieder in
die deutsche Sprache übersetzte. Seine gedruckte Sammlung erschien im Jahre
1850. Sein großes Verdienst war, daß er damit die slowenische Poesie in die
deutsche Literatur einführte."
Das politische Fazit für die Gottscheer im 19. Jahrhundert: Um die Mitte des
Zeitraumes wurden sie um ihre bis dahin größte Hoffnung ärmer. Die slowenische
Führung indessen machte ihnen ihr Dasein in Unterkrain streitig. Dennoch fühlten
sie sich an der Wende zum 20. Jahrhundert in der österreichisch-ungarischen
Monarchie noch geborgen. Im übrigen aber haben die Gottscheer nunmehr den
Anschluß an das Zeitalter der modernen Zivilisation und Technik weitgehend
gefunden. Es wird sich bald zeigen, was sie dafür eingehandelt haben.
Und das war um die Jahrhundertwende ihre wirtschaftliche Grundlage: Der
landwirtschaftlich genutzte Boden belief sich auf rund 70.000 ha. Er befand sich
in den Händen von etwas mehr als 8000 Besitzern. 8,6 % waren Ackerland, 20,6 %
Wiese, 34,4 % Hutweide, 34,7 % Wald und 1,7 % andere Kulturarten (nach Dr.
Podlipnig, Kulturbeilage der Gottscheer Zeitung Nr. 46/1973).
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