Die Geschichte der Gottschee
20/1.
Jahrhundert
Dr. Erich Petschauer, 1980
Aus dem
"Jahrhundertbuch der Gottscheer"
Die Feststellung, daß nun in
unserer Gottscheer Geschichtsschreibung das 20 Jahrhundert beginnt, ist
eigentlich nur eine kalendarische Pflichtübung, kerne Zeitenwende, kein tiefer
Einschnitt, die beiden Jahrhunderte liefen in Gottschee ebenfalls glatt
ineinander über. Die gravierenden Veränderungen waren bereits im 19 Jahrhundert
geschehen. Die ungehemmte Auswanderung lief weiter - immer weniger
Amerika-Fahrer kehrten zurück. Die Zahl der Hausierer nimmt ab. Ihre
Wandergewerbescheine sind doppelsprachig geworden, Deutsch steht noch an erster
Stelle.
Die Stadt Gottschee wächst und modernisiert sich weiter. In allen ihren
Lebensbereichen ist die energisch führende Hand des Bürgermeisters Alois Loy zu
spüren. Er lebte von 1860 bis 1923. Er war einer der bedeutendsten
Persönlichkeiten, die das Gottscheerland hervorgebracht hat. Seine ungewöhnliche
Begabung für die Kommunalpolitik und seine Überlegenheit als Mensch und
Charakter wurden frühzeitig erkannt. Bereits mit 21 Jahren gehörte er dem
leitenden Ausschuß der Stadtsparkasse an und mit 29 Jahren wurde er zum
Bürgermeister gewählt. 33 Jahre blieb er, von keiner Seite angefochten, erst
nach 1918 von der neuen Staatsgewalt aus dem Amt vertrieben, seiner Stadt treu.
Die Gottscheer Zeitung vom September 1962 widmete ihm ein Gedenkblatt folgenden
Inhalts: "Unter ihm wurde aus dem dorf- und marktähnlichen Ort ein schmuckes
Städtchen. Überall hatte er seine ordnende und betriebsame Hand im Spiele. Daß
beim Bau der Unterkrainer Bahn die Interessen
Gottschees ausreichend Berücksichtigung fanden, war mit sein Verdienst. Unter
seiner tatkräftigen Initiative entstand der imponierende Bau der Volksschule,
wurden das städtische Wasser- und Elektrizitätswerk und die untere Brücke
errichtet.
Ein besonderes Verdienst Loys ist der Ausbau des Gymnasialgebäudes. Er verstand
es auch durchzusetzen, daß die Anstalt ein Obergymnasium erhielt und daß die
Holzfachschule vom Staat übernommen wurde. Der Verein Studentenheim kam durch
ihn zu Haus und Besitz. Als Obmann des Kirchenbauausschusses verstand er es
tatkraftig, den Bau der Stadtpfarrkirche - noch heute eine Zierde der Stadt -
voranzutreiben. Für seine Verdienste erhielt Loy das "Goldene Verdienstkreuz mit
der Krone und den Titel eines kaiserlichen Rates." - Die Ausstrahlung seiner
Persönlichkeit befruchtete das ganze "Ländchen".
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts tauchten in der Stadt Gottschee zum erstenmal
Presse-Erzeugnisse auf: Die "Gottscheer Nachrichten", der "Gottscheer Bote" und
Der Landwirt". Alle drei Blätter erschienen 14tägig und wurden in der eben
gegründeten Druckerei des J. Pavlicek gedruckt. Sie wendeten sich in erster
Linie an die Bauern. 1905 entstand der "Gottscheer Bauernbund".
Eine lebhafte Diskussion über
Fragen der österreichisch-ungarischen Monarchie und die eigenen politischen,
kulturellen und wirtschaftlichen Belange beschäftigte die Gemüter. Die
Abonnentenzahlen von Grazer und Wiener Zeitungen stiegen im Gottscheerland.
1907 dürfen die Gottscheer - zum erstenmal als eigener Wahlkreis organisiert -
einen Abgeordneten zum Wiener "Reichsrat" wählen. Zwei Parteien stellen ihren
Kandidaten auf, die "Liberalen" - von ihren politischen Gegnern als "die Roten"
bezeichnet - und die "Christlich-Sozialen", von der Gegenseite als "die
Schwarzen" abgestempelt. Der Kandidat der Liberalen heißt Fürst Karl von
Auersperg, Herzog von Gottschee (1859 bis 1927).
Sein Gegenkandidat: Schulrat Josef Obergföll, Gymnasiallehrer in Gottschee. Der
Wahlkampf wurde mit einer bis dahin unbekannten Heftigkeit geführt und artete
vielfach zu Schlägereien aus. Einer der eifrigsten Wahlredner war der Student
Peter Jonke aus Obermösel, ein Liberaler.
Der Fürst gewann die Wahl. Er konnte kraft seiner vielseitigen Beziehungen in
Wien, die bis ins Kaiserhaus und in die Ministerien reichten, für die Bewohner
seines Wahlkreises natürlich mehr tun, als sein unterlegener Gegner.
1910 erhielten dann die Gottscheer gewissermaßen die Quittung für das 19.
Jahrhundert, das Ergebnis der letzten und damit authentischen Volkszählung in
der österreichisch-ungarischen Monarchie: Nur noch 17.350 Menschen bekannten
sich im Gottscheerland zur deutschen Muttersprache (Grothe, Seite 80). Die
Differenz von rund 8600 auf die geschätzte Bevölkerung des Jahres 1875
(25.000-26.000) gibt nicht einmal den wirklichen Wanderungsverlust wieder, er
ist tatsächlich wesentlich höher. Seit der Mitte der siebziger Jahre des 19.
Jahrhunderts waren ja 35 Jahrgänge zur Welt gekommen. Davon waren die ersten
sieben noch in voller Stärke geboren worden, weil in der Regel keine Ehepaare,
sondern nur ledige, aber heiratsfähige junge Leute fortzogen. Sie heirateten
erst in den USA. In der Bevölkerungsbilanz des "Ländchens" fehlten daher nicht
nur sie selbst, sondern auch ihre "drüben" geborenen Nachkommen. Daheim wurde
Jahrgang für Jahrgang schwächer. Trotzdem gab es noch einen, wenn auch
bescheidenen. Geburtenzuwachs. Setzen wir ihn vorsichtigerweise für die Zeit von
1875 bis 1910 mit rund 3500 Köpfen an.
Diese Zahl überdeckt den Verlust durch die Auswanderer, sie muß daher den
rechnerisch ermittelten 8600 zugezählt werden. Dadurch erhöht sich der wirkliche
Bevölkerungsverlust auf 12.000 bis 12.500 Seelen. Soweit die nüchternen Zahlen,
in denen auch die Angehörigen von Intelligenzberufen, die außerhalb der engeren
Heimat ein Unterkommen suchen mußten, und deren Zahl auch nicht annähernd
angegeben werden kann, mit inbegriffen sind. Der Bedarf an Lehrern und
Geistlichen war begrenzt, die Stadt Gottschee bot nur ganz wenigen Juristen,
Ärzten und Beamten oder Unternehmern mit höherer Schulbildung berufliche
Chancen. Auf dem Lande bestand für die aufgezählten Berufsgruppen kein Bedarf.
Die natürliche Bevölkerungsbewegung innerhalb der Gottscheer Bauern war durch
den schweren Aderlaß seit den achtziger Jahren empfindlich gestört. Der kleine
Volkskörper hatte so viel biologische Substanz abgegeben, daß es nicht nur nicht
mehr möglich war, sondern auch nicht mehr nötig war, die ein Menschenalter zuvor
erforderliche Kulturfläche weiterhin in vollem Umfange zu bewirtschaften. Die
Folge war eine Vernachlässigung des Weidelandes und der höher gelegenen Wiesen,
die wiederum das Absinken des Viehbestandes nach sich zog. Der Wald aber trieb
unverzüglich sein niederes Fußvolk, Gestrüpp und Stauden, in das ihm überlassene
Gelände vor.
Kulturell war die Sprachinsel Gottschee zu Beginn des 20. Jahrhunderts infolge
des voll ausgebauten Schulwesens und der ausschließlichen Verwendung der
deutschen Hochsprache in den Kirchen, im Umgang mit den Ämtern, im
Geschäftsleben, in der Presse und im Buch bis hinein in die privateste Sphäre
des Gebetbuches und des Tischgebets ein Bestandteil jenes Lebensraumes in
Mitteleuropa geworden, in dem alles Schriftliche deutsch ausgedrückt wurde. Als
alltägliche Umgangssprache hatten die Gottscheer jedoch ihren mittelalterlichen
bairisch-österreichischen Dialekt behalten. Freilich war noch ein anderer
Gedanke in die Dörfer des Siedlungsgebiets eingezogen, die Sorge um das
Gottscheerland. Sie steigerte sich zur Befürchtung, als am 28. Juni 1914 der
österreichisch-ungarische Thronfolger Franz Ferdinand einem Attentat zum Opfer
fiel. Mit dem Instinkt der gefährdeten Kreatur ahnten die Gottscheer das
kommende Unheil, den Zerfall der Donaumonarchie unter der Zentrifugalkraft des
west-südslawischen Nationalismus. Das Völkchen im Karst hatte, wie auf das Jahr
genau ein halbes Jahrtausend vorher, seine Schutzmacht verloren . ..
Am 21. November 1916 starb "der alte Kaiser" Franz Josef I., in seinem 86.
Lebens- und 68. Regierungsjahr, schon zu Lebzeiten eine legendäre Erscheinung,
auch und besonders für die Gottscheer. Gottschee war dem Monarchen ein fester
Begriff, vor allem durch den Fürsten Karl von Auersperg. Wiederholt hatte der
Kaiser Bittgesuche aus der Sprachinsel mit Geldspenden aus seiner
Privatschatulle beantwortet.
Ganz Wien trug in jenen trüben Novembertagen nicht nur die sterbliche Hülle des
alten Kaisers zu Grabe, sondern auch die Staatsidee und die Tradition des Hauses
Habsburg. Der Zusammenbruch ihres geschichtlich gewachsenen
Nationalitätenstaates war nur noch eine Frage der Zeit. Franz Josefs Nachfolger,
Kaiser Karl I. von Habsburg-Lothringen, hatte der vorandrängenden Katastrophe
nichts entgegenzusetzen, auch Franz Ferdinand hätte sie nicht aufhalten können.
Ende November, Anfang Dezember 1918 konstituierte sich das Königreich der
Serben, Kroaten und Slowenen (SHS) unter König Petar I. Karadjordjevic. Das
frühere Kronland Krain wurde mit der Untersteiermark zu der neuen Provinz
Slowenien zusammengelegt. Ihre Nachbarn waren im Westen Italien, im Norden die
Republik Österreich und im Osten das verkleinerte Ungarn.
Die Gottscheer waren zunächst ratlos. An einen Widerstand wie zu Zeiten
Napoleons war nicht zu denken. Alles war plötzlich anders. Bis auf jene in
russischer Kriegsgefangenschaft kehrten die Krieger bald heim. Zunächst zaghaft
setzte eine Diskussion, wie der neuen Lage zu begegnen wäre, ein. Eines Tages
war ein faszinierender Plan aufgetaucht. Es läßt sich nicht mehr rekonstruieren,
wer als erster den Gedanken aussprach, aus dem Gottscheerland eine kleine
Republik, ähnlich wie Andorra, zu machen und sie dem Protektorat der Vereinigten
Staaten anzuvertrauen. Man erhoffte sich für diesen Vorschlag eine wirksame
Unterstützung von selten der Amerika-Gottscheer. Vielleicht gelang es ihnen,
einen Machtspruch des Präsidenten Wilson herbeizuführen. Wilson, damals der
mächtigste Mann der Welt, hatte mit seinen 14 Punkten bei allen neu entstandenen
Minderheiten Europas Hoffnungen auf das Selbstbestimmungsrecht ausgelöst. Eine
Denkschrift mit allen wesentlichen Angaben über Land und Leute von Gottschee
wurde erarbeitet und ein Flugblatt herausgegeben. Eine Delegation für eine
Vorsprache bei der Pariser Friedenskonferenz wurde gebildet.
Der Plan schlug fehl, wie jener im 16. Jahrhundert, als die Gottscheer
beschlossen, den Grafen von Blagay finanziell abzulösen und sich selbst zu
verwalten. Die Gottscheer fanden allenthalben verschlossene Türen. Der Weg zur
Beseitigung des Gottscheerlandes aber war nun frei.
Wenn man den Komplex Deutschtum-Slowenentum völkerpsychologisch angeht, kann man
mit historischen Mitteln wenigstens etwa das Verhalten der slowenischen Führung
gegenüber den Gottscheern zwischen 1918 und 1941 verständlich machen. Es ist
nicht Aufgabe zu untersuchen, auf welchen geschichtlichen Wegen die slowenischen
Romantiker des 19. und 20. Jahrhunderts im Rahmen ihrer Eigenbewertung zu der
bei Dr. Pozar vorgefundenen Konfrontation gegenüber dem Deutschtum gekommen
sind, die darin gipfelt, daß der Deutsche stets und überall der Unterdrücker
war, der sich der Entwicklung des slowenischen Volkstums entgegenstellte. Der
Habsburger Monarchie warf man darüber hinaus vor, daß sie slowenische Menschen
unter politischem und wirtschaftlichem Druck germanisiert habe und verstieg sich
zeitweilig unter Ableugnung der geschichtlichen Tatbestände zu der Behauptung,
die Gottscheer seien germanisierte Slowenen. Der slowenischen Führungsschicht
wurde es schon im 19. Jahrhundert unerträglich, daß sie, wollte sie sich
politisch, kulturell und gesellschaftlich durchsetzen, deutsch sprechen mußte.
Vom Panslawismus gelenkt, übertrug sie schließlich ihre Antipathie gegen alles,
was deutsch war, auf das deutsche Wesen, auf die gesamte deutsche Kultur, wo
immer sie auch in Erscheinung trat.
Wenn nun im folgenden Kapitel die staatlichen Maßnahmen zur Slawisierung der
Gottscheer aufgezeigt werden, so geschieht dies nicht, um alte Wunden
aufzureißen. Die Gottscheer haben sich mit dem Verlust ihrer alten Heimat
politisch abgefunden. Die Aufzählung der Unterdrückungsmaßnahmen nach 1918
geschieht auch nicht, um beschwerdeführend vor die Geschichte hinzutreten: Sie
sind jedoch ebenfalls Gottscheer Geschichte und werden ausgesprochen, weil sonst
das Verhalten der Gottscheer in den dreißiger Jahren unverständlich bliebe.
Schließlich ging seit dem Ende des Jahres 1918 eine Flut von Gesetzen des
Staates, Verordnungen der Landesregierung, Verfügungen der
Bezirkshauptmannschaft und der Sicherheitsorgane mit entsprechenden
Strafandrohungen auf die wehrlosen Gottscheer nieder.
Zum slowenischen Führer hatte sich bereits bis 1918 Dr. Anton Korosec kraft
seiner politischen Erfahrung als Volkstumskämpfer und Parlamentarier
emporgearbeitet. Die Ironie des Schicksals: "Korosec" heißt zu deutsch "der
Kärntner".
Noch bevor der eben gegründete Staat der Serben, Kroaten und Slowenen vollends
zur Ruhe gekommen war, forderte ein Komitee in Laibach, das sich "Narodna vlada"
nannte, etwa gleichbedeutend mit "nationale Regierung", die Schließung aller
deutschen Schulen und die Beschlagnahme aller Schulvereinshäuser in Gottschee.
Daraus war bereits die Hauptstoßrichtung gegen das Gottscheerland erkennbar. Im
Gegensatz zu den eigenen Erfahrungen im Volkstumskampf verweigerte die
slowenische Führung den Gottscheern die politische Selbstbestimmung, ja, sie
gewährte ihnen nicht einmal die kulturelle Selbstverwaltung. Ihre Art der
"Selbstbestimmung" sah so aus: Sie stellte den Deutschen in Slowenien frei, sich
um die Staatsbürgerschaft Österreichs zu bewerben. Da jedoch nur die Intelligenz
bezüglich des Wohnortes beweglich genug war, um nach Österreich wirklich
umzuziehen, zielte dieser Lockruf in erster Linie auf die Gottscheer Lehrer und
die Beamtenschaft. Schon im Laufe des Jahres 1919 wurde erkennbar, daß das
"Ländchen" führungslos gemacht werden sollte, um dann nach dem Beispiel der
Sprachinsel Zarz in Oberkrain innerhalb von zwei, drei Menschenaltern als
deutsche Enklave verschwunden zu sein. Um bei diesem Vorhaben nicht durch
internationale Bindungen von außen gestört zu werden, unterschrieb der SHS-Staat
im Jahre 1919 zwar den Vertrag von St-Germain mit Österreich sowie jenen von
Trianon mit Ungarn. In beiden Verträgen hat sich Jugoslawien zum Schütze seiner
Minderheiten verpflichtet, diesen jedoch nicht in seine Verfassung eingebaut.
Der Völkerbund hat ebenfalls den Minderheitenschutz in Jugoslawien garantiert,
eingehalten wurde er nie.
Außer dem deutschen Schulwesen sollten aber auch alle anderen tragenden Elemente
des Gottscheertums zu Fall gebracht werden. Diese waren das Hochdeutsche als
Verwaltungs- und Geschäftssprache, die Mundart als Umgangssprache der
Landbevölkerung und unverwechselbare Trägerin der Gottscheer Traditionen. Zu
brechen waren außerdem der Widerstandswille im Volkstumskampf und die
wirtschaftliche Standfestigkeit. Die deutsche Schriftsprache ließ sich aus dem
ländlichen Leben ohne Schwierigkeiten entfernen. Bei der familiengebundenen
Mundart war das schwieriger, aber auch da fand man einen Weg. In seiner
Dokumentation: "Warum sind die Gottscheer umgesiedelt?" stellt der in Villach
lebende Rechtsanwalt Dr. Viktor Michitsch aus Göttenitz die wesentlichsten
Maßnahmen zur Entvolkung der alten Sprachinsel zusammen:
Die erste einschneidende Maßnahme war die Absetzung der deutschen
Landbürgermeister zum 31. Dezember 1918. Wenige Monate später wurde der
Bezirkshauptmann Otto Merk vom Dienst suspendiert. Das Slowenische wurde an den
Volksschulen als Pflichtfach eingeführt. Der Bezirksschulinspektor Mathias
Primosch wurde seines Amtes, das seit 1891 bestand, enthoben. Mit dem Schuljahr
1919/20 begann die vollständige Slowenisierung des Gymnasiums. Deutsch war nicht
einmal mehr als Wahlfach zugelassen. Das dem Gymnasium angegliederte
Studentenheim wurde entschädigungslos beschlagnahmt und einem slowenischen
Verein übereignet. Das Waisenhaus mit der Mädchen-Bürgerschule wurde unter
slowenische Leitung gestellt, der deutsche Schulunterricht verboten. Die
Fachschule für Holzbearbeitung wurde geschlossen. Die beiden deutschen
Kindergärten in der Stadt mußten ihre Tätigkeit einstellen. Der Gottscheer
Lehrerverein wurde nach 41 jährigem Bestehen verboten, sein Vermögen eingezogen,
seine Korrespondenz beschlagnahmt.
Parallel zur Zurückdrängung
des deutschen Schulunterrichts wurde die Zahl der Lehrer dezimiert. Von den 71
im Jahre 1918 unterrichtenden deutschen Lehrpersonen wurden von 1919 bis 1922
nicht weniger als 33 über das zweifelhafte Optionsverfahren für Österreich aus
dem Lande gedrängt. Sie hatten keine Möglichkeit zu bleiben, auch nicht,
außerhalb ihres Berufs. Unter ihnen befanden sich geistig führende Männer, wie
der Gymnasialprofessor Peter Jonke und sein Kollege Josef Obergföll, der
bedeutende Volkstumsforscher Wilhelm Tschinkel, Bezirksschulinspektor Mathias
Primosch u. a. ältere Lehrer, die des Slowenischen nicht mächtig waren, wurden
vorzeitig pensioniert.
Die Dezimierung der bäuerlichen Bevölkerung der Sprachinsel wurde in Etappen
durchgeführt. Nach der weitgehenden Entfernung der Lehrer wurde das Slowenische
als Unterrichtssprache eingeführt. Gleichzeitig wurden die "deutschen
Abteilungen" erfunden. 1926 gab es davon nur 16. Von einem zusammenhängenden
deutschen Unterricht war dabei keine Rede mehr, weil bestimmte Fächer nur in
slowenischer Sprache unterrichtet werden durften und weil kaum noch Lehrer, die
den deutschen Restunterricht hätten erteilen können, zur Verfügung standen. -
Die nächste Stufe waren die sogenannte Grundschule und die "National-Schule".
Die letztere umfaßte die 5. bis 8. Klasse. Der Besuch der "National-Schule"
wurde auch für die Schüler der deutschen Abteilungen verbindlich.
Die nächste Stufe: Um die Zahl der deutschen Schüler weiter zurückzudrängen,
führte die Schulverwaltung eine "Namensanalyse" ein. Kinder, deren
Familiengeschichte auch nur einen einzigen Großelternteil mit einem slowenisch
klingenden oder slowenischen Namen aufwies, wurden in die slowenische
Volksschule eingereiht. Auf Wünsche der Eltern wurde keine Rücksicht genommen.
Dazu berichtet Dr. Michitsch ein eindrucksvolles Beispiel: Bereits 1922 ging die
Schulleitung in Stockendorf dazu über, die dortige Volksschule vollständig zu
slowenisieren. Sie behauptete, zum Schulbeginn würden 22 slowenische und nur 10
deutsche Schulpflichtige erscheinen. Die Nachprüfung dieser Angabe durch
Gottscheer Eltern ergab, daß die Schule von 46 deutschen und nur von 6
slowenischen Kindern besucht wurde. Bei den letzteren sprachen drei mit Vater
und Mutter slowenisch und drei nur mit der Mutter.
Dem flüchtigen Betrachter mögen die angeführten Schikanen als eine leichtfertige
Ausdeutung guter slowenischer Absichten erscheinen. Wiederum drängt sich der
Vergleich mit Kärnten auf. Dort verlangte man für die eigene Minderheit
Kulturautonomie, und mehr, die Gottscheer aber wurden gleichzeitig im Eiltempo
slawisiert. Man bediente sich dabei raffinierter psychologischer Mittel: Man
drängte zwischen Mutter und Kind, die innigste Bindung zwischen Individuen, eine
Sprache, die die Mutter nicht verstand und zwang gleichzeitig das Kind, diese
Sprache zu erlernen und anzuwenden. Der Lehrer aber sah seine Hauptaufgabe nicht
darin, dem Gottscheer Kind Lesen, Schreiben und Rechnen beizubringen, sondern
ihm alles Deutsche, ja sogar das Denken in der Mundart, auszutreiben.
Schließlich verbot man den Kindern, auf dem Schulweg gottscheerisch zu sprechen.
Gleich einem dichtmaschigen Netz lag die slowenische Schulpolitik über dem
"Ländchen". Es gab kein Entrinnen. Blieb man im Lande, und das war die Regel,
mußte man slowenisch lernen. 1924 wurde auch die letzte deutsche
Ausbildungsmöglichkeit so gut wie unterbunden. 1919/20 war es üblich geworden,
daß vielleicht zwei bis drei Dutzend schulentlassene Lehrer- und Bürgerkinder
bzw. Gymnasiasten, ihre Ausbildung an Gymnasien, Lehrerbildungsanstalten,
Handelsakademien, Staatsrealschulen und anderen Fachschulen in Österreich,
namentlich in Kärnten, fortsetzten oder vollendeten. Einige wenige nahmen ihre
Studien an Universitäten auf. 1924 erhielten die Eltern dieser Schüler und
Studenten die amtliche Mitteilung, daß sie von 1925 an nicht mehr mit
Reisepässen für die Ausbildung ihrer Kinder im Ausland rechnen dürften.
Die Auswirkungen dieser Schulpolitik auf die Gottscheer Jugend zeigte sich - in
der ganzen Breite sichtbar - bereits nach einem Jahrzehnt. Die Buben und Mädchen
waren bei ihrem Schulabgang sozusagen zweieinhalbsprachig. Als Mutter- und
Haussprache verwendeten sie die Mundart, konnten leidlich slowenisch lesen und
schreiben, waren aber des Deutschen nur sehr mangelhaft mächtig. Mit der
Gottscheer Mundart konnten sie außerhalb der Sprachinsel nichts anfangen, ihr
Deutsch war so schlecht, daß sie im Normalfall kaum einen Brief schreiben
konnten, blieb also das Slowenische, wollte man außerhalb des bäuerlichen
Wirtschaftssektors eine berufliche Laufbahn anstreben. Diese jungen Menschen
standen gleichsam im Niemandsland zwischen den beiden Völkern. Da ihnen aber das
Deutsche dennoch näher lag, die Wirtschaftslage sich zunehmend verschlechterte,
reifte auch bei ihnen der Entschluß zur Auswanderung, die in bescheidenem
Umfange 1920 wieder eingesetzt hatte. Dazu bekam man allerdings mühelos einen
Reisepaß.
So wie der Jugend der Zugang zum Deutschtum und seiner Schriftsprache verbaut
wurde, so tat die Landesregierung in Laibach alles, um den erwachsenen
Gottscheern die Organisationsformen, die das Gemeinschaftsgefühl stärkten, und
in denen hochdeutsch die offizielle Sprache war, wegzunehmen oder zumindest zu
verleiden. Zuerst wurde der Bauernbund aufgelöst und die beiden politischen
Parteien des "Ländchens" aus dem Vereinsregister gestrichen. Von den drei oben
genannten Blättern überlebte nur der 1903 gegründete "Gottscheer Bote". Er
durfte, ab 1919 in "Gottscheer Zeitung" umbenannt, weitergeführt werden.
Selbstverständlich verschwanden sogleich nach der Gründung des neuen Staates die
Schulvereinsortsgruppen. Die zu einem eigenen Gau zusammengeschlossenen
freiwilligen Feuerwehren mußten die slowenische Kommandosprache einführen. 1925
durfte der verbotene Gesangsverein, ein gemischter Chor, wiedergegründet werden.
Da er sich aber rasch zu einem neuen Kulturzentrum entwickelte, suchte man
abermals nach einem Verbotsgrund. Man fand ihn in einer politisch harmlosen
Sängerreise nach Kärnten. 17 Vereinsmitglieder, Frauen und Männer, besuchten am
5./6. Juni 1926 den von allen hoch verehrten Volkstumsforscher Wilhelm Tschinkel,
um ihm zu seinem 50. Geburtstag die Grüße und Glückwünsche der alten Heimat zu
überbringen. Der Gefeierte hatte in Rosegg eine neue Heimat gefunden. Nach ihrer
Heimkehr wurde die Sängergruppe wegen Hochverrats angezeigt. Wahrheitswidrige
Begründung: Die Sänger hätten in Kärnten an einem nationalen Sängerfest
teilgenommen. Hier kann man nur noch von National-Hysterie sprechen. Zu einer
Gerichtsverhandlung kam es jedoch nicht, weil ein einsichtiger Richter am
zuständigen Amtsgericht in Rudolfswert (Novo mesto) das Verfahren wegen
Nichtigkeit niederschlug. Die örtliche Sicherheitsbehörde in Gottschee/Stadt gab
sich jedoch lieber der Lächerlichkeit preis, als einen deutschen
Vogelschutzverein zu dulden. Ein Jahr nach der Gründung wurde er unter dem
Vorwand verboten, daß die im Freien aufgestellten Futterkästen die Aufschrift
"Vogelschutzverein" trugen. Dieselbe Behörde machte auch vor dem deutschen
Leseverein nicht halt, er wurde verboten, seine 2500 Bücher beschlagnahmt und
vernichtet.
Die Amtssprache bei den Behörden war selbstverständlich längst das Slowenische.
Wer diese Sprache nicht beherrschte, mußte auf eigene Kosten einen Dolmetscher
mitbringen. Die Ortstafeln durften nach einer kurzen Übergangszeit auch in den
rein deutschen Dörfern nur slowenische Aufschrift tragen. Die oft willkürlich
ins Slowenische übersetzten Ortsnamen der Gottscheer durften in der Gottscheer
Zeitung nicht mehr deutsch gedruckt werden. Das 14tägig erscheinende Blatt war
im übrigen einer scharfen Zensur unterworfen, das heißt, die fertig umbrochenen
Seiten mußten der Bezirkshauptmannschaft vor dem Druck vorgelegt werden.
Anfänglich nahm die Redaktion die gestrichenen Artikel und Notizen einfach
heraus und ließ die weißen Flächen offen. Dadurch war die Zensur für jedermann
sichtbar. Um dies zu verhindern, erhielt die Redaktion den Auftrag, für
gestrichene Artikel Stehsatz bereitzuhalten.
In aller Stille wurde die Ablösung der Geistlichkeit vollzogen. An sich ließ das
Ordinariat in Laibach die noch amtierenden Gottscheer Geistlichen gewähren. Es
versetzte auch keinen Geistlichen in rein slowenisches Gebiet, wie die
Schulbehörde dies mit einigen Lehrern tat. Wenn jedoch ein Mitglied des
Gottscheer Klerus durch Tod oder Pensionierung ausfiel, trat an seine Stelle ein
nationalbewußter Slowene im Priesterrock.
Verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit widmete man anfänglich dem Bodenbesitz im
"Ländchen", obwohl der slowenische Anteil äußerst gering war. Herbert Otterstädt
nennt in seinem Bildband auf Seite 37 dazu folgende Zahlen: "Im Jahre 1940 waren
nach einer sehr gewissenhaften privaten Besitzzählung von den insgesamt 840
Quadratkilometern der Volksinsel 547 Quadratkilometer in den Händen der
Gottscheer Waldbauern, 63 Quadratkilometer waren Gottscheer Gemeindebesitz, 176
Quadratkilometer enteigneter deutscher Waldbesitz und lediglich 53
Quadratkilometer, also keine 8 der Gesamtfläche, waren slowenischer
Zwergbauernbesitz".
Der einzelne Gottscheer Bauernhof interessierte die slowenische Führung noch in
den zwanziger Jahren kaum. Erheblich störte es sie jedoch, daß der aller Titel
entkleidete Fürst Auersperg bei der Staatsgründung noch 229 Quadratkilometer
herrlichen Mischwaldes besaß und nach modernen forstwirtschaftlichen Methoden
nutzte. Die Beschlagnahme dieses Rests der ursprünglichen Herrschaft Ortenburg
begann 1921 mit einer schlichten "Agrarverordnung". Zehn Jahre später wurde
diese zum Gesetz ausgestattet und damit endgültig gemacht. 176 Quadratkilometer
wurden damals der Familie Auersperg genommen. Der konfiszierte Waldbesitz wurde
jedoch nicht etwa den Gottscheern zugeteilt, die als uralt eingesessene Bewohner
des Gottscheerlandes wohl als erste Anspruch hätten erheben können. Die Nutzung
des Baumbestandes wurde vielmehr slowenischen Dörfern außerhalb der Sprachinsel
überlassen. Die Gottscheer Mitarbeiter der Auerspergschen Forstverwaltung wurden
entlassen.
Wie wenig die abseits liegenden neuen Nutzungsberechtigten bzw. die
Landesforstbehörde mit den beschlagnahmten Wäldern anfingen, bewies unter
anderem der Verfall des größten Auerspergischen Sägewerks samt den
Arbeiterwohnhäusern im Revier Hornwald. Was der vordringende Urwald sowie Wind
und Wetter übriggelassen hatten, wurde 1938 gesprengt. Nicht einmal die 50
Kilometer lange Waldschmalspurbahn durfte bestehen bleiben. Sie wurde im
gleichen Jahr verschrottet.
Der Gottscheer Landwirtschaft rückte man als Ganzes dergestalt zu Leibe, daß man
alles beseitigte, was geeignet war, sie zu fördern und zu befruchten. So wurde
gleich nach dem Kriege die aus der Zeit Kaiser Joseph II. stammende Filiale der
"landwirtschaftlichen Gesellschaft von Krain" verboten, der Bauernbund
eingestellt, 12 ländliche Raiffeisenkassen erlitten dasselbe Schicksal. Die
Stadtsparkasse wurde finanziell ruiniert, und die Einleger verloren ihr Geld.
Sie sollten auf diese Weise gezwungen werden, mit der Filiale der Laibacher
"Merkantilbank" zusammenzuarbeiten. Auf Anordnung ihres Chefs durfte in den
Geschäftsräumen nur slowenisch gesprochen werden.
Die Geschäftsleute und Handwerker in Stadt und Land, aber auch die Bauern,
ruhten nicht eher, bis sie wieder über ein eigenes Geldinstitut verfügten: 1926
wurde die "Spar- und Darlehenskasse", eine Gesellschaft mit unbeschränkter
Haftung, ins Leben gerufen. Zum Obmann wählten die Mitglieder den Mitbegründer
Alois Kresse, angesehener Kaufmann in Gottschee/Stadt. Kresse besaß große
wirtschaftliche Erfahrung und war im ganzen "Ländchen" bekannt. Von 1912 bis
1925 war er Obmann des Gottscheer Handelsgremiums. Von 1928 bis 1930 war er als
Vizebürgermeister Obmann der Städtischen Vermögensverwaltung. Nach 1930 durften
die Bewohner des Städtchens keine Vertreter mehr in den Stadtrat entsenden. 1945
gelang es Alois Kresse nicht mehr, rechtzeitig aus der Untersteiermark, wo er
sich in Cilli eine neue Existenz geschaffen hatte, zu fliehen. Er wurde mit
seiner Gattin von Partisanen umgebracht.
All diese kulturellen und wirtschaftlichen Maßnahmen zur Beseitigung der
Sprachinsel Gottschee zeigten in den ersten dreißiger Jahren die beabsichtigte
Wirkung - nicht bei den vor 1914 geborenen Jahrgängen, wohl aber bei den im
Jahre 1933 etwa Sieben- bis Siebzehnjährigen. Slowenische Worte mischten sich in
den heimatlichen Dialekt, slowenische Lieder klangen da und dort außerhalb der
Schule auf, die eigenen Mundartlieder traten noch stärker in den Hintergrund.
Das Fundament des nationalen Selbstverständnisses als Deutsche stand bei diesen
jungen Leuten nicht mehr auf sicherem Boden.
Gleichgeblieben war indessen das Interesse von Wissenschaftlern für die
Sprachinsel Gottschee. Namentlich aus Österreich, immer öfter aber aus dem
Deutschen Reich, erschienen um die Wende der zwanziger zu den dreißiger Jahren
Sprachforscher, Historiker, Volkskundler, Volskliedforscher sowie
landschaftsbegeisterte Touristen, einzeln und in Gruppen. Die Besucher fanden in
den abgelegenen Dörfern im großen und ganzen noch das urwüchsige Gottscheer
Bauernleben, wie es Sepp König in seinem Beitrag: "Das Dorf in der Einschicht" (Gottscheer
Zeitung, März 1973) etwa für die Zeit der Jahrhundertwende schildert:
"Jedes Dorf hatte seine Eigentümlichkeiten in seiner schaffenden Arbeit. Die
Menschen in der Einschicht waren daher Alleskönner: Korbflechter,
Schaufelmacher, Faßbinder und Schnapsbrenner, sie besorgten Zimmermannsarbeiten
ebenso mit Geschick wie bäuerliche Verrichtungen. Ihre Geschicklichkeit reichte
über die bescheidene Heimat hinaus und war als nachbarliche Hilfe bei einem
Unglück im Stall geschätzt. Der Bau eines Kalkofens war ihnen nicht unbekannt,
und daß das Weib in der Einschicht im Krankheitsfalle Hilfe zu geben wußte, war
keine Seltenheit."
Den Besuchern aus dem geschlossenen, deutschen Lebensraum entging allerdings
auch nicht der wirtschaftliche Zusammenbruch der Gottscheer und ihre
Mutlosigkeit. Helfen konnten sie ihnen nicht. - Unter den Gästen aus dem
Deutschen Reich befand sich der Leipziger Orientologe und Volkstumsexperte Prof.
Dr. jur. et. phil. Hugo Grothe. Seine wiederholten Aufenthalte im "Ländchen"
führten in der Monografie "Die deutsche Sprachinsel Gottschee in Slowenien" zu
einem freudig begrüßten Erfolg, waren doch seit dem Erscheinen des letzten
repräsentativen Werks über das Gottscheerland (Hauffen 1895) immerhin 35 Jahre
verstrichen. Man sagte ihm nach, er habe der damaligen Gottscheer Führung
geraten, mit einer weithin wirkenden 600-Jahr-Feier der deutschen Kolonisation
ihres Siedlungsgebiets die breite Öffentlichkeit auf die aktuelle, nationale
Bedrängnis und die schier ausweglose wirtschaftliche Notlage der Gottscheer zu
lenken. Mit diesem Ereignis sollte ihr Selbstbewußtsein gestärkt, neuer
Lebensmut geweckt werden.
Der Grothesche Gedanke wurde mit Freuden und sofort aufgegriffen. 1929 bildete
sich unter dem Vorsitz des Rechtsanwaltes Dr. Hans Arko ein Festausschuß, der
die 600-Jahr-Feier auf den 1. bis 4. August 1930 festsetzte. Dr. Arko, ein
vielseitig begabter Mann, war in den zwanziger Jahren in die Rolle des Sprechers
der Gottscheer hineingewachsen. Unter anderem dirigierte er den gemischten Chor
und führte als Gauhauptmann die Feuerwehr. Seit 1917 unterhielt er in der Stadt
eine Rechtsanwaltskanzlei.
Die organisatorisch wohl vorbereitete 600-Jahr-Feier wurde zum größten Fest, das
die Gottscheer jemals auf ihrem Heimatboden veranstalteten.
Seit dem Bestehen des Königreiches der Serben, Kroaten und Slowenen, das sich
nunmehr als "Jugoslawien" bezeichnete, hatten die Gottscheer keinen Zweifel über
ihre - von der Vernunft diktierte - loyale Einstellung zum Staat, aber auch ihre
innere Bindung an ihr Volk gelassen. Konsequent und mutig lud der Festausschuß
daher den König, damals Alexander I., die Staatsregierung in Belgrad, die
Landesregierung in Laibach, künftig "Banschaftsverwaltung" genannt, mit dem "Banus"
an der Spitze, sowie die Republik Österreich und das Deutsche Reich offiziell
ein. Der König entsandte einen Minister und hohe Militärs als seine Vertreter.
Von der Banschaftsverwaltung in Laibach erschien der Banus, das Deutsche Reich
und die Republik Österreich ließen sich durch ihre Missionschefs bei der
jugoslawischen Regierung vertreten. Deutscher Gesandter in Belgrad war dazumal
Ulrich von Hassel. Erschienen waren unter anderem auch die beiden
Spitzenpolitiker der deutschen Gesamtvolksgruppe in Jugoslawien, der Abgeordnete
in der Skupstina, Dr. Stefan Kraft, und der Senator Dr. Georg Graßl, ferner der
Präsident des "Schwäbisch-deutschen Kulturbundes" in Neusatz, Johann Keks, und
der Hauptschriftleiter des "Deutschen Volksblattes", ebenfalls in Neusatz, ein
gebürtiger Gottscheer aus Mitterndorf, Dr. Franz Perz. Viele Gottscheer in
Österreich und in den USA benutzten das große Fest zu einem Besuch der alten
Heimat.
Erster Höhepunkt der Feierlichkeiten war der Festgottesdienst in der
Stadtpfarrkirche. Nur ein Bruchteil der riesigen Menschenmasse fand im
Dekanatsgotteshaus Platz. Selbst tiefergriffen, hielt der geistliche Rat August
Schauer, Nesseltal, eine politisch wie menschlich und historisch ausgewogene
Predigt von imponierenderSprachgewalt. - Die hohen Gäste vereinigte ein
offizielles Bankett, auf dem Ulrich von Hassel diplomatisch geschickt und
geistvoll die Beziehung zwischen dem Stadtwappen der Stadt Gottschee aus dem
Jahre 1471 und dem aktuellen Anlaß herstellte. - Der öffentliche Festakt zur
Erinnerung an die Besiedlung des Gottscheerlandes vor 600 Jahren fand in einem
Großzelt statt, das an der Allee für diesen Zweck aufgestellt worden war. -
Durch ein staunendes, glückseliges Spalier ritt und fuhr und schritt der selbst
Geschichte gewordene historische Festzug von einem Ende der Stadt zum anderen.
Es schien, als ob außer den Ältesten und den Jüngsten kein Gottscheer
daheimgeblieben war, um sein Bekenntnis zu den sechs Jahrhunderten der
Geschichte des "Ländchens" abzulegen. - Ein Festbuch mit Beiträgen zur
Vergangenheit, Landes- und Volkskunde des Gottscheerlandes war Bestandteil der
bewegten Woche. -
Presse, Rundfunk und Wochenschauen berichteten über die festlichen Tage von
Gottschee. Der politische Erfolg blieb jedoch aus. Die Hochstimmung der
Gottscheer klang wieder ab. Nur allzubald stellte sich der Alltag des
Volkstumskampfes und der zermürbenden, wirtschaftlichen Erfolglosigkeit wieder
ein. Nichts hatte es den Gottscheern genützt, ihre Staatstreue in den
Vordergrund zu stellen. 1931 wurde beispielsweise das Minderheitenschulwesen in
Jugoslawien "neu geordnet". Es richtete sich vor allem gegen die deutsche
Minderheit und verfügte, daß in Orten, in denen "Staatsbürger mit anderer
Muttersprache" lebten, Schulabteilungen mit 30, in Ausnahmefällen 25
Schulkindern errichtet werden durften. Die Entscheidung darüber behielt sich der
Unterrichtsminister vor. Woher der Schuß kam, ließ sich leicht daran ermitteln,
daß der Innenminister in der damaligen Regierung Dr. Milan Stojadinovic Dr.
Anton Korocec hieß. Als Kabinettsmitglied hatte er keine Schwierigkeit, seinen
Kollegen, den Unterrichtsminister, zu diesem Erlaß zu bewegen. Er traf die
Gottscheer doppelt hart. Die "deutschen Abteilungen" waren nun zahlenmäßig nach
oben begrenzt. In den größeren Dörfern war es trotz der Namensanalyse noch
möglich, 30 Kinder für eine deutsche Abteilung aufzubringen. Die kleineren
Schulsprengel aber brachten als Folge der Auswanderung und der Namensanalyse
vielfach nicht einmal die 25 Schulkinder auf.
Zu der entmutigenden und entwürdigenden nationalen Unterdrückung kommt die
fortschreitende wirtschaftliche Not. Die Weltwirtschaftskrise von 1929/30 trug
direkt und indirekt wesentlich dazu bei. Nicht nur sanken die ohnehin geringer
gewordenen eigenen Umsätze weiter, sondern auch der Dollarsegen ebbte ab. - Der
Wald ergriff vom weiteren Kulturland Besitz. Der Viehbestand sank katastrophal.
Selbst die stark zurückgegangene Milchproduktion war nicht mehr verwertbar. Die
Milch wurde an die Schweine verfüttert. Die Obsternten blieben liegen. Der
Holzhandel stockte. Nur noch wenige Männer gingen hausieren. Kleinhöfe und
Keuschler unterschritten vielfach das Existenzminimum.
Der kleinste, deutsche Stamm, wie sich die Gottscheer gerne nannten, fand sich
nicht mehr im Gleichgewicht. Manche Anzeichen schienen darauf hinzuweisen, daß
er sich selbst aufzugeben begann. Einer der damals Jungen, Richard Lackner aus
der Stadt, hat das bitterste Wort jener Tage nicht vergessen: "Hier zahlt sich
nicht mehr aus!"
Dr. Josef Krauland erinnert sich in seinem Beitrag "Ein Arzt erzählt..." (Gottscheer
Zeitung, August 1970) noch gut an ein Gespräch mit einem Gottscheer Bauern über
die Auswanderung: "Ich befand mich auf der Rückfahrt von Ebental. Mein Kutscher,
ein intelligenter Bauer, mit dem man sich über alles Mögliche unterhalten
konnte. Endlich kamen wir auf seine Familienverhältnisse und seinen Besitz zu
sprechen. Auf meine Frage, welches von seinen Kindern einmal den Hof übernehmen
werde, antwortete er: Keines, alle wollen nach Amerika, und ich will es ihnen
nicht verwehren. Als ich dagegen einwandte, daß doch wenigstens eines in der
Heimat bleiben sollte, meinte er: Ich kann es von keinem verlangen. Sie sehen
doch selbst, wie man sich hier auf einem Bauernhof abrackern muß und dabei kann
man nicht einmal die Substanz erhalten. Wenn die Kinder in Amerika fleißig sind
und etwas Glück haben, bringen sie es in einigen Jahren weiter als hier ihr
ganzes Leben."
Die Gottscheerin hat es verlernt, zu singen und zu fabulieren. Die Lebensschule,
in der sie die Lehrerin ihrer Kinder und in der die Unterrichtssprache das
Gottscheerische war, entgleitet ihr ...
30. Januar 1933, Berlin. Hitler ist an der Macht.
Wie alle deutschen Volksgruppen in Südosteuropa und in der deutsch-slawischen
Mischzone zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer blickten auch die
Gottscheer nach Berlin. Wer will ihnen dies angesichts der geschilderten
Lebensumstände verdenken?! Sie blieben ruhig, wurden jedoch von den
jugoslawischen Sicherheitsorganen noch mißtrauischer beobachtet als zuvor. Nicht
minder mißtrauisch - aufmerksam registrierte die slowenische Führung alle
Vorgänge in der Reichshauptstadt. Die Machtergreifung Hitlers löste bei ihr etwa
folgenden Gedankengang aus: Hitler war Altösterreicher. Sein politischer
Werdegang wies ihn als extremen Nationalisten aus. Zu seinen obersten erklärten
Zielen gehörte der Anschluß der Republik Österreich an das Deutsche Reich. Krain
war jahrhundertelang ein Kronland der Habsburger gewesen. Konnte man sicher
sein, daß er beim "Anschluß" nicht auch ganz Slowenien dem Reich einverleibte?
Wer konnte ein hochgerüstetes Deutschland daran hindern, darüber hinaus in den
Donauraum - oder und - an die Adria vorzustoßen? In beiden Fällen bot sich
Gottschee als machtpolitischer Brückenpfeiler an. Schon aus diesen Gründen mußte
Gottschee nun erst recht verschwinden .. .
Dieses völkische Eiland aber wollte weiterleben, aus eigener Kraft, nur für sich
selbst, ohne Machtanspruch, ohne politische Ambitionen. Die Slowenen standen dem
in ihrem Nationalstolz entgegen. Sie bedachten allerdings dabei nicht, daß es
bereits im 6. Jahrhundert nach Christi eine Art italienische Ostpolitik gab,
dargestellt durch die Patriarchen von Aquileja und später durch die Republik
Venedig. In Rom erinnerten sich die Nationalisten indessen seit längerer Zeit
der Tatsache, daß der Patriarch von Aquileja die Mark Krain viele Jahrhunderte
lang zu seiner Kirchenprovinz zählte und von 1077 an bis 1420 ausgedehnte
Reichslehenschaften besaß.
Das Völkchen im Karst aber geriet wiederum, diesmal endgültig, zwischen die
Mühlsteine der "großen Politik". Mit dem Urwald wäre es durch Modernisierung der
Land- und Forstwirtschaft fertiggeworden, auch dem Wassermangel wäre durch noch
sorgsamere Pflege und Nutzung der natürlichen Bestände beizukommen gewesen.
Vielleicht hätten sich die Bauern unter dem Druck der Wirtschaftslage zu einer
Neuordnung der Bodenverfassung, einer Flurbereinigung bewegen lassen. Das alles
hätte dazu beigetragen, das "Ländchen" attraktiver zu gestalten. Gegen die
Diktaturen in Berlin, Rom und Laibach wuchs im Gottscheerland jedoch kein Kraut.
Der Tragödie letzter Akt
Was nun kam, trieb die Gottscheer in ein Dickicht kaum verhüllter Gewalt und
unverschleierten Terrors. Ein Jahrhundertbericht kann über ihre letzten Jahre
auf dem Boden des alten ortenburgischen Urwaldlehens nicht hinweggehen, etwa
weil man irgendwo nur ungern an die Anschläge auf die Freiheit, die
Menschenwürde und -rechte im Gottscheerland erinnert wird oder weil sie mit dem
Nationalsozialismus zusammenhängen. Sie spielten sich auf drei Ebenen ab.
Ebensowenig steht der gewissenhafte Historiker vor der Frage, ob er das, was die
Slowenen den Gottscheern antaten, was den Slowenen von Seiten des Deutschen
Reiches geschah und was schließlich die Gottscheer selbst unternahmen, um zu
überleben, verschweigen, beschönigen oder manipulieren wolle. Ihm ist vielmehr
aufgegeben, den Untergang der Sprachinsel Gottschee nach Möglichkeit
leidenschaftslos, wenn auch nicht kritiklos, darzustellen.
Wie man die Entwicklungen, Ereignisse und Entscheidungen der beteiligten
Persönlichkeiten und Institutionen auch dreht und wendet, das Gottscheerland
gerät unaufhaltsam in die tragische Verstrickung, aus der kein Weg herausführt.
Alles, was die Gottscheer fortan tun, ist falsch.
Die Banschaftsverwaltung in Laibach zog die Zügel bald straffer an. Der
"Schwäbisch-deutsche Kulturbund", die kulturelle Organisation der Deutschen in
Jugoslawien, hatte auch in Gottschee mehrere Ortsgruppen gegründet. Er wurde
verboten. Damit war auch der Gottscheer Jugend die legale Grundlage für ihre
Kulturarbeit entzogen. Das Verbot war auf die Beobachtung der
Sicherheitsbehörden zurückzuführen, daß junge Gottscheer mit jungen
Reichsdeutschen Verbindung aufnahmen und hielten. Unter diesen befand sich im
Sommer 1933 ein Philologie-Student namens Volker Dick, ein Pfarrerssohn aus
Freiburg im Breisgau. Er widmete sich zunächst der Mundart und durchwanderte das
"Ländchen" zu Studienzwecken. Er unterhielt sich vielfach mit Bäuerinnen und
Bauern, auch mit jungen Leuten, und sammelte Material für seine Arbeit. Dabei
fiel ihm auf, daß hier weniger die sprachwissenschaftliche Diskussion, als
vielmehr ein neues, wirtschaftliches Denken not tat. Ohne dazu von einer
Dienststelle oder Organisation in Deutschland aufgefordert oder beauftragt
worden zu sein, machte er es sich zu seiner persönlichen Aufgabe, in der
Jugendbewegung das Interesse dafür zu wecken.
Bereits bei seinem nächsten Besuch stellte er einen "Aufbauplan" zur Diskussion.
Er sollte den weiteren wirtschaftlichen und kulturellen Verfall als Folge der
Auswanderung, Unterdrückung und Entmutigung der Bevölkerung aufhalten. Dick fand
damit bei der ländlichen Jugend viel, bei der Volksgruppenführung in der Stadt
einiges Verständnis.
Die Volksgruppenführung war keine öffentliche Einrichtung, die durch Wahlen oder
Berufung zustandegekommen war, sondern sie bestand in der Spitze aus zwei
Männern, auf die man kraft ihrer Persönlichkeit allgemein hörte und die
vorübergehend auch amtliche Funktionen ausübten; Rechtsanwalt Dr. Hans Arko aus
der Stadt Gottschee und Geistlicher Rat Josef Eppich, Pfarrer in Mitterdorf.
Pfarrer Eppich gehörte durch Wahl seit 1927 dem "Gebietsausschuß" - entsprach
etwa einem Landtag in Österreich - als Vertreter der Gottscheer Wähler an. Die
realen Möglichkeiten, für seinen "Wahlkreis" etwas zu tun, waren gleich Null.
Dr. Arko war vorübergehend stellvertretender Bezirksvorsitzender der 1929 von
König Alexander I. verordneten "Staatspartei". Auf das Parteigefüge in der
Bundesrepublik Deutschland bzw. in der Republik Österreich übertragen, wäre sie
heute den Christlich-Sozialen, der Österreichischen Volkspartei bzw. einer
liberal-demokratischen Richtung zuzuordnen.
Die beiden Männer befürchteten angesichts der Versteifung des slowenischen
Kurses gegenüber der Sprachinsel, daß die Jugend in ihrer Kulturarbeit
Äußerlichkeiten der Hitlerjugend nachahme. Die ersten Zeichen deuteten sich 1934
bereits an. Arko und Eppich hielten, trotz der schlechten Erfahrungen seit 1918,
immer noch an dem Grundsatz der Staats- und Volkstreue fest. Die erwartete
Aktivität der Jugend kam und war anscheinend nicht aufzuhalten. Allerdings blieb
sie ihrem Wesen nach und hinsichtlich der Inhalte der Kulturarbeit
gottscheerisch. Die Heimabende, die Gesprächs- und Diskussionsstoffe, selbst das
Singen waren auf die Traditionen der Heimat gerichtet. Bei Zeltlagern und
Wanderungen wurden zwar bekannte, deutsche Wanderlieder, auch zackige Lieder der
deutschen Staatsjugend gesungen, es wurden aber auch mehr und mehr Mundartlieder
ausgegraben, ja, einige neue Mundartlieder breiteten sich rasch über das ganze
Siedlungsgebiet aus, weil sie den echten gottscheerischen Volksliedcharakter
besitzen und nicht der Hektik der dreißiger Jahre entsprangen. Der junge
Bauernsohn Peter Wittine aus Rieg war der Verfasser.
1935 geschah etwas scheinbar Bedeutungsloses. Ein Gymnasiast namens Willi
Lampeter aus Mitterdorf wurde vom Gymnasium in Gottschee verwiesen. Sein
Direktor war der Ansicht, er habe sich als Schüler eines slowenischen Gymnasiums
doch etwas zu sehr für nationale deutsche Belange eingesetzt, auch wenn er
seiner Abstammung nach Gottscheer sei. Für Lampeter war die Relegierung eine
Aufforderung, sich nun erst recht national-politisch hervorzutun. Innerhalb
weniger Monate galt er als der Exponent der Gottscheer Jugend, die allmählich zu
erkennen gab, daß sie sich allein für die Zukunft des Gottscheerlandes
verantwortlich fühlte und die Ablösung der alten Führung zum gegebenen Zeitpunkt
anstrebte. Gerechterweise muß hervorgehoben werden, daß der Ruf nach einer
geistigen und wirtschaftlichen Neuorientierung im Rahmen der Traditionen des
Gottscheerlandes nicht erst von der Jugend, die auf die mächtigen Anstöße von
außen reagierte, gefordert wurde. 1931 schrieb der "Gottscheer Kalender", den
Pfarrer August Schauer in Nesseltal herausgab und inhaltlich gestaltete: "Der
Gottscheer Bauer muß seinen Blick wieder der Heimat zuwenden. Er muß wieder
Vertrauen zu seiner Scholle bekommen und aus seiner Lethargie gerissen werden,
indem die Gottscheer Landwirtschaft aus ihrer bisherigen Isolierung
herausgeführt und Produktion wie Absatz auf genossenschaftlicher Basis
organisiert werden." Klare Vorstellungen, wie dies vonstatten gehen sollte,
brachte allerdings erst der "Aufbauplan".
Das Projekt, das Volker Dick mit der Jugend diskutierte, ging folgerichtig davon
aus, daß aus den uns bekannten Gründen zu wenig Arbeitskräfte zurückgeblieben
waren, um bei gleichbleibenden landwirtschaftlichen Produktionsmethoden den
stark abgesunkenen Lebensstandard den gestiegenen Ansprüchen anzupassen. Darüber
hinaus sollte der "Aufbauplan" - und dieses Ziel wurde immer wieder stark betont
- einen auch materiell begründeten Anreiz zum Bleiben in der Heimat bewirken.
Führen wir uns noch einmal den verhängnisvollen Kreislauf, der zu der
katastrophalen, durch die Weltwirtschaftskrise verstärkten Notlage geführt
hatte, vor Augen: Der Gottscheer Bauer hatte wegen des Arbeitskräftemangels das
fortwährende Roden vernachlässigt und vor allem auf den Hutweiden und höher
gelegenen Hügeln dem Wald den Vortritt gelassen. Das Futterangebot sank, als
weitere Folge ging der Viehbestand entscheidend zurück. Weniger Milch und Dünger
waren das Ergebnis. Weniger Dünger bedeutet weniger Feldertrag und Verminderung
der Anbaufläche. Schlußfolgerung: Die Abwanderung stieg weiter.
Der "Aufbauplan" kehrte diese rückläufige Entwicklung einfach um: Neurodung der
Hutweiden und Wiesen = mehr Vieh = mehr Milch und Kälber = mehr Dünger = mehr
Anbaufläche = insgesamt Steigerung des Umsatzes auf dem Bauernhof. Der Plan sah
ferner die Hereinnahme ertragreicherer Obstsorten und die konsequentere Pflege
der Obstbäume, wie die Verwertung der Obsternten durch Süßmosterei vor.
Fachleute zum Ausbau dieses Wirtschaftszweiges wurden aus Deutschland geholt.
Systematisch sollte außerdem der Fremdenverkehr ausgebaut werden. Zu diesem
Zweck wurden aussichtsreiche Verhandlungen mit einem deutschen Reisebüro
aufgenommen. Als ersten bemerkenswerten Anziehungspunkt für die Fremden baute
die Jugend in dem idyllisch gelegenen Walddorf Pogorelz einen befestigten Weg.
Als weitere Leistung im freiwilligen Arbeitsdienst befestigte sie den Wanderweg
von Morobitz auf die Krempe, den schönsten Aussichtspunkt des Gottscheerlandes
in das schluchtartig eingeschnittene Kulpatal und die Berglandschaft Kroatiens,
dann in der Nähe von Altfriesach eine Skihütte, und als Krönung baute die Jugend
des Oberlandes ein Kulturheim in Mitterdorf. Da gab es eine herbe Enttäuschung.
Am Vorabend der Einweihung dieses Heimes wurde ein bei der Behörde angemeldeter
Fackelzug durch Mitterdorf veranstaltet. Dieser wurde von auswärts
herbeigeholten slowenischen Jugendlichen brutal beendet. Mit Schlagstöcken,
Zaunlatten, Prügeln und anderen "Geräten" bewaffnet, brachen sie aus der
Finsternis und schlugen Frauen und Kinder nieder. Die anwesenden Gendarmen
schritten nicht ein. Die Gottscheer, auf eine solche Tat nicht gefaßt, konnten
sich gar nicht verteidigen, denn bevor die männlichen Teilnehmer auch nur ihre
Fäuste gebrauchen konnten, waren die Spukgestalten wieder im Dunkeln
verschwunden. -
Ein ständig fließendes und sicheres Einkommen sollten zwei genossenschaftliche
Einrichtungen, die für das "Ländchen" neu waren, den Bauern bringen:
Koppelweiden und eine moderne Molkerei. Die Musteranlage einer Koppelweide
wurde, wiederum als freiwillige Gemeinschaftsleistung der Jugend, im Ortsbereich
von Hohenegg/Katzendorf angelegt. Eine auf die Maße des Gottscheers
zugeschnittene Molkerei ging in die Planung. - Um auch den Mädchen und Frauen
einen dauernden Nebenverdienst zu verschaffen, griff man auf alte Formen der
Heimarbeit zurück. Das farbenfrohe Besticken von Taschen- und
Trachtenkopftüchern wie das Weben von Gürteln wurde organisiert.
Selbstverständlich wurde auch die Holzschnitzerei, die älteste Form der
Gottscheer Heimarbeit, neu belebt. Auch für diese Wirtschaftszweige stand ein
Fachmann aus Deutschland zur Verfügung. Um einen Markt für diese Erzeugnisse zu
öffnen, wurde 1936 in Gottschee-Stadt eine Genossenschaft gegründet, die den
Vertrieb in Deutschland übernahm. In der Sprachinsel selbst kümmerten sich um
das Heimwerken besonders die Geschwister Hilde und Herbert Erker aus Mitterdorf,
Sophie Kren aus Ort sowie die Geschwister Olga und Hans Spreitzer aus Pöllandl.
Außerdem haben Herbert und Hilde Erker in unzähligen Heimabenden alte deutsche
und gottscheerische Lieder wieder zum Klingen gebracht.
Die Voraussetzung für das Gedeihen der teilweise völlig neuen Wirtschaftslage
war jedoch das Funktionieren der Landwirtschaft. Hier war es mit Diskussionen
und guten Ratschlägen allein nicht getan. Man benötigte praktische Beispiele,
das betriebswirtschaftliche Vormachen und - Geld! Woher nehmen? Nur eines war
sicher: vom jugoslawischen Staat war kaum eine finanzielle Unterstützung zu
erwarten.
Da hatte Dr. Hans Arko eine rettende, wiederum traditionsgebundene Idee: Er
schlug vor, die Reichsregierung zu bitten, das Hausierpatent Kaiser Friedrichs
III. aus dem Jahre 1492 zu erneuern und den überlieferten Wanderhandel der
Gottscheer in zeitgemäßer Form und Zahl wieder aufleben zu lassen. Auf Dicks
Betreiben erklärte sich das Reichswirtschaftsministerium dazu bereit, und
veranlaßte bei der inneren Verwaltung das Nötige. Probeweise wurden in den
Wintermonaten 1934/35 einige Dutzend ausgesuchte Bauern nach Deutschland
entsandt, um das Hausieren erst einmal einzuführen. Der Versuch glückte im
großen und ganzen. Das Hausieren lief in der Form ab, wie es in diesem Buch bei
der Behandlung des 19. Jahrhunderts ausführlich beschrieben ist. In den drei
Wintern von 1935/36 bis 1937/38 wurden dann jeweils rund 300 Männer zugelassen.
Sie wurden einzeln und in unterschiedlich großen Gruppen auf die für das
außergewöhnliche Unternehmen geeignet erscheinenden Städte verteilt. In München
arbeiteten beispielsweise 15 Mann, in Dessau/Anhalt waren es zwei, oder in
Schwäbisch-Gmünd einer. Die Männer übten ihr Geschäft in der überlieferten
Tracht aus (siehe Abbildung im Buch). Sie wurden zuerst von Studenten und, von
der Saison 1935/36 an, von Mitgliedern des VDA (Volksbund für das Deutschtum im
Ausland) beraten und betreut.
Organisatorisch erfaßt waren die Männer aus der Sprachinsel im "Gottschee-Hilfswerk",
das in Gottschee-Stadt und in Dessau/Anhalt je eine Geschäftsstelle unterhielt.
Die letztere wurde 1938 nach Berlin verlegt. In der Heimat richtete Dr. Arko in
seiner Anwaltskanzlei ein Büro ein und besetzte es mit einer Fachkraft für
Korrespondenz und Buchhaltung. Seltsam genug für Gottschee, daß in einer rein
den Männern vorbehaltenen Einrichtung eine Frau die Geschäfte führte, Frau Paula
Suchadobnik aus der Stadt.
Die Wanderhändler aus Gottschee hatten von ihrem Reingewinn einen bestimmten
Prozentsatz für die Organisation des Hausierwerkes und für einen Härtefond, aus
dem Fehlschläge finanziell ausgeglichen werden sollten, abzuliefern. Der
Antragsteller mußte sich bereits daheim verpflichten, seine Überschüsse gezielt
in der eigenen Landwirtschaft einzusetzen. Außerdem mußte er schriftlich
versprechen, nach Ablauf der Saison heimzukehren und nicht in Deutschland zu
bleiben. Der Reingewinn bewegte sich in der Regel zwischen wenigen hundert und
mehreren tausend Mark. Wegen der Devisenbewirtschaftung durften die Hausierer
ihren Verdienst nicht unmittelbar über Post oder Bank überweisen, sondern die
Auszahlung erfolgte über die Spar- und Darlehenskasse in Gottschee.
Die Überschüsse des
"Härtefonds", der kaum einmal in Anspruch genommen werden mußte, waren als
Grundstock für den Bau der Molkerei bestimmt. Die Pläne für den Bau und das Netz
von 22 Abrahmstationen waren 1938 fertig. Mit ihrer Ausführung sollte 1943
begonnen werden.
Wie aber stand es mit den praktischen Beispielen? Dick schlug vor, Jungbauern
bzw. Bauernsöhne zur landwirtschaftlichen Ausbildung nach Deutschland zu
schicken. Willie Lampeter aus Mitterdorf und Martin Sturm aus Loschin setzten
diesen Gedanken in die Tat um. Die beiden jungen Männer hatten sich bis 1937 als
unumstrittene Führer der bäuerlichen Jugend durchgesetzt. Wer genauer hinsah,
konnte beobachten, daß sich Lampeter eine disziplinierte Gefolgschaft
herangezogen hatte. Die jungen Männer, die er nun zur landwirtschaftlichen
Ausbildung nach Deutschland schickte, gehörten diesem Kreis an. Volker Dick
bereitete auch ihnen die Wege. Die Ausbildung in den modernen
landwirtschaftlichen Betriebsmethoden geschah auf der Rauhen Alb, wo sie
ähnliche klimatische und bodenqualitative Voraussetzungen wie in der Heimat
antrafen. Sie arbeiteten im Sommer 1937 auf hierfür ausgewählten Höfen. Danach
faßte Willi Lampeter die rund 60 Mann zu einer "Winterschule" zusammen. Sie
hatte den Zweck, den künftigen Musterbauern das theoretische Rüstzeug für ihre
wirtschaftlichen Führungsaufgaben zu vermitteln.
Dr. Arko und Pfarrer Eppich befanden sich angesichts dieser Aktivitäten - auf
das Gottscheerland bezogen - in einer innenpolitisch schwierigen Lage. Auf der
einen Seite sahen sie mit Genugtuung den Bemühungen der Jugend um die Sicherung
der Zukunft des Gottscheerlandes zu, zum anderen sahen sie aber auf Grund ihrer
Erfahrungen voraus, daß die jugoslawischen Behörden sie keinesfalls gewähren
lassen würden. Da sich, zum Dritten, die Jugend nichts mehr dreinreden ließ,
versuchten die beiden "Alten" wenigstens auf dem kulturellen Sektor
gegenzusteuern und - vielleicht! - noch etwas zu retten. Am 13. August 1935
überreichte Dr. Arko dem neuen jugoslawischen Ministerpräsidenten Dr. Milan
Stojadinavic eine Denkschrift mit der Bitte, wenigstens die restlichen deutschen
Schulabteilungen bestehen zu lassen und dafür die erforderlichen deutschen
Lehrkräfte zu genehmigen. Die gleiche Denkschrift übermittelte er im Oktober
1935 der Banschaftsverwaltung in Laibach. Diese gab erst im Herbst 1936 eine
Antwort dahingehend, sie könne so lange für Gottschee nichts tun, wie in Kärnten
Slowenen entnationalisiert würden. Pfarrer Eppich unternahm darauf in Wien und
Klagenfurt Vorstöße mit dem Ziel, die paritätische Behandlung der slowenischen
Minderheit in Kärnten und in der Gottschee zu erreichen. Den Kärntner Slowenen
wurde volle Kulturautonomie angeboten, der Chef der Banschaftsverwaltung in
Laibach aber war nicht einmal bereit, eine Vertretung der Gottscheer anzuhören.
Er begründete seine ablehnende Haltung mit der Bemerkung, die
Banschaftsverwaltung sei hierfür nicht zuständig. Hier trat das slowenische
Gesamtkonzept in Sachen Gottschee abermals zutage. Der Banus erklärte sich für
die Minderheitenrechte der Gottscheer für nicht zuständig, wohl aber für jene
der Slowenen in Kärnten.
Von Seiten des Ministerpräsidenten Stojadinovic erging überhaupt keine Antwort
an Dr. Arko. In der großen Politik galt er jedoch als deutschfreundlich.
Möglicherweise war daher seine Hand im Spiel, als im Sommer 1935 die Zügel, die
man dem "Schwäbisch-deutschen Kulturbund" angelegt hatte, gelockert wurden.
Daß man in Laibach das Gesamtkonzept zur Beseitigung der Sprachinsel Gottschee
schließlich auch auf den wirtschaftlichen Sektor ausdehnte, bewies im Juni 1936
der Erlaß eines "Grundverkehrsgesetzes". Es bestimmte, daß jeder Besitzwechsel
innerhalb einer 50-km-Zone entlang der Staatsgrenze vom Kriegs- bzw.
Innenministerium genehmigt sein müsse. Dieses Gesetz bedeutete, obwohl Gottschee
innerhalb der 50-km-Sperrzone lag, noch keinen lebensbedrohenden Eingriff.
Dieser wurde allerdings bereits im Dezember im Rahmen der
Durchführungsbestimmungen nachgeholt. Darin wurde eine Kommission eingesetzt,
die von Fall zu Fall zu prüfen hatte, ob der jeweilige Besitzwechsel im
Interesse des Staates lag oder nicht. Mit anderen Worten: Ein Besitzwechsel der
Gottscheer untereinander war nunmehr ausgeschlossen. Was beabsichtigt war,
zeigte die Praxis sehr bald. Frei gewordene Besitze von Gottscheern konnten von
Slowenen für ein Spottgeld erworben werden. Die slowenischen
Jugendorganisationen "Sokol" und "Orjuna" unterstrichen die Maßnahmen der
Behörden mit verbalen Drohungen, deren geschmackloseste lautete: "Wir werden den
Hauptplatz in Gottschee mit euren Köpfen pflastern."
Die rechtliche Unsicherheit erreichte immer neue Höhepunkte. Dr. Michitsch
umreißt sie in der Kulturbeilage Nr. 58 der "Gottscheer Zeitung" wie folgt:
"Rechtsunsicherheit, mangelnder Rechtsschutz gegen Ermessensmißbrauch, Fehlen
einer innerstaatlichen Instanz, die bei einer Verletzung des
Minderheitenschutzes hätte befaßt werden können, die Völker- und staatsrechtlich
völlig unzulässige Diskriminierung der nationalen Minderheit durch Verordnungen
und Dekrete behördlicher Willkür."
Die Praxis dieser "Rechtslage", der Widerstand gegen dieses System der
Unterdrückung, wuchs namentlich bei der Jugend. Sie hatte einen Weg gesucht und
gefunden, den weiteren wirtschaftlichen Verfall aufzuhalten, weil sie es als ihr
legitimes Menschenrecht ansah, nicht tatenlos zuzusehen, wie die Heimat von
politischen Mächten zugrundegerichtet wurde. Sie fand auch einen Weg, um
wenigstens notdürftig einen kulturellen Ausgleich zu schaffen. Ein unsichtbares
Ringen um die Mundart und die Schriftsprache hatte eingesetzt. Wo dies möglich
war, erteilten die wenigen Geistlichen jungen und älteren Menschen deutschen
Sprachunterricht. Hunderte von Fibeln tauchten auf und gingen von Hand zu Hand.
Immer lauter erhob sich in den Jahren 1936 und 1937 der Vorwurf gegen die alte
Führung, sie tue zu wenig zur Durchsetzung der Lebensrechte und der kulturellen
Forderungen der Gottscheer. Die Jugend meinte, sie selbst könne durch
energischeres Auftreten eine Änderung der staatlichen jugoslawischen
Minderheitenpolitik in Gottschee erzwingen. 1938 hielt Lampeter dann die Zeit
für gekommen, die Volksgruppenführung zu übernehmen. Er ging allerdings von
einem entscheidenden Trugschluß aus: Ohne daß es ausgesprochen wurde, erwartete
er, das Deutsche Reich werde das betont zielstrebige Auftreten einer jungen
Volksgruppenführung gegenüber dem jugoslawischen Staat offiziell abdecken. In
einem Punkt schien es freilich so zu sein. Im November 1938 erhielt Dr. Hans
Arko von der "Arbeitsstelle" Gottschee im VDA, Berlin, die Mitteilung, er sei
als Volksgruppenführer abgesetzt. Woher die Initiative zu diesem Brief kam, war
leicht zu erraten. Daheim warf man dem Abgesetzten unter anderem noch
Vetternwirtschaft bei der Auswahl der Hausierer vor. Verbittert resignierte der
Rechtsanwalt. Er hatte nicht einmal die Möglichkeit erhalten, in angemessener
Form freiwillig abzutreten. Der geistliche Rat in Mitterdorf aber wartete nicht
erst ab, bis die Reihe an ihm war. Er übergab zum 1. Jänner 1939 die
Schriftleitung der "Gottscheer Zeitung" an einen jungen Mann, den
Berufsjournalisten Herbert Erker. Seine journalistische Ausbildung hatte er beim
"Deutschen Volksblatt", der Tageszeitung der Deutschen in Jugoslawien, in
Neusatz (Novi sad) erhalten, deren Hauptschriftleiter war ja der Gottscheer Dr.
Franz Perz aus Mitterdorf.
Ein dreiköpfiges Gremium, bestehend aus Kaufmann Josef Schober (Stadt Gottschee),
Willi Lampeter und Martin Sturm, wurde geschaffen. Schober übernahm den Vorsitz
und wurde künftig als "Volksgruppenführer" bezeichnet. Er war bis dahin im
öffentlichen Leben kaum hervorgetreten. Die Tatsachen sollten auch bald
beweisen, daß der noch jugendliche Lampeter (Geburtsjahr 1919) den wesentlich
Älteren lediglich als Aushängeschild benutzte. Die zahlreiche Anhängerschaft
Lampeters aber fühlte sich durch die neue Entwicklung in ihren Ansichten,
Absichten und Leistungen bestätigt.
Eine der ersten Maßnahmen des neuen Führungsgremiums war die Überreichung einer
Ergebenheitsadresse an den deutschen Konsul in Laibach. Darin hieß es unter
anderem, die Gottscheer seien bereit, Weisungen aus dem Reich entgegenzunehmen.
In die politische Wirklichkeit übertragen sollte das jedoch nicht bedeuten, daß
sie auf ihre gewachsene Traditionen verzichten wollten. Sie sympathisierten zwar
mit den "Erneuerern" im donau-schwäbischen Raum, ohne jedoch auf ihr politisches
Konzept bedingungslos einzugehen. "Die Gottscheer Führung hatte ganz klare,
politische Vorstellungen", erläuterte der damals 19jährige Jugendführer in
Gottschee, Richard Lackner, Erich Petschauer 1973 in einem Gespräch über die
dreißiger Jahre und fuhr fort: "Wir wußten, daß wir auf keinen Fall Einfluß auf
allgemein politische und staatspolitische Veränderungen nehmen konnten, und
unsere ganze Konzeption war auf der Tatsache aufgebaut, daß wir uns als
Sprachinsel im jugoslawischen Königreich befinden, daß wir aus dieser Situation
heraus tätig sein müssen, um den Untergang, die Vernichtung von Gottschee zu
verhindern."
Trotz der Ergebenheitsadresse und der vordergründigen programmatischen
Einordnung in die Zwänge des großen politischen Kraftfeldes bewahrte sich die
neue Führung innerlich einen gewissen Vorbehalt hinsichtlich der
Handlungsfreiheit der Gottscheer. Er klingt auch bei Richard Lackner 1973 noch
nach: "... weil wir aus einem sehr eigenständigen Denken und eigenständiger
Sicht unsere Sache selbst machen wollten. Wir wollten den Typ des Gottscheers
schaffen, der bereit war, die Erneuerung seiner Heimat mitzumachen."
Berlin, 1. September 1939. Hitler greift Polen an. Drei Wochen später: Die
Republik Polen existiert nicht mehr.
Berlin, 6. Oktober 1939. Hitler gibt in einer Reichstagsrede bekannt, er halte
es für notwendig, die Nationalitäten in Europa umzusiedeln, damit die Grenzen
zwischen den Völkern genauer gezogen werden könnten. Das deutsche Volk werde
seine Vorposten zurückziehen. Daß ihm damit ernst zu sein schien, wurde tags
darauf deutlich. Er ernannte den Reichsführer SS, Heinrich Himmler, zum
"Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums". Die neue
Aufgabenstellung Himmlers war so neu nicht mehr, wie sich an der von langer Hand
vorbereiteten Südtiroler Umsiedlung erwies. Der mit den Italienern ausgehandelte
Umsiedlungsvertrag war im Juni 1939 in Kraft getreten, die Verhandlungen mußten
also bereits Monate vorher begonnen haben. Im August und September 1939
richteten sich die italienischen und deutschen ümsiedlungsdienststellen in
Südtirol ein.
Die deutschen Volksgruppen in Ost- und Südosteuropa gerieten in Panik. Sie nahm
auch in Jugoslawien Ausmaße an, daß sich der deutsche Gesandte in Belgrad
genötigt sah, im "Deutschen Volksblatt" die wenig glücklich formulierte
Erklärung abzugeben, die Umsiedlung der Deutschen aus Jugoslawien sei "nicht
aktuell".
Heinrich Himmler hatte durch die Ernennung zum "Reichskommissar für die
Festigung deutschen Volkstums" erheblichen Machtzuwachs erfahren. Zur Steuerung
des neuen Arbeitsgebiets errichtete er in Berlin das "Stabshauptamt" und
unterstellte es dem damaligen Brigadeführer Ulrich Greifelt. Dem Reichskommissar
wurden auch die volkspolitisch tätigen Organisationen im deutschen Reich
unterstellt, vor allem die "Volksdeutsche Mittelstelle" (VOMI), die dem "Stab
des Stellvertreters des Führers" angehört hatte, und der "Volksbund für das
Deutschtum im Ausland (VDA)", der sich trotz Unterstellung unter die VOMI noch
eine gewisse Selbständigkeit als kultureller Betreuer deutscher Menschen mit
fremder Staatsangehörigkeit bewahrt hatte. Die Festigung dieses Volkstums war
nun nicht mehr gefragt.
Begreiflicherweise waren auch die Gottscheer von der Ankündigung Hitlers tief
betroffen. Gerüchte liefen von Dorf zu Dorf, niemand wußte etwas Genaues. Die
Führung der Sprachinsel schwieg. Sie handelte nach außen so, als ob es keine
Umsiedlung geben würde. Die überraschend vorgenommene und uneingeschränkte
Zulassung des Kulturbundes schien ihr recht zu geben. Die jugoslawische
Regierung sprach die Genehmigung mit dem Hinweis aus, man sei in Kärnten den
Slowenen entgegengekommen. Innerhalb weniger Wochen entstanden 25 Ortsgruppen
des Kulturbundes, auch in Dörfern, in denen noch keine bestanden hatte.
Die Neuzulassung der Kulturbundorganisation gestattete es Willi Lampeter, einen
schon länger gehegten Plan zu verwirklichen: Im Herbst 1939 stellte er die "Gottscheer
Mannschaft" auf. Die Kulturbundsatzung wurde zu diesem Zweck dergestalt
umgebaut, daß jedes Bundesmitglied zwischen 18 und 50 Jahren der "Mannschaft"
automatisch angehörte. Lampeter trat als "Mannschaftsführer" an ihre Spitze. In
den Ortsgruppen hießen die Leiter der Mannschaftsabteilung "Sturmführer". Eine
lebhafte kulturelle Tätigkeit kam rasch in Gang. Sie war verbunden mit
disziplinären Pflichtübungen nach dem Muster reichsdeutscher Organisationen.
Die zur Schau getragene, fast hektische Geschäftigkeit - bei gleichzeitigem
Schweigen über die Umsiedlung - bedeutete jedoch nicht, daß der innere
Führungskreis der Volksgruppe intern der Diskussion über die Frage, umsiedeln
oder nicht, auswich. Er war sich durchaus bewußt, daß die Gottscheer nun nicht
nur zwischen zwei, sondern zwischen drei Feuern standen. Einmal waren sie immer
noch mit dem Vernichtungsfeldzug der Slowenen konfrontiert, zum anderen glaubten
sie, einen Weg gefunden zu haben, um den Lebens- und Volkstumskampf auf dem
eigenen Boden so lange bestehen zu können, bis, auf die Dauer gesehen, eine
gütliche Lösung des Gottschee-Problems erfolgte. Jedoch drittens, just jene
politische Macht, die allein imstande gewesen wäre, eine solche zu erzielen,
wollte sie irgendwohin verpflanzen. Was konnten die Gottscheer tun, was durften
sie tun?
Die jungen Männer an der Spitze, die ja noch keine politische Erfahrung besitzen
konnten, waren ratlos.
Alle Diskussionen endeten in
derselben Sackgasse: Es gab keinen Ausweg, als umzusiedeln. Der Kreis um
Lampeter glaubte, wenn die Umsiedlung schon nicht zu umgehen war, daß er dann
wenigstens auf deren Zielsetzung würde Einfluß nehmen können. Er beschloß, die
diesbezüglichen Wünsche und Vorstellungen der nächsten, erreichbaren deutschen
Instanz, dem deutschen Konsul in Laibach, vorzutragen. Dies geschah am 6.
November 1939, vier Wochen nach der Hitlerrede. Frensing berichtet über das
Gespräch und kommentiert es auf Seite 25 seines Buches über die Umsiedlung der
Gottscheer wie folgt:
"Im ersten Punkt machten sie schon die entscheidende Konzession. Auch in der
Frage der Umsiedlung habe das Interesse der Volksgruppe hinter dem Interesse des
gesamten Volkes zu stehen. Von dieser Basis aus waren die folgenden Überlegungen
der Gottscheer entscheidend relativiert und, zugespitzt formuliert, fast bis zur
Belanglosigkeit degradiert. Die Gottscheer gaben sich einer gefährlichen
Illusion hin, wenn sie meinten, man müsse sie erst einmal zu dem Problem hören
und sie könnten dann in einer konkreten, geschichtlichen Situation an den
Grundsätzen Hitlerscher Außen-und Umsiedlungspolitik nach ihren Vorstellungen
Korrekturen anbringen. Aus dem Blickwinkel nationalsozialistischen Denkens mußte
es daher als geradezu ketzerhaft empfunden werden, daß die Gottscheer eine vom
"Führer" unumstößlich festgelegte Entscheidung als nicht ausreichend für eine
eventuelle Umsiedlung betrachteten. Die Tatsache, daß die Gottschee in die
italienische Interessenssphäre fällt, ist für die Volksgruppenführung kein
Argument, das die Absiedlung in genügendem Maße begründen kann. Der Gottscheer
Hinweis auf den deutsch-russischen Pakt als Beweis dafür, daß sehr plötzlich ein
völliger Umschwung im Verhältnis verschiedener Mächte eintreten kann, entbehrte
gewiß nicht der peinlichen Pikanterie."
Frensing fährt weiter unten fort: "Es war der Wille der Gottscheer Führung, bei
einem Zerfall des südslawischen Staates, ans Reich "angeschlossen" zu werden.
Das hatte sich bereits 1939 während der Märzunruhen unter den Volksdeutschen
Sloweniens gezeigt, als diese nach der Okkupation der "Resttschechoslowakei"
offen den Anschluß forderten. Ein Mitglied der Gottscheer Führung hatte sogar am
13. April 1939 von Graz aus ein Telegramm an Hitler mit der Bitte um "Anschluß"
geschickt, in dem die Sorge vor einer Einverleibung der Gottschee durch Italien,
das gerade Albanien angegriffen hatte, anklang."
Die Gottscheer Bauern und Bürger erfuhren auch über diese Laibacher Besprechung
nichts. Der politische Innendruck in der Sprachinsel stieg unaufhaltsam. Jedes
andere Thema als die möglicherweise unausweichliche Umsiedlung war in den
Hintergrund getreten. Indessen wuchs aber auch die Zahl der Umsiedlungsgegner.
Die "Stürme" wurden ausgebaut. Die Gendarmerie und slowenische Nationalisten
nahmen bei Veranstaltungen der Gottscheer wiederholt eine drohende Haltung ein.
In dieser spannungsgeladenen Atmosphäre erschien 1940 ein schmales Bändchen
unter dem Titel "Die Wirtschaftsfragen des Gottscheer Bauern" aus der Feder von
Willi Lampeter und Martin Sturm. Es wirkte wie ein kleines, tröstliches
Versprechen auf die Zukunft, denn es enthielt manchen guten Ratschlag für den
Gottscheer Bauernhof.
Nichts erfuhren die Gottscheer, diesmal einschließlich der Führung, über das
Spiel hinter den Kulissen in der Reichshauptstadt. Der Chef der Volksdeutschen
Mittelstelle, SS-Obergruppenführer Werner Lorenz, hielt beispielsweise in einem
Vermerk vom 27. Juni 1940 fest, daß "im Falle einer kriegerischen
Auseinandersetzung zwischen Deutschland und Jugoslawien zwar die Annexion von
Teilen der Südsteiermark und Oberkrains an das "Deutsche Reich" vorgesehen war,
nicht aber die der Gottschee". Auch Lorenz betrachtete selbstverständlich das
Gottscheerland als zur italienischen Interessenssphäre gehörig und forderte
konsequenterweise die Umsiedlung seiner Bewohner (Frensing, S. 26). Er gab damit
sicher nicht seinen eigenen Gedankengang wieder. Und noch eines ist in dem
Vermerk beachtenswert: Der Obergruppenführer wußte bereits im Juni 1940 von
einer militärischen Auseinandersetzung mit Jugoslawien.
Inzwischen war die "Heim-ins-Reich-Bewegung" proklamiert worden und angelaufen.
Über die eigentlichen Hintergründe erfuhren die betroffenen Volksgruppen
ebensowenig wie das deutsche Gesamtvolk. Nicht um die europäischen Grenzen neu
ordnen zu können, sondern aus rein macht- und volkspolitischen Erwägungen hatte
Hitler am 6. Oktober 1939 die Zurücknahme der deutschen "Außenposten"
angekündigt. Er und Himmler wollten vielmehr das biologische Defizit, das auf
den deutschen Volkskörper zukam, ausgleichen. Bevölkerungsstatistiker, so vor
allem der damalige Präsident des Bayerischen statistischen Landesamtes, Prof.
Dr. Friedrich Burgdörfer, hatten bereits in den zwanziger Jahren exakt voraus
berechnet, daß das deutsche Volk in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts
sichtbar abnehmen würde, weil in der deutschen Bevölkerungspyramide die
annähernd zwei Millionen Gefallenen des ersten Weltkriegs sowie ihre ungeborenen
Nachkommen fehlen, die beiden mächtigsten Männer des Dritten Reiches
kalkulierten auch ein, daß der zweite Weltkrieg weitere schwere Opfer fordern
und das Defizit von 1914 bis 1918 beträchtlich erhöhen würde. Andererseits stand
auf dem Territorium der früheren Habsburger Monarchie - einschließlich der
Sudetendeutschen - ein wertvolles Menschenpotential von rund 10 Millionen zur
Verfügung. Die Sudetendeutschen waren 1940 bereits in den Reichsverband
eingegliedert, die Balten-Deutschen ebenfalls ins Reich eingeholt, es harrten
also noch die Jugoslawien-, Ungarn- und Rumänien-Deutschen, zusammen wiederum
etwa 2,5 Millionen, der Umsiedlung ins Reich. Im wesentlichen handelte es sich
bei diesem Diaspora-Deutschtum um die Nachkommenschaft von Siedlern, die in
zeitlich weit auseinanderliegenden Kolonisationsphasen in ihren
Siedlungsgebieten angesetzt worden waren, die Siebenbürger (1140 bis 1160) und
die Donauschwaben in der südungarischen Tiefebene während der Regierungszeit
Maria Theresias (1740 bis 1780).
Daß es den Machthabern des Dritten Reichs wirklich auf die Hereinnahme auch
dieser südosteuropäischen Volksdeutschen zur Auffüllung des biologischen
Defizits ankam, läßt sich mühelos aus ihrem Verhalten beziehungsweise der
volkspolitischen Befehlslage in der Umgebung Himmlers herausfiltern: Auf der
einen Seite hieß es, man wolle diese Deutschen nicht als Kulturdünger für andere
Völker verkommen lassen. Welch ein Widerspruch zum Machtbewußtsein in der
Reichskanzlei zu Berlin! Als ob das "Großdeutsche Reich", das sich auf
unabsehbare Zeit als die größte Militärmacht Europas verstand, irgendeine andere
Regierung hätte fragen müssen, wenn es die Volksdeutschen in ihrem Lande hätte
fördern wollen. Und zum anderen: 1939/40 entstand im Stabshauptamt in der
Hauptabteilung "Menscheneinsatz" unter der Regie des SS-Obersturmbannführers Dr.
Fähndrich eine streng vertrauliche Sammlung aller bis dahin erlassenen Befehle
und Anordnungen zur "Festigung Deutschen Volkstums".
Der Herausgeber schrieb in der Einleitung unter anderem:
1. Die "außerhalb der Interessenssphäre des großdeutschen Reiches" lebenden
Deutschen seien "nach Maßgabe der Dringlichkeit und Notwendigkeit" umzusiedeln.
Sie würden dadurch "von ihrer Rolle als Kulturdünger fremder Staaten" befreit.
2. Dieser Ruf des "Führers" bedeute eine "völlige Revolutionierung der früheren
deutschen Volkstumspolitik", denn die bisherige "vielfach romantisch gefärbte
Schwärmerei, die sich an der Verstreutheit der Deutschen ... begeisterte", sei
nach dem Grundsatz umgeformt worden: "Hereinnahme des wertvollen deutschen
Blutes zur Stärkung des Reiches selbst."
3. Das "Gefühl der blutlichen Verbundenheit zum deutschen Gesamtvolk", das die
Volksdeutschen bewiesen hätten, sichere ihnen "zumindest ein moralisches Anrecht
auf eine gute Aufnahme im Reich . .. und auf die Bereitstellung einer gesunden
Existenzgrundlage".
4. Trotz des Verlustes der alten Heimat sei das Reich gegenüber dem
Volksdeutschen in "viel größerem Maße .. der gebende Teil".
Dies verpflichte die "heimgekehrten Deutschen, sich in die Disziplin, die Zucht
und die Ordnung des Großdeutschen Reichs organisch einzufügen". Dazu stellte Dr.
Fähndrich zwei konkrete Forderungen auf:
"Mit der Hereinnahme einer Volksgruppe in das Reich hört die frühere
Volksgruppenorganisation auf zu bestehen, denn über der Volksgruppe steht das
Reich."
und
"Die Begriffe des Baltendeutschen, des Wolhynien- und
Bessarabien-deutschen usw. müssen vielmehr in kürzester Frist ausgetilgt sein."
Auch die Gottscheer sollten sehr schnell mit dem obigen Konzept des
"Reichskommissars für die Festigung Deutschen Volkstums" Bekanntschaft machen.
Wie wir aus dem oben zitierten Aktenvermerk des SS-Obergruppenführers Lorenz
wissen, trug sich Hitler spätestens schon in der ersten Hälfte des Jahres 1940
mit dem Gedanken, Jugoslawien militärisch niederzuringen und aufzuteilen. Der
Belgrader Staatsstreich vom 27. März 1941, der eine allgemeine Verheerung im
Lande nach sich zog, erschien ihm als eine günstige Gelegenheit zur Ausführung
dieses Plans. Am 6. April 1941 rückten die deutschen Truppen in das Königreich
Jugoslawien ein und schalteten in wenigen Tagen seine nicht sehr schlagkräftige
Armee aus. Der deutsche Angriff war für sie völlig überraschend gekommen. Auch
für die Gottscheer! Was sie befürchtet hatten, trat ein: Am 20. April 1941
wurden in Wien die Trümmer des Südslawenstaates "neu geordnet". Mussolini hatte
seinen Außenminister-Schwiegersohn, Graf Galeazzo Ciano, zu der Konferenz
entsandt. Die Italiener erhielten Unterkrain mit der Region Laibach, das Reich
behielt Oberkrain als neuen Bestandteil des Gaues Kärnten, sowie die
Untersteiermark, die dem Gau Steiermark angegliedert und von Marburg an der Drau
aus verwaltet wurde. Den Kroaten wurde ein eigener Staat zugestanden und
Altserbien selbständig belassen.
Die Zerschlagung Jugoslawiens war die Voraussetzung für die Eroberung Rumäniens,
womit er sich den Weg zur Schwarzmeerküste freischlug und die Aufmarschbasis zu
Lande gegen die Sowjetunion vervollständigte. Die Eroberung Albaniens und
Griechenlands war ein unübersehbares Signal, daß Mussolini den italienischen
Anspruch auf das "mare nostrum" zu verwirklichen gedachte. Innerhalb dieses
Zwischenspiels der sogenannten großen Politik sieht plötzlich der Verzicht
Hitlers auf Südtirol ganz anders aus, erhält selbst das kleine Gottscheerland
für das deutsch-italienische Verhältnis ein neues Gesicht: Der Diktator in
Berlin opferte in seiner kontinentalen Schachpartie zwei Bauern, um von dem
Diktator in Rom bei dem großen Zug mit der Dame nicht gestört zu werden. Als der
Letztere aber merkte, daß ihn sein Freund jenseits der Alpen überfahren hatte,
war es zu spät.
Die Gottscheer aber mußten seit der Zerschlagung Jugoslawiens einen Nervenkrieg
ohnegleichen durchstehen. Sie waren tagelang überzeugt, daß die deutsche
Wehrmacht das "Ländchen" besetzen würde. Die Dörfer, durch welche die
Panzerkolonnen in die Stadt fahren mußten, legten Girlandenschmuck an. Lampeters
"Mannschaft" handelte so, als ob die Wehrmacht ihre Tätigkeit als vernünftig und
zweckmäßig gutheißen würde. Die jungen Männer übernahmen den Sicherheits- und
Ordnungsdienst im Siedlungsgebiet. Der noch amtierende Bezirkshauptmann wurde
vom "Mannschaftsführer" beauftragt, der Gendarmerie zu befehlen, daß sie ihre
Waffen an die "Stürme" abliefere. (Persönliche Mitteilung von Richard Lackner).
Außerdem erhielten die Gottscheer die ihnen vorher abgenommenen Waffen, auch die
Jagdgewehre, zurück. Am 13. April 1941 übernahm dann Willi Lampeter aus eigener
Machtvollkommenheit die Leitung der Bezirkshauptmannschaft Gottschee. Auf die
bundesdeutsche Verwaltungsebene übertragen, hieß das, er hatte sich selbst zum
kommissarischen Landrat ernannt. Sein Amtssitz war das Schloß Auersperg in der
Stadt Gottschee.
Die Hoffnung und Erwartung steigerten sich zu fieberhafter Unruhe, als sich der
Einmarsch der Wehrmacht immer weiter verzögerte. Eine Delegation von Gottscheern
eilte nach Rudolfswerth, wo die Truppen Hitlers angeblich haltgemacht hatten.
Der deutsche Abschnittskommandeur empfing sie freundlich, erklärte aber, er
besitze keinen Befehl, die erreichte Linie zu überschreiten. Der Delegation
wurde damit klar, daß sie an der Demarkationslinie zwischen den deutschen und
italienischen Interessengebieten stand.
Anstelle einer Vorausabteilung der deutschen Wehrmacht traf ausgerechnet am 20.
April 1941, dem Konferenztag von Wien, in Gottschee die Mitteilung des
"Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums" ein, daß die
"Volksgruppe Gottschee" umgesiedelt werde. Drei Tage später bestätigte Adolf
Hitler persönlich einer Abordnung der Sprachinsel, daß er den Gottscheern eine
"historische Aufgabe als "Wehr- und Grenzbauern" stelle. Lampeter und sein Kreis
aber hielten die Mitteilung Himmlers über die Umsiedlung und den Inhalt des
Gesprächs mit Hitler vorläufig geheim. Und während der "Führer" in Marburg an
der Drau die Delegation aus Gottschee empfing, rückte eine italienische
Vorausabteilung in der Stadt ein. Ihre erste Maßnahme war die Absetzung Willi
Lampeters als Bezirkshauptmann. Nur zehn Tage hatte er sein Amt ausgeübt. Der
Traum der kleinen Volksinsel im Karst von der Selbständigkeit war zum dritten-
und letztenmal ausgeträumt.
Das Gottscheer Völkchen erstarrte vor Angst. Die Führung wurde mit Fragen
bestürmt. Sie wich mit ablenkenden Erklärungen aus. Nichts verlautete weiter
über Marburg, nichts über die eigenen Ansichten, nicht einmal das, was sich
jedermann nach dem Einmarsch der Italiener ausrechnen konnte, nämlich die
Umsiedlung, wurde bestätigt.
Wann? Wohin?
Die Jugend und politisch Einsichtige fanden sich mit dem voraussehbaren
Schicksal ab. Manche der Hausierer der Jahre 1934 bis 1938 dachten an
Deutschland als Umsiedlungsziel, dachten an "ihre" Städte - vielleicht ließen
sie einen nach dem Krieg ein paar Winter hausieren, damit man sich ein neues
Zuhause aufbauen konnte?
Nun, nach mehreren Jahrzehnten, ist es leichter als unter dem Druck der
Ereignisse des Frühjahrs 1941 zu beurteilen, ob die Führung der Gottscheer
verantwortungsbewußt handelte oder nicht. Aus ihrer eigenen Sicht tat sie dies,
heutzutage aber ist man geneigt, zu sagen, daß sich diese Frage überhaupt nicht
stellt, denn sie hätte gar nicht anders handeln können, als sie es tat. Eines
freilich ist sicher, sie vergriff sich im Ton. Dieser aber war zeitbedingt.
Teile der Bevölkerung hielten sich durch die jungen Leute für gegängelt.
Andererseits war der Führungskreis selbst ja noch nicht über alle Details des
Wann und Wohin unterrichtet. Unter diesen Umständen kann man es bis zu einem
gewissen Grade verstehen, daß die Führung nervös wurde. Wenn sie auch keine
großen Massen zu leiten hatte, so war es, vor allem menschlich, gewiß keine
leichte Aufgabe, die Konkursverwalter eines jahrhundertealten
Familienunternehmens sein zu müssen, das ohne direktes, eigenes Verschulden von
einem Großkonzern in "Existenznot" gebracht wurde. Aber gerade weil die Führung
glaubte, schweigen zu sollen, wurden das Für und Wider der Umsiedlung erst recht
immer leidenschaftlicher erörtert. Als dann der Führung bewußt wurde, daß das
"Wider" zu überwiegen begann, reagierte sie mit einem grellen Mißton: In der "Gottscheer
Zeitung" vom 1. Mai 1941 - es sind, wohlgemerkt, noch keine vier Wochen seit dem
Zusammenbruch Jugoslawiens vergangen - griff sie "die Miesmacher" mit
außerordentlich gefährlich klingenden Drohungen an. Doch nicht nur den eigenen
Landsleuten, sondern auch der italienischen Besatzung gegenüber glaubte der
Führungskreis die Selbständigkeit seiner Entschlüsse dokumentieren zu müssen. Am
2. Mai 1941 erschien der Volksgruppenführer Josef Schober beim italienischen
Hohen Kommissar Emilio Grazioli in Laibach, überreichte ihm eine
Ergebenheitsadresse an Mussolini und trug die Wünsche und Vorschläge der
Gottscheer an die faschistische Zivilverwaltung der Provinz Laibach vor. Signor
Grazioli sagte zu, alle Fragen einvernehmlich mit der Volksgruppe zu behandeln.
Es sollte sich jedoch sehr bald zeigen, daß der Hohe Kommissar nicht im
entferntesten daran dachte, die Volksgruppenführung nach ihrer Meinung zu fragen
oder sich vielleicht sogar nach dieser zu richten. Das galt insbesondere für die
italienische Auffassung von den Slowenen.
In dem Bestreben, nach allen Seiten unabhängig zu erscheinen, gab sich das
Führungsgremium Schober - Lampeter - Sturm auch in Berlin betont selbstbewußt.
Das Stabshauptamt hatte es für Mitte Mai zu einer Besprechung "eingeladen". Man
wollte in der Reichshauptstadt wissen, ob sich die Volksgruppenführung personell
und organisatorisch der Umsiedlungsaufgabe gewachsen fühle. Durch Vorlegen der "Gottscheer
Zeitung" vom 8. Mai 1941 - das Blatt erschien zum damaligen Zeitpunkt einmal
wöchentlich - bewies sie, daß ein eigener Führungsstab aus eigener Initiative
bereits aufgestellt war. Und dort hieß es:
"Der Volksgruppenführer hat angeordnet, folgende Ämter zu bilden:
A. Volksgruppenführung, Amtsleiter der Volksgruppenführer (Josef Schober),
B. Der Stab der Mannschaft, Amtsleiter der Mannschaftsführer Willi Lampeter,
zugeteilt für die Wirtschaft der Stabsführer Martin Sturm, für das
Ernährungswesen Johann Schemitsch.
C. Jugendführung, Amtsleiter der Jugendführer Richard Lackner,
D. Dienststelle für Organisation und Propaganda, Amtsleiter der Stabsführer
Altred Busbach, zugeteilt der Schriftleiter Herbert Erker."
Von der Umsiedlung ist allerdings in dieser Anordnung des Volksgruppenführers
noch keine Rede. Aus der Sicht des Dreier-Gremiums war die Berliner Reise ein
voller Erfolg, hatte doch das "Stabshauptamt" seinen Vorschlag, die Umsiedlung
möglichst bald durchzuführen, und die Gottscheer wieder geschlossen anzusiedeln,
gutgeheißen. Keine Bedenken bestanden außerdem gegen die Absicht, die
Umsiedlungswilligen nach Mischehen mit Slowenen und Besitzlosen bzw.
Bauernunfähigen und Kleinstbesitzern (später auch nach "politisch
Unzuverlässigen") einzuteilen und bei der Ansiedlung anders zu behandeln als das
große Ganze. Greifelt war auch damit einverstanden, daß die Volksgruppenführung
die Umsiedlung allein durchführte. Die Volksgruppenleitung durfte sich somit
legitimiert fühlen, den Auszug der Gottscheer nach ihrem Ermessen vorzubereiten
und in die Wege zu leiten. Das tat sie denn auch. Und jetzt erst, da sie in
ihren Augen die ganze Handlungsfreiheit besaß, bestätigte sie in vollem Umfang
das über die Gottscheer hereingebrochene Unglück. In der Ausgabe Nr. 21 der "Gottscheer
Zeitung" vom 22. Juni 1941 erschien der folgende, von Schober und Lampeter
unterzeichnete Aufruf an alle Gottscheer:
"Gottscheer Volksgenossen und Volksgenossinnen! Der Führer ruft uns heim ins
Reich Erwartet in eiserner Disziplin seinen Befehl! Zeigt durch Arbeit und Fleiß
noch in letzter Stunde, daß Ihr würdig seid. Deutsche Adolf Hitlers zu sein! Die
Arbeit des Jahres 1941 in der alten Heimat soll aller Welt beweisen, daß wir,
wie durch 600 Jahre, auch im letzten Jahr unserer Volksdeutschen Prüfungszeit
den Karst bewohnen und ihm unser karges Brot abringen konnten.
Bietet unserem italienischen Bundesgenossen ein einmaliges Bild deutscher
Manneszucht als Ausdruck unserer unerschütterlichen Treue zur ehernen Politik
der Achse!"
Wenn noch eine Steigerung der Gefühle möglich war, so trat sie nun, da die
Umsiedlung nicht mehr aufzuhalten war, ein: Bestürzung und Verzweiflung,
Verbitterung und Enttäuschung gingen durch die Gemüter der älteren Gottscheer.
Begreiflicherweise wagten nur wenige, ihren wirklichen Empfindungen offen
Ausdruck zu geben. Nun lauerte die Gewißheit vor der Haustüre, daß hinter dem
Vorhang aus flammenden Worten der Abschied ohne Wiederkehr stand.
Während die junge Generation überwiegend die Umsiedlung als einen Hilter-Befehl,
der auszuführen war, widerspruchslos hinnahm, verfestigte sich der
Widerstandswille eines Teils der älteren Jahrgänge im Laufe des Sommers 1941 bis
zur offenen Ablehnung. Auch der Klerus - es amtierten nur noch sechs Geistliche
- war sich nicht einig. Die Geistlichen Räte Josef Eppich in Mitterdorf und
August Schauer in Nesseltal und ihre Amtskollegen Josef Kraker in Rieg und Josef
Gliebe in Göttenitz standen gegen die Umsiedlung. Heinrich Wittine in Morobitz
trat dafür ein und Alois Krisch in Altlag wollte sich für das Gehen oder Bleiben
erst entscheiden, wenn seine Gemeinde sich entschieden hatte. Zum Wortführer der
offenen Opposition im Hinterland machte sich Pfarrer Kraker.
Immer noch wußte die Bevölkerung des "Ländchens" nicht, wohin man sie umsiedeln
wollte. Obwohl sie damit jeglicher Spekulation Tür und Tor offen ließ, sah die
Volksgruppenführung davon ab, das neue Siedlungsgebiet näher zu bezeichnen.
Hingegen ging sie mit aller Intensität daran, die personellen Voraussetzungen
für eine geordnete Umsiedlung zu schaffen. Als organisatorisches Gerüst bot sich
die "Mannschaft" an. Um ihre Belastbarkeit zu überprüfen bzw. notfalls zu
stärken, faßte Lampeter die 25 Sturmführer zu einem Schulungslager zusammen. Das
"Stabshauptamt" sah indessen, nachdem die Würfel gefallen waren, die politische
Betätigung der Gottscheer nicht gerne. Es kannte die Empfindlichkeit der
Italiener in diesen Dingen von Südtirol her. Daher strich es den Posten
"Schulung und Propaganda" in dem eingereichten Etat der Volksgruppenführung auf
ein Viertel zusammen. Das hinderte jedoch den tatsächlichen Volksgruppenführer,
Willi Lampeter, nicht, das Lager durchzuführen. Dabei machte er unter anderem
den Teilnehmern klar, daß die Umsiedlungsgegner spätestens bis zu dem
Augenblick, da der einzelne Gottscheer und die einzelne Gottscheerin vor der
endgültigen Entscheidung über Bleiben oder Gehen stand, mundtot gemacht sein
mußten. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde jedes Mittel gutgeheißen, auch
psychologischer Druck. Insbesondere war es nach Lampeters Meinung unerläßlich,
die Gottscheer aus den bisherigen geistigen und seelischen Bindungen zu lösen.
Dazu zählte vor allem das vielfach verflochtene Band der Zusammengehörigkeit mit
den Amerika-Gottscheern, die daraus entstandene Abhängigkeit vom Dollar, die
Sendung von modisch abgestempelter Kleidung, die nicht nach Gottschee paßte, das
Auftrumpfen mit Photos über die Lebensverhältnisse in den USA - alles an sich
keine aktuellen Einflüsse von Bedeutung.
Wesentlich schwerer wog ein anderer, erst nachträglich begreifbarer Vorstoß in
den unterschwelligen seelischen Bereich des Gottscheers: Allem Gerede, auch
prominenter Autoren, über die "negative Auslese" der Gottscheer infolge der
Massenauswanderung zum Trotz, hing der Rest des Völkchens im Karst an seiner
Heimat. So gesehen war es eine positive Auslese. Und diese seelische Bindung an
Heimat und Tradition sollte nun durch ein fanatisches Bekenntnis zum Reich
verdrängt werden. Lampeter eröffnete in der Ausgabe Nr. 25 der "Gottscheer
Zeitung" vom 17. Juli 1941 dazu eine Propagandawelle und stellte zunächst fest,
von verschiedenen Seiten werde "Stimmung gegen die Umsiedlung" gemacht. Dabei
werde eine übergroße Heimatliebe vorgetäuscht. Noch weiter geht das Blatt an
einer anderen Stelle: "Das Entscheidende, das die Gottscheer sechs Jahrhunderte
deutsch bleiben ließ, war nicht eine nun plötzlich aufgegangene Liebe zur
Heimat, die ja nie eigentlich Heimat war, sondern eben das Bewußtsein, Vorposten
zu sein, das Bewußtsein, verantwortlich zu sein für etwas ganz Großes,
Einmaliges, für das lebendige Deutschtum auf Erden, das Reich."
Das war die völlige Umkehrung des Heimatgedankens. Heimatliebe und
Heimatbewußtsein hatte es also bei den Gottscheern in allen 600 Jahren ihrer
Geschichte nie gegeben. Sie waren "Vorposten", aber nicht sprachlich im Sinne
von Professor Kranzmayer, sondern politisch. Daß die Rolle, die man dem
Gottscheerland auf diese
Weise zudiktierte, mit den geschichtlichen Tatsachen nicht in Einklang zu
bringen war, wurde wunschgemäß übersehen. Nicht "Das Reich" hat im 14.
Jahrhundert die spätere Sprachinsel Gottschee gegründet, sondern das Kärntner
Grafengeschlecht von Ortenburg als wirtschaftlich zweckbestimmtes
Siedlungsunternehmen. Die Stelle,
"... das Bewußtsein, Vorposten zu sein", ist sehr schnell ihres
propagandistischen Aufputzes entkleidet, wenn man ihr nüchtern die
unbestreitbare Tatsache entgegenhält, daß die Gottscheer nicht einmal die
Erinnerung an das Herkunftsgebiet ihrer Ahnen bewahrt hatten. Sie wurde erst im
19. Jahrhundert neu erweckt. Den Verfassern des bewußten Artikels ist auch nicht
der Widespruch in sich im Zusammenhang mit dem "Vorposten- Bewußtsein"
aufgegangen: Hätte es ein solches tatsächlich gegeben, dann hätte es erst recht
der Heimatliebe, der Bodenverbundenheit und des Gottvertrauens bedurft, um unter
den schwierigen Lebensbedingungen so lange auszuharren, denn 600 Jahre sind
immerhin fast ein Drittel des Zeitraumes, der seit Christi Geburt verstrichen
ist.
Bis hierher kann man noch den Eindruck haben, daß die Propagandisten aus eigenem
Antrieb gegen die Heimatliebe anstürmten, und man möchte ihnen beinahe
zugestehen, daß sie dies taten, um ihren Landsleuten den Abschied zu
erleichtern. Aber so weit dachten sie wohl kaum. Erinnern wir uns vielmehr an
die Dokumentation "Der Menscheneinsatz" des SS-Obersturmbannführers Dr.
Fähndrich im "Stabshauptamt" zu Berlin und des Besuchs der Volksgruppenführung
Schober-Lampeter-Sturm in dieser Führungsstelle des "Reichskommissars für die
Festigung deutschen Volkstums" Mitte Mai 1941. Ohne jeden Zweifel empfingen sie
damals die geheime Anweisung, im geeigneten Augenblick mit der Sentimentalität
des Heimatgedankens und der Bodenverwurzelung aufzuräumen. Die drei Männer
befanden sich, soll man ihre völlige Abwendung vom "Aufbau-Plan" Volker Dicks
begreifen, in einer Art
Befehlsnotstand. Mit der Zerstörung des Heimatgefühls sollte auch das Gefühl der
Zusammengehörigkeit der Gottscheer untereinander zerfallen, womit auch die
Zusage des Stabshauptamtes, daß die Gottscheer wieder geschlossen angesiedelt
würden, automatisch entfiel.
Die gequälten Bewohner des "Ländchens" hörten in Versammlungen und lasen in
ihrer Zeitung nur noch Variationen über das Thema "Ein Volk, ein Reich, ein
Führer!"
Irgendwann im Sommer 1941 wurde Willi Lampeter zum SS-Sturmbannführer ernannt.
Die Gottscheerinnen waren, obwohl sie sich lebhaft an der Kulturarbeit
beteiligten, letzten Endes doch wieder dazu verurteilt, das zu tun, was die
Männer über ihr und ihrer Kinder Schicksal beschlossen hatten. Mehr noch als die
Männer bedrückte sie die Ungewißheit, wohin die Umsiedlung gehen sollte. Darüber
herrschte Anfang Juli 1941 noch Unklarheit. Aber selbst, wenn sich die
Volksgruppenführung entschlossen hätte, das Siedlungsgebiet bekanntzugeben,
hätte sie nicht verhindern können, daß die Erläuterung dazu von einer anderen
Seite kam. In der ersten Juli-Hälfte tauchte in der Sprachinsel ein deutsch
abgefaßtes Flugblatt der kommunistischen Partei Jugoslawiens auf. Sein
wesentlicher Inhalt:
"Die nationalsozialistischen
Führer und ihre Gottscheer Führerlein wollen ... Euch auf der Erde und auf den
Höfen ansiedeln, die die nationalsozialistischen Führer dem slowenischen Bauer
und Arbeiter gestohlen und sie ohne Hab und Gut in die Fremde verjagt haben. Die
ganze Umsiedlung ist ein Verbrechen gegen das Gottscheer Volk! Mit Recht werden
Euch die Einheimischen als aufgedrängte Hergewanderte betrachten, als die
Verbündeten der faschistischen Räuber, als Diebe des fremden Bodens und der
Früchte fremder Arbeit. Sie werden Euch die Häuser, in denen Ihr Euch ansiedeln
werdet, anzünden, auf jeden Schritt werden Sie Euch erschlagen und stets werden
sie Euch verfolgen .. ."
Ein neuer Höhepunkt der Panik war die Folge dieser unerbetenen "Information".
Die Volksgruppenführung hatte dem propagandistischen Frontalangriff der
slowenischen Untergrundkämpfer keine durchschlagenden Argumente
entgegenzusetzen. Sie mußte sich notgedrungen auf starke Worte beschränken, die
der verstörten Bevölkerung nicht darüber hinweghalfen, daß sie das Reich in
einer Gegend anzusiedeln gedachte, aus der man Slowenen vertrieben hatte.
Zwei Gottscheer Persönlichkeiten traten in der verworrenen Zeitspanne bis zum
immer noch unbekannten Umsiedlungstermin in den Vordergrund, Oberlehrer i. R.
Josef Perz in Lienfeld bei Gottschee und Studienrat Peter Jonke in Klagenfurt.
In einer Reihe mit den geistlichen Gegnern der Umsiedlung stehend, riet Perz
seiner Umgebung, zu bleiben. Er selbst konnte sich ebenfalls nicht zum Fortgehen
entschließen, weil er glaubte, auch die letzte Konsequenz aus seinem, dem
Gottscheer Volkstum geweihten Leben ziehen zu müssen. Er war ein Mann, auf den
das Volk hörte. Sein Wirken für die Sprachinsel hatte 1885 an der eben
gegründeten Volksschule in Lichtenbach begonnen. Er wurde Mitarbeiter von
Professor Hauffen, Wilhelm Tschinkel war sein Freund. Jahrzehnte seines Lebens
widmete er dem Volkslied, den Sagen und Märchen und dem Brauchtum. Wie Tschinkel
stand er 1920 vor der Entscheidung, für Österreich zu optieren oder sich
vorzeitig pensionieren zu lassen. Damals blieb er. Wilhelm Tschinkel aber war
noch zu jung, um seinen Beruf aufzugeben.
Peter Jonke aus Obermösel war der letzte gebürtige Gottscheer Lehrer am
Gymnasium in der Stadt. Er wurde fristlos entlassen, optierte für die Republik
Österreich und übersiedelte nach Klagenfurt. Dort fand er an einem Gymnasium
eine neue Lehrstelle, so daß er für seine Familie und sich selbst ein neues
Zuhause aufbauen konnte. In seinem privaten Denken und Fühlen aber blieb
Gottschee im Mittelpunkt. In zahlreichen Vorträgen und Aufsätzen warb er für und
um sein Heimatland. Er hat in schwierige historische Fragen hineingeleuchtet,
altes Brauchtum ausgegraben und nach dem Zweiten Weltkrieg maßgeblich am
Zusammenschluß der Gottscheer in Kärnten mitgewirkt. Auch Peter Jonke setzte
sich für das Bleiben seiner Landsleute in der alten Heimat ein, aber er sah in
der Sprachinsel mehr einen kulturellen als einen politischen Faktor.
Im Juli 1941 wurde der Umsiedlungsvertrag zwischen dem Deutschen Reich und
Italien ausgehandelt. Er trug die Überschrift: "Vereinbarungen zwischen der
deutschen Reichsregierung und der italienischen Regierung vom 31. August 1941
über die Umsiedlung der deutschen Staatsangehörigen und Volksdeutschen aus der
Provinz Laibach." Den Gottscheern kam er erst nach dem Zweiten Weltkrieg durch
ein Londoner Archiv zur Kenntnis. Leiter der deutschen Verhandlungsdelegation
war nicht etwa ein Diplomat, sondern der inzwischen zum SS-Obergruppenführer
beförderte Chef des "Stabshauptamtes", Ulrich Greifelt. Die Vereinbarungen sahen
unter anderem vor, die Umsiedler für das zurückgelassene Vermögen zu
entschädigen.
Zur organisatorischen Spitze der Umsiedlung aus der Provinz Laibach ernannte
Himmler einen "deutschen Umsiedlungsbevollmächtigten" (DUB) mit dem Sitz in
Laibach. Er hieß Dr. Heinrich Wollert. Die italienische Dienststelle leitete
derselbe "Hohe Kommissar" Emili Grazioli, den wir bereits erwähnten.
Trotz der strengen Geheimhaltung sickerte schließlich gerüchteweise durch, wo
das neue Siedlungsgebiet liegen sollte. Daß es sich um eine slowenisch
besiedelte Landschaft handeln würde, war dem kommunistischen Flugblatt zu
entnehmen gewesen. Die Gerüchte verdichteten sich um das "Ranner Dreieck", das
diesem und jenem Gottscheer persönlich bekannt war. Für einen tüchtigen
Marschierer lag es eine Tagesreise in nordöstlicher Richtung vom Gottscheerland
entfernt, 35 bis 40 km, im südöstlichen Zipfel der Untersteiermark. Es
erstreckte sich zwischen dem Bergzug Orlica und den kroatischen Uskokenteilen.
Klimatisch liegt es so günstig, daß Wein angebaut wird. Dr. Wollen schilderte
das Gebiet aus einem noch zu behandelnden Anlaß in der Ausgabe Nr. 47 der "Gottscheer
Zeitung" vom 17. November 1941 folgendermaßen:
"Wie sieht das neue Ansiedlungsgebiet der Gottscheer Volksgruppe aus?
Durch Befehl des Reichsführers SS ... ist auf Vorschlag des Gauleiters ... der
Steiermark das sogenannte Ranner Dreieck, ein Streifen an der unteren Save, der
Gurk und des Sattelbachs, für die Ansiedlung bestimmt worden. Es ist ein
zusammenhängendes, in sich geschlossenes Siedlungsgebiet, das durch ein
fruchtbares Flußtal gebildet wird. Berge und Hügel, auf denen der Weinbau
betrieben wird, umgeben dieses Gebiet und schützen es vor kalten
Witterungseinflüssen.
Der Mittelpunkt dieses Gebiets ist die Stadt Rann ..."
Die Gegner der Umsiedlung verbreiteten warnend die beklemmende Nachricht, die
Gottscheer würden also ein neues Siedlungsgebiet erhalten, aus dem man die
Slowenen mit Gewalt vertrieben hatte. Aber auch jene Gottscheer, die sich
innerlich bereits mit dem Abschied von der alten Heimat abgefunden hatten,
litten unter einem Alptraum bei der Vorstellung, daß sie auf die Höfe ziehen
sollten, die man anderen weggenommen hatte.
Daß es nun ernst wurde, bemerkten die Bewohner des "Ländchens" an den
Vorbereitungen zur Einrichtung von Umsiedlungsdienststellen in der Stadt. Nun
konnten sie sich auch ausrechnen, daß es nicht mehr lange dauern konnte, bis sie
den Marsch in die Ungewisse Zukunft anzutreten hatten. Der DUB ging an den
Aufbau seiner Nebenstelle, ebenso die DUT (Deutsche
Umsiedlungs-Treuhand-Gesellschaft), die mit der Erfassung und Übernahme des
Umsiedlungsvermögens beauftragt war. In Marburg an der Drau entstand eine
Dienststelle des Gauleiters der Steiermark in seiner Eigenschaft als
Gaubeauftragter des Reichskommissars. Sie hatte den Auftrag, die Slowenen aus
dem Ranner-Dreieck auszusiedeln und die Gottscheer - auch andere Volksdeutsche -
in ihre Besitze einzuweisen. Im einzelnen geschah dies durch Angestellte der DAG
(Deutsche Ansiedlungs-Gesellschaft), die in die Marburger Dienststelle des
Gauleiters eingebaut war. In Gottschee-Stadt fuhr eines Tages der "Sonderzug
Heinrich" der EWZ (Einwanderungs-Zentrale) ein, eine ausgeklügelte fahrbare
Dienststelle zur "Durchschleusung" der Umsiedler und Erfassung nach den
verschiedensten Gesichtspunkten. Der Sonderzug mit dem sinnigen Namen "Hein-rich"
tauchte überall da auf, wo Volksdeutsche ihre Heimat räumten.
Indessen traten bedeutende Schwierigkeiten bei der Aussiedlung der Slowenen aus
dem Ranner-Dreieck auf. Die diesbezüglichen Besprechungen hatten bereits im Mai
1941 begonnen. Die Aussiedlung sollte in drei Wellen vor sich gehen. Die beiden
ersten hatten mit der Ansiedlung der Gottscheer nichts zu tun. - Der eben erst
gegründete kroatische Staat hatte sich der deutschen Reichsregierung gegenüber
bereit erklärt, die ausgesiedelten Slowenen zu übernehmen, unter der Bedingung,
daß die kroatische Regierung jene Serben, die sich nach dem Ersten Weltkrieg in
Kroatien angesiedelt hatten, nach Restserbien ausweist. Am 18. Mai 1941 gab
Hitler seine Zustimmung zu diesem Plan. Er konnte jedoch nicht in Angriff
genommen werden, weil die Partisanen in der italienisch besetzten Provinz
Laibach, in der Untersteiermark und in Kroatien ihre Kampftätigkeit aufnahmen.
Darauf war man auf deutscher Seite nicht gefaßt. Himmler stoppte sofort die
Slowenenaussiedlung. Die Kroaten aber zogen ihr Angebot zu deren Übernahme
zurück. Der steirische Gauleiter Uiberreither ließ andererseits erkennen, daß er
nicht nur gegen die Aussiedlung der Slowenen, sondern auch gegen die Ansiedlung
der Gottscheer auf ihrem Territorium sei, ohne freilich eine andere, gerechtere
Lösung anbieten zu können. Das "Stabshauptamt" überspielte ihn mit dem
Vorschlag, die auszusiedelnden Slowenen in das Altreich zu verbringen. Damit war
das außenpolitische Problem gelöst und man behielt das Heft in der Hand.
Am 10. Oktober 1941 - einundzwanzig Jahre zuvor hatte die Volksabstimmung in
Kärnten stattgefunden - beendete Heinrich Himmler ein endloses Hin und Her
zwischen dem "Stabshauptamt" und der Gauleitung in Graz mit dem kategorischen
Befehl, die Gottscheer seien unverzüglich umzusiedeln.
Den Bewohnern des Gottscheerlandes blieb nichts erspart. Gauleiter Uiberreither
hatte während des Gerangels mit dem "Stabshauptamt" die Aussiedlung der Slowenen
absichtlich verzögert. Wohin nun mit den Gottscheern? Der Befehl Himmlers war
nicht einfach wegzuwischen. Die Lage am 10. Oktober: Es stand nicht annähernd
genug Platz zur Verfügung, um die Gottscheer von Hof zu Hof umzusiedeln. Der
Winter stand vor der Tür. Die Zeitnot schien jedes geordnete Umsiedeln unmöglich
zu machen. Trotz der zu erwartenden menschlichen und organisatorischen
Schwierigkeiten setzte das "Stabshauptamt" die Räumung des "Ländchens" in Gang
und beschleunigte gleichzeitig die Aussiedlung der Slowenen. Mit der
Koordinierung beider Wanderungsbewegungen beauftragte Stabshauptamt-Chef Ulrich
Greifelt den SS-Oberführer Hintze. Ab 8. November 1941 hieß der Hintzsche
Auftrag allerdings "Gleichschaltung".
Der letzte Hoffnungsschimmer versank. Als Optionsfrist der Gottscheer für das
Deutsche Reich wurde die Zeit vom 20. Oktober bis zum 20. November 1941
festgesetzt. Keiner konnte sich der Entscheidung, zu bleiben oder zu gehen,
entziehen. Die Auseinandersetzungen der Gottscheer untereinander wurden mit
ähnlicher Verbissenheit wie im Jahre 1907 geführt. Diesmal galt es aber nicht,
einen Abgeordneten zu wählen, und dann blieb alles wie es war. Der jetzt zu
treffende Entschluß war auch nicht vergleichbar mit jenem zur Auswanderung nach
Österreich oder in die USA. Der Auswanderer früherer Zeiten entschied sich frei
und nur für sich selbst. Er konnte auch bleiben, wenn er die Existenzsorgen auf
sich nahm. So lange Gottscheer bis zu diesem Zeitpunkt ihre Heimat verlassen
hatten, blieb diese bestehen.
Nun entscheide dich, Gottscheer! Wie du dich auch entscheidest, immer bist du
gegen dein "Lantle"!
Um auch den letzten Landsmann in seiner Gewissensnot zu bezwingen, griff die
Volksgruppenführung zu dem wirksamsten Mittel politischer Propaganda neueren
Stils, dem Massenaufmarsch. Unter dem Titel "Der letzte Appell!" marschierten am
19. Oktober 1941 rund 900 Mannschaftsangehörige und mehr als 1000 Jungen und
Mädel vor der Volksgruppenführung und dem deutschen Umsiedlungsbevollmächtigten,
Dr. Heinrich Wollert, auf, ein in der Sprachinsel noch nie gesehenes Bild - eine
andere, makabere Sechshundertjahr-Schlußfeier.
Mit schicksalhafter Pünktlichkeit begann am 20. Oktober 1941 die Option der
Gottscheer für Deutschland.
Das Stabshauptamt erhielt noch vor dem Beginn der "Durchschleusung" Meldung über
Unstimmigkeiten in der Volksgruppe. Es forderte beim DUB in Laibach einen
Tatsachenbericht an. Insbesondere ging es um die Person Dr. Arkos. Die
Volksgruppenführung hatte offenbar nach Berlin mitgeteilt, er betätige sich als
Gegner der Umsiedlung und gedenke seinerseits nicht umzusiedeln. Von anderer
Seite war das Gegenteil zu hören, Dr. Arko gemahne nicht wenige seiner
Landsleute an ihre Pflicht gegenüber Deutschland. Der jungen Volksgruppenführung
warf er allerdings in einer Denkschrift an den Chef des EWZ-Sonderzuges im
November 1941 vor, sie habe die Propaganda für die Umsiedlung zu wenig
"seelisch" betrieben. Gemeint hatte er damit wohl die harte, allzu harte
Sprache, mit der sie ihren Landsleuten die alte Heimat verleiden wollte. Mit dem
Ausdruck "zu wenig seelisch" wollte der verbitterte Volkstumspolitiker
offensichtlich den Mangel an Behutsamkeit des Herzens anprangern. Dr. Hans Arko
ist übrigens umgesiedelt, ließ sich in Rann/Sawe und nach der Vertreibung in
Völkermarkt als Rechtsanwalt nieder und starb 1953 in Klagenfurt.
Die Option schien klaglos abzulaufen. Geduldig, doch nicht ohne eine gewisse
Neugier, ließen die Optanten die bürokratische Prozedur der "Durchschleusung"
über sich ergehen. Außer den ehemaligen Hausierern der Winter von 1934 bis 1938
hatte ja kaum jemand aus der bäuerlichen Bevölkerung vor einer deutschen Behörde
gestanden. Das sehr präzise, aber freundliche Fragen der Beamten und Beamtinnen
war ihnen nicht unangenehm. Das schien ihnen gut deutsch zu sein.
Voraussetzung für alles weitere war der Optionsantrag. Der "Sturmführer" hatte
das leere Antragsformular ins Haus gebracht, ausgefüllt wieder abgeholt, vom
italienischen Bürgermeister bestätigen lassen, dann dem Gebietsbevollmächtigten
des DUB übergeben. Die gemeinsam mit der DUT erstellten Listen der
Optionswilligen wurden anschließend an den EWZ-Sonderzug weitergereicht. Das
Personal des Sonderzuges begab sich übrigens zweimal in abgelegene Gegenden, um
bei der schlechten Witterung den Umsiedlungswilligen den Weg in die Stadt zu
ersparen.
Die Antragsteller wurden nach ihren persönlichen Daten, dem Wohnort, der
Gemeinde, der Bezirkshauptmannschaft, ja sogar nach ihrer persönlichen
Einstellung zur Volksgruppe befragt. Anschließend wurden sie photographiert,
ärztlich untersucht, geröntgt, "rassisch" beurteilt, zugelassen und in das
Deutsche Reich eingebürgert. Die Einbürgerungsurkunde könne allerdings, so hieß
es, erst im "neuen Siedlungsgebiet" ausgehändigt werden. Auf diese Weise sollte
verhindert werden, daß sich einzelne Eingebürgerte mit diesem Dokument in der
Hand einfach ins Reich absetzten.
Anschließend wurde für den Ansiedlungsstab in Marburg a. d. Drau eine
ausführliche Arbeitsunterlage erstellt. Sie diente der Einsatzplanung in der
Untersteiermark hinsichtlich Beruf und Besitz des Umsiedlers, der eine
Transportnummer zugewiesen erhielt, um die Stürme, Ortschaften und Herde
auseinanderhalten zu können. Der Umsiedler hatte außerdem eine
"Vermögenserklärung" abzugeben. Kommissionen überprüften an Ort und Stelle den
Stand und taxierten den Wert des einzelnen Besitztums. Unter den zahlreichen
Papieren, die den Gottscheer aus seinem "Ländchen" hinausbegleiteten, befanden
sich zwei von geradezu erregender Gleichnishaftigkeit: der Umsiedlerausweis und
eine Erklärung, daß er all seinen Besitz - Haus, Hof, Grund und Boden und Wald -
an die "Deutsche Umsiedlungs-Treuhand-Gesellschaft" übergeben habe.
Natürlich war der Umsiedlerausweis eine administrative Notwendigkeit, denn sein
Inhaber stand ja im staatsbürgerrechtlichen Niemandsland. Die
österreichisch-ungarische Staatsbürgerschaft hatte er verloren oder nicht
erlebt, die italienische gab man ihm nicht, die jugoslawische besaß er nicht
mehr und die deutsche war ihm lediglich versprochen, nachweisen konnte er sie im
Ernstfall noch nicht. Bis er sie endgültig erhielt, durchlitt er die schier
endlose seelische Not über den Verlust jenes Fleckchens Erde, worauf der Mensch
ohne Ausweis gestellt wird, der Heimat.
Gewiß wurde im deutsch-italienischen Umsiedlungsvertrag den Gottscheern
zugesichert, daß sie für die zurückgelassenen Vermögenswerte entschädigt würden
und sie glaubten daran, wenn sie ihre Vermögenserklärungen ablieferten. Ebenso
gewiß darf man ihnen jedoch keinen Vorwurf machen, daß sie bei diesem Vorgang
nicht an historische Zusammenhänge dachten, etwa zwischen dem Handschlag, mit
dem ihre Ahnen Urwaldboden aus der Hand ihres Grundherrn übernahmen und dem
Handschlag, mit dem der Beamte des deutschen Reiches den schriftlichen Verzicht
auf die Heimat entgegennahm. - Wir Menschen des 20. Jahrhunderts denken kaum
noch in Symbolen und Sinnbildern. Das entbindet jedoch den Historiker nicht,
solche aufzuzeigen, wenn bei Völkern oder Stämmen und gewachsenen menschlichen
Gemeinschaften sich ihr Ende ankündigt. Hier ist ein solches Ende. Mit jeder
Unterschrift eines Gottscheer Bauern versank ein winziger Teil des
Gottscheerlandes für immer in der Geschichte, wurde eine Tür, zu der es weder
Schlüssel noch Klinke gab, zugeschlagen.
Im Sonderzug "Heinrich" funktionierte die "Durchschleusung" also klaglos, nicht
jedoch draußen in den Dörfern. Dr. Günther Stier, der zuständige
Abteilungsleiter im "Stabshauptamt", ahnte, daß die Option nicht wie vorgesehen
verlief, obwohl ihn ein Zwischenbericht Lampeters hätte beruhigen können. Erst
wenige Tage vor dem Ende der Optionsfrist berichtete ihm die EWZ das bis dahin
vorliegende, katastrophale Ergebnis: Namentlich in der östlichen und westlichen
Randzone hatte sich die Gegenpropaganda ausgewirkt. Sie ging vor allem von den
Gottscheerinnen und Gottscheern aus, die mit Slowenen verheiratet waren und lief
darauf hinaus, den Umsiedlungswilligen Angst um ihr Leben, wie um ihr Hab und
Gut einzujagen. Bis zu 25% der Optionsberechtigten waren nicht vor der EWZ
erschienen. Ähnlich enttäuschende Prozentzahlen mußten jedoch auch in den
zentraler gelegenen "Stürmen" verzeichnet werden. In Rieg und Umgebung (Pfarrer
Josef Kraker) und Mitterdorf (Pfarrer Josef Eppich) waren ebenfalls ein Viertel
der Bevölkerung nicht zur Registrierung erschienen. Selbst der Sturm Nesseltal
wies noch ein Minus von 12% auf obwohl Pfarrer August Schauer bereits am 1. Juli
1941 gestorben war. Daß in Lienfeld die Verweigerung der Option ebenfalls bei
20% lag, war zweifelsfrei auf die Einstellung des Oberlehrers i. R. Josef Perz
zur Umsiedlung zurückzuführen. Da aber die "Stürme" Gottschee/Stadt, Mitterdorf,
Rieg und Nesseltal die volkreichsten des gesamten Siedlungsgebiets waren,
handelte es sich bei den Unentschlossenen um mehr als ein Viertel der
Bevölkerung des Siedlungsgebiets.
In Berlin rechnete man sich die Folgen aus, wenn es nicht gelang, im Verlauf der
verbliebenen Tage der Optionsfrist eine Korrektur nahe an 100% herbeizuführen.
Sonst geriet die Reichsregierung in Vertragsverzug gegenüber den Italienern. Der
Feindpropaganda aber lieferte man das nur schlecht widerlegbare Argument, daß
das Reich trotz aller Wehrmachtssiege die Anziehungskraft für die Volksdeutschen
eingebüßt habe.
Etwa zum gleichen Zeitpunkt, als dem "Stabshauptamt", dem DUB und der
Volksgruppenführung der Ernst der Lage bewußt geworden war, verließ am 14.
November 1941 der erste Umsiedlertransport den Bahnhof in Gottschee/Stadt.
Der DUB erhielt aus Berlin den dringenden Befehl, das Problem der
Umsiedlungs-Unwilligen auf schnellstem Wege zu lösen. Dr. Wollert
veröffentlichte daraufhin am 17. November, also ganze drei Tage vor Ablauf der
Optionsfrist, eine Sondernummer der "Gottscheer Zeitung" mit einer "Aufklärung",
die in fliegender Hast über das "Ländchen" gestreut wurde. In dem Hauptartikel
wurden Versprechungen abgegeben, die nie gehalten werden konnten, und
Behauptungen aufgestellt, die einfach nicht stimmten. So hieß es da unter
anderem:
"Was erwartet Euch in der neuen Heimat? Dies ist nun die Frage all derer, die
ihre Freunde und Verwandten abfahren sehen, ohne selbst schon mitreisen zu
können.
Grundsatz jeder Umsiedlung ist: Der Umsiedler erhält für seinen zurückgelassenen
Besitz im Umsiedlungsgebiet einen Besitz von gleichem Wert. Das bedeutet, daß
ein Gottscheer Bauer, der hier einen Hof hinterläßt, auf dem er gut und
auskömmlich leben konnte, im neuen Umsiedlungsgebiet einen Hof bekommen wird,
auf dem er sein gutes Auskommen findet. Es bedeutet aber auch, daß ein Bauer,
der hier durch die Ungunst der Verhältnisse gezwungen war, auf einem Hofe zu
leben, der für ihn und seine Familie keine auskömmlichen Lebensgrundlagen bot,
diese im neuen Siedlungsgebiet finden wird. Ziel der Umsiedlung ist, gesundes
Bauerntum auch auf auskömmlicher Ackergrundlage zu schaffen. Wer fähig ist,
einen Bauernhof zu bewirtschaften, wird also die Möglichkeit haben, sich den Hof
zu schaffen, der ihm und seiner Familie bessere Lebensbedingungen ermöglicht."
Der oder die Verfasser dieser "Aufklärung" hatten anscheinend noch während der
Niederschrift dann doch Bedenken gegen das Zuviel an Versprechungen und
schränkten sie gleich wieder folgendermaßen ein:
"Die Auswahl der neuen Höfe erfordert sorgfältigste Vorbereitung. Hierbei wird
von den Ansiedlungsstäben angestrebt, auch weitgehendst die besonderen Wünsche
der Umsiedler zu berücksichtigen. Bei der Bedeutung dieser Aufgaben, deren
Auswirkung sich auf Jahrzehnte und Jahrhunderte erstrecken wird, ist es nicht
möglich, dem Umsiedler die fertige Lösung bereits bei seiner Ankunft vorzulegen.
Es wird also zunächst nicht immer möglich sein, den Umsiedler sofort bei seiner
Ankunft auf dem Besitz unterzubringen, der seinen Fähigkeiten und seinem
hinterlassenen Vermögen entspricht. Andererseits ist im Interesse der Umsiedler,
wie auch zur Vermeidung von Arbeitskraft- und Zeitvergeudung, ein
Lageraufenthalt nicht vorgesehen. Demzufolge wird ein Teil der Umsiedler
zunächst einen Betrieb zugewiesen erhalten, der dem bisherigen nur etwa
entspricht. Hier kann der Umsiedler sofort mit der Arbeit beginnen. Stellt sich
dann im Laufe des Winters heraus, daß dieser vorläufig angewiesene Hof den
Fähigkeiten und dem Wert des hinterlassenen Vermögens des Umsiedlers nicht
entspricht, so erfolgt eine Umbesetzung derart, daß der Bauer im Frühjahr seinen
neuen Acker bestellen und seinen Hof endgültig übernehmen und bewirtschaften
kann. Die in Aussicht genommene Zwischenbewirtschaftung und zwischenzeitliche
Unterbringung erfolgt also ausschließlich im Interesse der Umsiedler, um
Fehlentscheidungen, die sich für die Dauer ungünstig auswirken müßten, unter
allen Umständen zu vermeiden."
Dem Herausgeber waren außerdem die Besorgnisse der Gottscheer wegen der
Vertreibung von Slowenen aus ihren Wohngebieten sehr gut bekannt, denn er
versuchte, die Bedenken mit Worten, unter denen keine einzige glaubhafte Angabe
stand, zu zerstreuen, indem er schrieb:
"Die früheren Bewohner dieses Gebietes sind in aller Ordnung umgesiedelt und
werden ebenfalls vom Deutschen Reich betreut. Abgesehen davon, daß diesen
Bewohnern volle Entschädigung ihres hinterlassenen Vermögens zugesichert ist,
beweisen Briefe und Berichte dieser Menschen, daß sie in ihrem neuen
Siedlungsgebiet gut untergebracht sind und hoffnungsfroh ihrer Zukunft
entgegensehen."
Das war reiner Hohn auf die Vertrauensseligkeit der Gottscheer. Weder war die
Umsiedlung dieser "Bewohner" im Zeitpunkt des Erscheinens der "Aufklärung"
abgeschlossen noch konnte von einem "Siedlungsgebiet" der Slowenen im deutschen
Reich die Rede sein. Sie saßen vielmehr in Lagern der "Volksdeutschen
Mittelstelle", wurden zum Teil als "Fremdarbeiter" in Rüstungsbetrieben
eingesetzt und erhielten dann auch Wohnungen zugeteilt. Kein Wort auch darüber,
daß rund 37.000 Slowenen aus dem "Sawe-Sotla-Streifen", wie das Ranner Dreieck
im Amtsgebrauch auch genannt wurde, ausgesiedelt werden sollten und wurden.
Die Volksgruppenführung und die "Stürme" rangen in diesen entscheidenden drei
Tagen verzweifelt um die letzten Prozente der Unentschlossenen. Sie hatten eine
neue, unerwartete Barriere zu überwinden: Kaum waren die Umsiedlertransporte in
der Untersteiermark eingetroffen, als im "Ländchen" schon unkontrollierbare
Gerüchte und Berichte auftauchten, die Einweisung der Umgesiedelten in ihre
neuen Objekte sei schlecht organisiert, Möbel stünden entlang der Straße
ungeschützt im Schnee, die ausgesiedelten Slowenen hätten ihre Häuser und
Wohnungen zum Teil vor dem Abzug demoliert, und die den Gottscheern zugewiesenen
Höfe entsprächen auch nicht annähernd den in der Heimat zurückgelassenen
Anlagen.
Am 20. November 1941 lief die Optionsfrist ohne Verlängerung ab. Die EWZ hatte
die Optionsanträge von 11.747 in der Sprachinsel Gottschee wohnhaften Personen
entgegengenommen. Nach Dr. Wollert waren es 12.104. In nüchternen Zahlen
aufgegliedert, registrierte die EWZ:
"8624 über vierzehn und 3123 Personen unter vierzehn Jahren. Darunter befanden
sich 93 Personen mit deutscher, bereits vor der Umsiedlung erworbener
Staatsangehörigkeit."
Eine Statistik außerhalb der EWZ erfaßte 11.756 Personen: 5850 männliche und
5906 weibliche, die zusammen 2951 Herdhaltungen-Haushalten angehörten.
Die EWZ bescheinigte in ihrem Abschlußbericht den Gottscheern einen guten
Gesundheitszustand und zählte sie zu den besten Umsiedlern, die sie bis dahin
durchschleust hatte (Frensing, Seite 166 und 168).
Alles, aber auch alles schien sich gegen die 12.000 Gottscheer verschworen zu
haben. Selbst die Natur trumpfte noch einmal auf und ließ sie die ganze Härte
des kontinentalen Klimas spüren. Gegen Ende November - es war noch der größere
Teil der Umsiedler abzutransportieren - setzten heftiger Dauerschneefall und
klirrende Kälte ein. Sie erschwerten den Transport der Menschen und des
Umsiedlungsgutes, wie des Viehs, zu den Zügen da und dort bis zur
Unbeweglichkeit. Die vom DUB bewerkstelligten 70 Lastkraftwagen konnten nur noch
auf wenigen Straßen eingesetzt werden, weil es unmöglich war, die höher
gelegenen Wege schneefrei zu halten. Ferner weigerten sich die
dienstverpflichteten holländischen Lkw-Fahrer, überhaupt noch ans Steuer zu
gehen, weil sie befürchten mußten, bei Walddurchfahrten von Partisanen
abgeschossen zu werden. Schließlich blieben auch die letzten Lastkraftwagen
stehen, weil der zugesagte Benzinnachschub ausblieb. Die Gottscheer aber wurden
dank ihrer gelernten Improvisationskunst mit dem Verkehrsproblem im
Aussiedlungsgebiet fertig: Die Volksgruppenführung stellte den gesamten
Transport auf den Schlitten um.
Das ging noch. Da konnte man mit den Händen zupacken. Wehrlos aber fühlte sich
der Umsiedler gegenüber den Tatbeständen, die in immer neuen Hiobsbotschaften
aus der Untersteiermark berichtet wurden. Sie bestätigten, daß die
Wiederansiedlung schlecht organisiert war. Die versprochene
Von-Hof-zu-Hof-Unterbringung und die Von-Dorf-zu-Dorf-Umsiedlung wurden nicht
eingehalten, weil sie nicht eingehalten werden konnten! Die Höfe und Dörfer der
abgesiedelten Slowenen wiesen eine völlig andere Struktur auf als jene in
Gottschee. Kein Hof und kein Dorf von drüben ließen sich mit solchen von hüben
vergleichen. Wohl als Folge der negativen Einstellung des Gauleiters
Uiberreither zur Ansiedlung der Gottscheer im Ranner Dreieck arbeitete der
Ansiedlungsstab in Marburg verdrossen und nachlässig. Es standen wirklich Möbel
im Schnee, wenn auch nicht in allen Straßen. Und es konnte tatsächlich wenige
Tage vor dem Heiligen Abend ein Umsiedlertransport nicht abgefertigt werden,
weil der zuständige Sachbearbeiter vergessen hatte, einen Stellvertreter
einzuteilen, bevor er selbst in den Weihnachtsurlaub fuhr.
Die Italiener behandelten die Gottscheer nicht wie Angehörige jenes Volkes, mit
dem sie eine "eherne Achse" verband, sondern wie ein lästiges Element, das, je
eher desto besser, verschwinden sollte. Beschlagnahmungen waren an der
Tagesordnung.
Die Volksgruppenführung befand sich diesen von ihr nicht verschuldeten
Schwierigkeiten gegenüber in einer begreiflicherweise komplizierten Lage. Bei
aller Kritik an ihrer Verhaltensweise im Sommer 1941 kann man ihr nicht
nachsagen, sie habe sich vor den Umsiedlungsproblemen drücken wollen oder habe
überhaupt nicht erkannt, worin sie bestanden. Sie handelte weiterhin so, als ob
ihr niemand die Verantwortung für das weitere Schicksal der Gottscheer abnehmen
könnte. Das war menschlich gewiß ein Plus für sie. Ob es unter den gegebenen
Umständen politisch klug war, wird sich zeigen.
Am 29. Dezember 1941 unternahm Willi Lampeter einen gewagten Schritt. Er
entsandte einen Stellvertreter, den Jugendführer Richard Lackner, ausgestattet
mit einem persönlichen Geschenk an Heinrich Himmler nach Berlin. Lackner wollte
diesem, dem "Reichskommissar für die Festigung Deutschen Volkstums", die
unhaltbaren Zustände in der Untersteiermark schildern und um die nötigen Befehle
zu ihrer Beseitigung bitten. Lampeter, der die Spielregeln der Mächtigen des
Dritten Reiches nicht kannte, erhoffte sich von der Berlin-Reise den
spektakulären persönlichen Erfolg, den er gegenüber den "Miesmachern" auf einer
Versammlung am 3. Jänner 1942 in Gottschee-Stadt ausspielen wollte. Lackner traf
den Reichsführer-SS nicht an, er befand sich angeblich im Führer-Hauptquartier.
Auch beim Chef des "Stabshauptamtes" erhielt er erst am 5. Jänner einen
Besprechungstermin. Greifelt gab dem Jugendführer aus Gottschee zu verstehen, er
wisse bereits alles, was er ihm berichten wolle, und er habe schon am Vormittag
des 5. Jänner den SS-Oberführer Hintze beauftragt, "die Dinge unten" in Ordnung
zu bringen.
Willi Lampeter fühlte sich auf der Versammlung vom 3. Jänner durch das
unfreiwillige Schweigen Lackners in die Enge getrieben. Man konnte diese
Zusammenkunft von etwa hundert Stadtbürgern mit Fug und Recht als Protestaktion
bezeichnen. Sie forderten von dem Mannschaftsführer verbindliche Aufklärung
darüber, was nun an seiner Schilderung der Zustände im Ansiedlungsgebiet wahr
sei und drohten mit dem Widerruf der Option. Ein ebenfalls anwesender Vertreter
des Ansiedlungsstabes in Marburg warf dem Gottscheer Mannschaftsführer in
heftigen Ausfällen vor, er verbreite Unwahrheit, die er nie verantworten könne.
In der sich entwickelnden, hitzigen Debatte bestand der junge SS-Sturmbannführer
auf der vollen Wahrhaftigkeit seiner Angaben.
Am 6. Jänner 1942 kehrte Richard Lackner aus Berlin zurück. Lampeter sah keine
andere Möglichkeit mehr, als sich direkt schriftlich an Heinrich Himmler zu
wenden. Er schickte dem Reichsführer-SS am 9. Jänner einen Bericht über die
verheerenden Zustände im Ansiedlungsgebiet und das Versagen des
Ansiedlungsstabes. Im Interesse der Umgesiedelten bat er dringend um Abhilfe.
Einen Durchschlag des Briefes an Himmler schickte Lampeter jedoch erst am 10.
Jänner an das "Stabshauptamt". Schon diese Verzögerung um einen Tag brachte
Ulrich Greifelt gegenüber seinem obersten Chef Heinrich Himmler in eine schiefe
Lage. Der persönliche Stab des Reichsführers-SS verlangte nämlich umgehend eine
Stellungnahme des "Stabshauptamtes" zu dem alarmierenden Brief aus der
Untersteiermark. Da aber Greifelt von Lampeters Bericht nichts wußte, glaubte er
sich von diesem überspielt und unterschob ihm außerdem die Absicht, seine
Dienststelle im Bereich Gottschee auszuschalten. Hintze erhielt augenblicklich
den Befehl, Lampeter zur Verantwortung zu ziehen. Der Gottscheer
"Mannschaftsführer" hatte an Himmler unter anderem folgendes geschrieben:
Erstens: Er habe wochenlang versucht, gegen das Versagen der Betreuung im
Umsiedlungsgebiet zu wirken und bemängelte die unhygienische Unterbringung von
werdenden und stillenden Müttern in Massenquartieren.
Zweitens: Der Abtransport der
Umsiedler von den Bahnhöfen zu ihren Winterquartieren sei mangelhaft
organisiert. So habe zum Beispiel Umsiedlergut wochenlang entlang der Straße im
Schnee gelegen.
Drittens: Die Zwischenbewirtschaftung von landwirtschaftlichen Anwesen mit
slowenischen Knechten durch die DAG habe das Anwachsen der Viehdiebstähle
begünstigt.
Viertens: Die im Umsiedlungsgebiet eingesetzten slowenischen Hilfsgendarmen
seien noch nicht gegen deutsche Beamte ausgetauscht worden. (In diesem Punkt gab
Hintze Lampeter recht und bemängelte seinerseits die Versäumnisse der
zuständigen steirischen Behörden.)
Fünftens: Phrophezeihungen der ärgsten Hetzer der Gegenpropaganda seien durch
die Wirklichkeit übertroffen worden. (Vergl. Frensing, Seite 133.)
Sechstens: Es habe sich ein großer Mangel an Quartieren gezeigt.
Der SS-Oberführer Hintze berief für den 16. Januar 1942 eine Besprechung aller
beteiligten Dienststellen einschließlich der Gottscheer Volksgruppenführung nach
Marburg an der Drau ein. Er wies die Anschuldigungen Lampeters gegen den
Ansiedlungsstab pauschal zurück, wiewohl er kleinere Zugeständnisse einräumte.
Aber darum ging es eigentlich gar nicht mehr. Den Gottscheern, namentlich
Lampeter, sollte vor Augen geführt werden, daß der Nationalsozialist, in welcher
Lage immer, zu gehorchen habe. Außerdem verhärtet sich hier der Eindruck, daß
Greifelt und Hintze die Gelegenheit gerne benutzten, um den renitenten
Sturmbannführer aus Gottschee aus dem Sattel zu werfen. - Hintze warf Lampeter
insbesondere sein Verhalten in der Versammlung vom 3. Januar 1942 vor und
bezichtigte ihn, er habe bewußt Öl ins Feuer gegossen, anstatt seine Landsleute
zur Umsiedlung zu bewegen. Er habe die Verhältnisse in der Untersteiermark
völlig unzutreffend dargestellt. Der Angegriffene verteidigte sich mit dem
Hinweis, er habe die unbestreitbaren Tatbestände aufzeigen wollen, um die
Hintergründe der Beschwerden der Umsiedler ins rechte Licht zu rücken. Für
Hintze war das lediglich eine schlechte Ausrede.
Doch nicht nur von oben, auch von unten her wurde Willi Lampeter um eine bittere
Erfahrung bereichert, von den eigenen Leuten. Er hatte am 11. Januar 1942 seine
Unterführer bei einem "Appell" in Rann aufgefordert, sich wieder enger um die
frühere Volksgruppenführung, sollte wohl heißen, um ihn, zu scharen und hatte
ihnen seine nächsten Pläne erläutert. Er ließ keine Zweifel aufkommen, daß er
dabei durchaus selbständig vorzugehen gedachte. Nun mußte er in der eben
laufenden Sitzung, die mehr einer Vernehmung als einer Besprechung glich, aus
dem Munde Hintzes erfahren, daß ihm über den Ranner "Appell" genaue Unterlagen
zur Verfügung stünden. Der "Mannschaftsführer" mußte also zur Kenntnis nehmen,
daß auf seine daheim erprobte Gefolgschaft kein Verlaß mehr war. Und in seiner
Enttäuschung stolperte er unbedacht über den Fallstrick, den ihm der
routiniertere Hintze mit den Worten legte:
"Zu den Sturmführern haben Sie u. a. gesagt .. . über den Kopf des Gauleiters
hinweg und durch Übergehen der übergeordneten Dienststellen wollten Sie in
Berlin Ihre Belange vertreten."
Lampeter darauf: "Vorläufig war es so, daß ich keine vorgesetzte Dienststelle
habe."
Über die Folgerungen, die aus
dem Verhalten Lampeters zu ziehen waren, berichtete der SS-Oberführer Hintze am
19. Januar 1942 an Greifelt: "Aus dem Ergebnis meiner eingehenden Besprechungen
mit Lampeter habe ich den Eindruck gewonnen, daß er für die ihm übertragenen
Aufgaben wie für die Ernennung zum SS-Sturmbannführer zu jung und unerfahren ist
und daß es ihm auch an der für ein solches Amt erforderlichen Einsicht und
Selbstdisziplin fehlt. Ich habe ihm daher eröffnet, daß ich nun selbst die
Führung der Gottscheer Wehrmannschaft übernehme und ihn bitten müsse, sich im
Ansiedlungsgebiet jeder Tätigkeit zu enthalten und daß ich diese Maßnahme auch
auf seinen Stabsführer Lackner ausdehnen müsse." Abschließend schlug der
Berichterstatter dem "Stabshauptamt" vor, Lampeter unverzüglich in das Alt-Reich
abzuberufen. Ein weitergehendes Dienstverfahren gegen ihn schloß er nicht aus.
Der gemaßregelte Willi Lampeter aus Mitterdorf bei Gottschee war nun ein
schlichter Umsiedler mit Ausweis und Transportnummer, ins Altreich abgeschoben.
In den Augen seiner prestigesüchtigen SS-Oberen hatte er sich als unfähig und
zuwenig nationalsozialistisch erwiesen. Ein Held? Eine tragische Figur? Eher das
Letztere. Seine Schuld: Er war so naiv und vermessen, anzunehmen, er könne, mit
den 600 Jahren Gottscheer Geschichte im Rücken, im Einsatz für das Schicksal
seiner Landsleute direkt an die Großen des Dritten Reiches herantreten. Er hatte
mit seinem Vorgehen nicht nur deren Überempfindlichkeit verletzt, sondern auch
gegen das Lebensgesetz der Gottscheer verstoßen: die Enge des Raumes und die
Ohnmacht der geringen Zahl.
Was nun die sachliche Richtigkeit der von Willi Lampeter vorgetragenen
Beschwerden angeht, so wurden diese von mehreren glaubwürdigen Beobachtern
nachträglich nicht nur bestätigt, sondern einschlägig ergänzt. So erhielt der
inzwischen beförderte SS-Brigadeführer Hintze am 17. Februar 1942 vom Chef des
SD-Abschnittes Untersteiermark, SS-Standartenführer Lurkner, einen Bericht mit
zum Teil haarsträubenden Einzelheiten. Im Juni 1942 faßte der Leiter der
Kulturkommission beim DUB in Laibach, Professor Dr. Hans Schwalm, seine
Eindrücke im Ansiedlungs-gebiet der Gottscheer wie folgt zusammen: "Es ist
erschütternd zu beobachten, welche Mißstimmung sich unter den Gottscheern
breitgemacht hat. Als Ursachen für diesen katastrophalen Zustand sind
anzusprechen: Die schlechte Organisation bei der Ankunft der Gottscheer im
Ranner Ansiedlungsgebiet, der wirklich trostlose Zustand der Häuser im
Ansiedlungsgebiet, das Fehlen einer selbstverantwortlichen Tätigkeit ... das
Mitansehenmüssen der zum Teil schon verbrecherischen Mißwirtschaft einzelner
Funktionäre der DAG ... das Fehlen einer eigenen politischen Führung und
mannschaftlichen Lenkung, ein Mangel, der nicht durch den Aufbau einer
entsprechenden Organisation des "Steirischen Heimatbundes" ersetzt werden
konnte". (Nach Frensing, Seite 149/50). Auch von Gottscheern liegen Berichte
vor. Lassen wir zuerst den früheren Altlager Pfarrer Alois Krisch zu Worte
kommen. Er beklagt sich nicht direkt darüber, daß er nun sein Seelenhirtenamt
nicht mehr inmitten des ihm ans Herz gewachsenen Volkes ausüben konnte, doch
liest man zwischen den Zeilen seines Berichtes, wie sehr er die Zersplitterung
der in Jahrhunderten zusammengewachsenen Familien seiner Pfarre bedauerte. Er
schreibt auf Seite 20 der "Dokumentation des Bundesministers für Vertriebene und
Flüchtlinge", Band Nr. V:
"In den Ortschaften
angekommen, wurden die einzelnen Familien in Häuser, gute und schlechte, auch in
ganz erbärmliche Keuschen (kleine Wohnhäuser von Taglöhnern), alles sogenannte
provisorische Winterwohnungen, eingewiesen Da gab es nun vielzuviel
Enttäuschungen, viel Leid und Tränen, viel Zorn und schimpfen, und das sehr oft
mit gutem Recht und gutem Grund, aber auch nicht selten ohne Ursache. Zum
(wenigstens teilweisen) Verständnis alles dessen möge folgendes dienen:
... Als wir in Rann angekommen sind, bevor wir noch aus dem Zuge ausstiegen, kam
einer von den Unsrigen, der zwei Tage vorher mit den Langentonern hergekommen
war, und erzählte weinend, wie schlecht es hier sei, wie schlimm er drangekommen
sei, was für eine Keusche er bekommen habe usw. Ich nahm mich fest zusammen, um
nicht auf ihn zu schimpfen, denn ich ärgerte mich sehr über ihn, da ich wußte,
daß dieser Mann gar nichts hatte, gar nichts. Er wohnte in einer fremden
Keusche. Da war es also gar nicht möglich, daß er es schlechter bekommen hatte
als daheim, wo er doch nichts hatte. Der hatte wahrhaftig keinen Grund, so zu
reden - besser als nichts ist alles -; darüber braucht ein junger Mann nicht zu
weinen! Darauf machte ich die Leute aufmerksam, als er wieder draußen war, und
sie waren beruhigt, sie kannten seine Verhältnisse von daheim. ...
Viel Schuld an der Unzufriedenheit hatte die im vergangenen Sommer so
unvernünftig übertriebene Propaganda von großartigen Höfen und Stallungen (in
Wirklichkeit war der allgemeine Stand der Häuser und Ställe weit unter dem von
uns daheim; im allgemeinen waren die Wohnungen im Gottscheerlande viel besser
und geräumiger), wie die Umsiedlung bequem von Hof zu Hof gehen werde; es hieß:
Ihr verlaßt hier Euren Hof, und dort fahrt Ihr von der Bahn mit dem Auto in
Euren neuen, eingerichteten Hof usw. - und nun finden sie so viele
Elendskeuschen! Gar mancher gute Bauer von daheim mußte mit einer armseligen
Keusche vorlieb nehmen und mit der ganzen Familie, mit 4,5 bis 6 Kindern in
einem einzigen, oft auch noch feuchten Zimmer hausen! Es ist unbegreiflich, wie
die Propaganda solche Gegensätze zur Wirklichkeit vorbringen konnte.
Diese Wirkung wurde noch gesteigert dadurch, daß die Leute sahen, es waren sehr
wenig gute Häuser und Bauernhöfe vorhanden. Sie wußten daher, es könne doch nur
ein kleiner Teil unseres Volkes ordentlich beteilt werden - im Sinne der
Propaganda überhaupt nicht. Deswegen half das Vertrösten, im Frühjahr werde
alles in Ordnung gebracht, nicht viel, auch nicht die Versprechungen von
Neubauten.
Noch unvernünftiger als diese Propaganda waren die unglaublichen Erwartungen
mancher Leute. Das will ich nicht genauer beschreiben, will nur anführen, daß
ich einige Monate vor der Umsiedlung solchen, die so phantasierten, einmal
sagte. Wenn Sie glauben, daß dort, wo Sie hinkommen, ein gut eingerichtetes
Haus, alles auf den Glanz geputzt, Speisezimmer, Extrazimmer und Wohnzimmer
alles warm geheizt, ein Stall voller Vieh wartet, und vielleicht auch noch das
festlich gekleidete Dienstpersonal Sie vor dem Hause freudig begrüßen werde, daß
Sie nun endlich einmal gekommen sind, und Sie dann ins Speisezimmer führt, Sie
sollen sich setzen, und dann gleich Braten und Pobolitzen (eine Art
Rosinenstrudel) auftragen werde - dann werden Sie furchtbare Enttäuschungen
erleben, da kann Ihnen niemand helfen.
Einige von den Unzufriedenen übersiedelten mehrmals, zogen bald daher, bald
dorthin, waren aber nirgends zufrieden. Auch gab es solche, die nur jammerten,
weil sie von anderen angesteckt waren; es sah aus wie eine ansteckende
Krankheit, anders war es bei einigen nicht zu erklären.
Das ganze erklärte ich einmal beim Landrat gelegentlich eines diesbezüglichen
Gesprächs mit einem Vergleich, indem ich sagte: Versuchen Sie einmal einen
Obstgarten mit älteren Bäumen auch nur einige Meter weit zu übertragen. Es wird
nicht gut tun. Unsere Gottscheer waren aber auch fest verwurzelte Bäume und zwar
seit Jahrhunderten. Er gab mir recht.
... Trotz dieser angeführten Dinge muß aber gesagt werden, daß viel Zorn, viel
Schimpfen, viel Jammer, viel Leid und sehr viel Tränen nur allzu berechtigt
waren.
Viele Familien, auch solche mit vielen Kindern, die daheim ein schönes und
geräumiges Haus hatten, waren in wahren Elendswohnungen untergebracht; das nicht
nur einige Wochen und Monate, sie hausten auch den zweiten, manche auch den
dritten und vierten Winter noch darinnen. Sie mußten aushalten, obwohl sie sich
viel Mühe gaben und viele Wege machten, um eine Änderung zu erreichen.
Bei diesen Einweisungen kamen viele Ungerechtigkeiten vor. Einigen Leuten, die
daheim große und sehr gut bewirtschaftete Bauernhöfe gehabt haben, wurde
entsprechend gegeben; anderen ebenso guten Bauern und Besitzern wurden aber
Sachen angeboten, die kaum den vierten Teil des ihrigen in der Heimat
erreichten. Viele von diesen nahmen natürlich nicht an. Anderen wurden Angebote
gemacht, die ihren Besitz in der Heimat um das Zehnfache und mehr überstiegen.
Manche nahmen an, andere weigerten sich mit Recht, Verpflichtungen einzugehen,
für die sie Jahrzehnte lang zahlen müßten (es wurde dreißigjährige Abzahlung
angeboten) ...
Viele unserer Leute wurden weit weg angesiedelt, bei Marburg, Pettau und
anderswo, so daß sie ganz getrennt von unserem Volke 100 und mehr km entfernt
waren. Auch wurden durch ungerechte Angebote absichtlich sogenannte
"O-Fälle" geschaffen. Man bot den Siedlern solche Sachen an, die sie
selbstverständlich nicht annehmen konnten. Das zweite und dritte Angebot war
nicht besser. Da sie auch nicht annahmen, hieß es: es seien Leute, die trotz
mehrerer Angebote nicht zufrieden sein wollen, und daher nach Osten (O-Fälle),
nämlich nach Polen, geschickt werden sollen. Ich kenne einen Fall, in dem ein
junger Gottscheer Bauer, dem dies angedroht wurde, sagte: Herr St;, bieten Sie
mir einmal etwas an, was auch nur die Hälfte oder wenigstens ein Drittel dessen
wäre, was ich daheim hatte, und ich werde annehmen!
... Außer den O-Fällen gab es auch "A-Fälle". Diese wurden schon daheim bei der
sogenannten Durchschleusung als solche bezeichnet, sie bekamen in ihren
Umsiedlerausweis" ein A hinein. Es waren jene, die man als nicht vollwertig
(scheinbar nach dem Rassen-Gesetz) betrachtete. Sie sollen von den anderen
Gottscheern getrennt werden und ins Altreich (daher A-Falle) kommen. Sie,
nämlich die ganze Familie, wurden dann auch hinausgebracht und dort wieder
getrennt von allen anderen in verschiedene Fabriken als Arbeiter gesteckt,
obwohl sie daheim Bauern waren und Besitz hatten.
Alte und arbeitsunfähige Leute wurden fürsorglich in ein Versorgungsheim
gebracht Von mehreren wissen wir, daß sie nach Passau kamen. Von einigen auch,
daß sie dort bald gestorben sind. Von den anderen? War es wirklich Fürsorge oder
-?"
Der Zusammenhang und Zusammenhalt, welche die typische Ausprägung des Gottscheer
Volkstums überhaupt erst ermöglicht hatten, wurden bereits in der
Untersteiermark planlos zerstört. Neues Gottscheer Volkstum konnte auf diesem
zerfahrenen Boden nicht mehr entstehen. Vom "Stabshauptamt" war an sich
vorgesehen gewesen, noch vor dem Auszug aus dem Gottscheerland eine
querschnittartige Bestandsaufnahme des vorhandenen Volkstumsgutes festzuhalten.
Doch die beim DUB in Laibach vorgesehen Kulturkommission kam nicht zum Zuge. Die
Italiener verhinderten ihre Einreise in die Provinz Laibach absichtlich durch
Verzögerung der Visa-Erteilung so lange, bis die klimatischen Schwierigkeiten
die Aufnahme der Forschungstätigkeit unmöglich machten. Einem glücklichen Zufall
ist es zu danken, daß der Wiener Brauchtumsforscher, Universitätsprofessor Dr.
Richard Wolfram, noch vor dem Jugoslawien-Feldzug in der älteren Generation der
Gottscheer den Brauchtumsbestand im Jahresablauf abfragen konnte. In fünf
Beiträgen im "Jahrbuch für Ostdeutsche Volkskunde" und in mehreren Vorträgen
steckte Prof. Wolfram das etwas vernachlässigt gewesene Sachgebiet "Brauchtum
der Gottscheer" neu ab - wohl wissend, daß es in der Wärme familiärer
Überlieferung gewachsen, doch in der eisigen Luft der Neuansiedlung seiner
Träger zum Verwelken verurteilt war.
Das Heimweh ging unter den Gottscheer Bauern um. Daheim standen die Höfe leer.
Standen sie noch? Niemand war auf den Gedanken gekommen, wenigstens die größeren
Dörfer mit den guten Böden den hier ausgesiedelten Slowenen anzubieten. Ihre
Ansiedlung freilich hätte der "Hohe Kommissar" in Laibach mit allen Mitteln zu
verhindern versucht. Nun waren sie heimatlos, die einen, wie die anderen,
Gefangene ihres Schicksals. Die wenigsten Gottscheer betrachteten die Erde, die
sie nun bebauten als ihr eigentliches und endgültiges Eigentum. "Nach dem Krieg
sieht alles wieder anders und besser aus", so schloß kaum noch ein Gespräch von
Gottscheern untereinander. Sie lebten nicht besser und nicht schlechter als
alle, und wie es die Kriegszeit erlaubte. Nur die Sicherheit verschlechterte
sich von Jahr zu Jahr, denn dort, wo die Gottscheer als "Wehr- und Grenzbauern"
angesetzt worden waren, bestand für die Partisanen keine Reichsgrenze. Für sie
war dort Slowenien. Sie betrachteten die Umsiedler aus "Kocevje" als Freiwild.
Mit Kommandos bis zu zwanzig Mann überfielen sie, manchmal geradezu
generalstabsmäßig vorbereitet, ihre Siedlungen beschlagnahmten, raubten,
plünderten und mordeten. Ein krasses Beispiel dafür schildert Herbert Otterstädt
auf Seite 20 seines Bildbandes: "Ein Partisanentrupp überfiel einen jungen
Gottscheer Lehrer namens Franz Hönigmann am hellichten Tage und zwang ihn, vor
den Augen seiner Schüler, ein Grab zu schaufeln, dann erschlugen sie ihn und
warfen ihn in die Grube." - Von den entführten Gottscheern hat man nie wieder
etwas gehört.
Über das Leben der Gottscheer in der Untersteiermark nach Abschluß der
"Ansiedlung hegen nur wenige Einzelberichte vor. Wenig war auch zu erfahren über
das Schicksal der Optionsverweigerer nach dem Abzug der Zwölftausend. Ihre
genaue Zahl ist unbekannt geblieben. Es mögen 400 bis 500 gewesen sein. Das von
den Gottscheern verlassene Siedlungsgebiet war praktisch militärisches
Niemandsland. Noch im Winter 1941/42 setzten sich die Partisanen in den zuerst
geräumten Randdörfern fest, verheizten die Obstbäume, Ställe und Scheunen. Von
diesen abgelegenen Stützpunkten aus überfielen sie immer öfter die größeren
Dörfer in den Haupttälern wo sich die italienische Besatzungstruppe
hauptsächlich aufhielt. In diesem, fast wie ein Dschungelkrieg geführten Kampf
brannten sich die Gegner die Stützpunkte nieder. Ob die Italiener oder die
Partisanen mehr Gottscheer Dörfer dem Erdboden gleichgemacht haben, wird niemand
ergründen. Bis auf wenige, ganz oder teilweise erhaltene Dörfer gingen fast alle
Siedlungen in Flammen auf. Wir wundern uns nicht, daß die alten
Besiedlungsmittelpunkte noch am besten die chaotische Zeit überstanden haben.
Pfarrer Josef Eppich in Mitterdorf, der aus seiner ablehnenden Einstellung zur
Umsiedlung die letzte Konsequenz gezogen hatte und geblieben war, wurde im Juni
1942 angeblich von einer verirrten Kugel während eines Gefechts zwischen
Italienern und Partisanen tödlich getroffen. Der geistliche Herr hatte sich
gerade im Freien aufgehalten. Vermutlich!
Die Geistlichen Josef Kraker,
Rieg, und Josef Gliebe, Göttenitz, waren ebenfalls nicht umgesiedelt. Kraker, in
Rieg seines Bleibens nicht mehr sicher, gelang es, sich nach Laibach und bis
Veldes durchzuschlagen, wo ihm dann der Rieger Ferdl Wittine Hilfe bot. Durch
seine Vermittlung erhielt Pfarrer Kraker eine Pfarre in der Nähe von Veldes, wo
er als von den Slowenen geachteter Priester im Jahre 1949 starb. Dieser so
volksbewußte Gottscheer konnte nicht mehr zu seinen in alle Welt verstreuten
Landsleuten finden und mußte seine Predigten in einer fremden Sprache halten.
Gliebe blieb zunächst in Göttenitz, wurde mehrfach ausgeraubt, bis 1949 der
Befehl kam, die ganze Ortschaft zu räumen. - Auch die unmittelbar nach dem Krieg
nach Göttenitz gekommenen Laserbacher verließen das Dorf wieder. Josef Gliebe
blieb in Niederdorf, wo er auch die ewige Ruhe fand. Die älteste Monstranz des
Gottscheerlandes, um die sich eine Sage rankt, wurde durch ihn bzw. seine Nichte
gerettet.
Das Gebiet um Göttenitz ist - "verbotene Zone".
Bei hinhaltender Kampftätigkeit zog sich die italienische Besatzungstruppe
schließlich auf die Stadt und das nördliche Oberland zurück. Durch Einschlagen
breiter Schneisen in die Bergwälder glaubte sie, die Partisanen besser
überwachen zu können. Dies erwies sich als Irrtum. Die slowenischen
Untergrundkämpfer machten dem faschistischen Militär das Leben auch in den neuen
Stellungen durch kleinkalibriges Artilleriefeuer schwer. Beschädigungen erlitt
vor allem das Auerspergische Schloß in der Stadt, Sitz der
Bezirkshauptmannschaft und anderer Behörden. Vor allem wurde es während des
Schlußkampfes um die Stadt schwer in Mitleidenschaft gezogen.
"Der Wiederaufbau würde sich nicht lohnen", hieß es in den führenden
Partisanenkreisen. Aber darum ging es ja nicht, vielmehr lag ihnen daran, dieses
Mahnmal an die sechshundertjährige Anwensenheit der Gottscheer in Unterkrain zu
beseitigen. Da, wo einst das Schloß gestanden hatte, wurde ein modernes Kaufhaus
und ein Partisanendenkmal errichtet.
Nach der Landung der Alliierten in Süditalien und dem darauf folgenden
Zusammenbruch des Mussolini-Staates wurde die Provinz Laibach deutsches
Okkupationsgebiet. Der DUB in Laibach, Dr. Wollert, berichtet auf Seite 8 des V.
Bandes der Dokumentation des Vertriebenen-Ministeriums in Bonn über die dadurch
entstandene, neue Situation:
"... Außerdem verließen die Italiener Ende 1943/Anfang 1944 das slowenische
Gebiet. Das Gebiet wurde Okkupationsgebiet und den deutschen Militärbehörden
unterstellt. Demzufolge wurde der deutsche Umsiedlungsbevollmächtigte im
Einvernehmen mit der Emona (Gesellschaft zur Vermögensabwicklung) und unter
Bestätigung durch die deutschen Militärbehörden wieder zum Verwalter des
Vermögens, und zwar dieses Mal treuhänderisch eingesetzt. Da eine Verwaltung der
ländlichen Gebiete im Bereich der Gottschee nicht mehr möglich war, erstreckte
sich die Verwaltungstätigkeit des deutschen Umsiedlungsbevollmächtigten nach
dieser Zeit im wesentlichen noch auf die Bereinigung von Schulden und
Forderungen, die die Umsiedler hinterlassen hatten. Hierauf legten die örtlichen
Stellen begreiflicherweise Wert.
Der deutsche Umsiedlungsbevollmächtigte liquidierte etwa im Februar 1945 seine
Dienststelle, indem er die slowenischen Angestellten in aller Ordnung entließ,
die Akten nach Veldes/Wörthersee verbrachte und für das in Laibach verbleibende
Vermögen, insbesondere Bargeld und Bankguthaben, einen örtlichen Treuhänder in
der Person eines dortigen Rechtsanwaltes einsetzte, der den Auftrag erhielt,
diese Werte der Stelle zu übergeben, die sich hierfür als rechtmäßig auswies.
Diese Maßnahme war damals notwendig, weil die Stadt Laibach unmittelbar vor der
Besetzung durch die Partisanen stand."
1944: Die Kette der Frontabschnitte zieht sich immer enger um das deutsche Reich
zusammen. Der Gottscheer Bauer pflügt zum drittenmal den Boden, der ihm vor
seinem Gewissen nicht gehört. Die im "neuen Ansiedlungsgebiet" zurückgebliebenen
Slowenen tragen ihre Köpfe höher, schauen mit triumphierendem Lächeln an den
Gottscheern vorbei oder durch sie hindurch. Manche Umsiedler aus dem "Ländchen"
glauben jedoch immer noch an den Sieg, weil sie sich davor fürchten, die Folgen
einer Niederlage des Reiches zu Ende zu denken. Kaum einer verschließt sich
allerdings der Frage ob es denn keinen anderen Weg gab, als umzusiedeln. Diese
Frage verfolgt sie überall hin, bis in die Kirche, wenn sie zu beten versuchten.
Erinnerung und Hoffnung, die noch im ersten Jahr nach der Umsiedlung die
Gespräche verklärt hatten verlieren den Glanz. Der Inhalt wandelt sich. Die
Gedanken verlassen die Landschaft, zu der kein Heimatgefühl aufkommt. Die
einfachste Lösung wäre, so drängt den in die Enge getriebenen Gottscheer das
Gesetz des Wanderns in ihm, nach dem Krieg die Heimkehr nicht erst zu versuchen,
sondern irgendwo in der Welt einen Platz zu finden, am liebsten in Amerika, bei
den eigenen Leuten. Endlich zur Ruhe kommen. Nicht noch einmal in der Gefahr
leben. Nicht immer nur den Stärkeren gehorchen!
1945: Die Gottscheer Bauern bestellen die Felder zum vierten und letzten Mal.
Die Arbeit im Freien ist lebensgefährlich geworden. Tagsüber nehmen Tiefflieger
alles was sich bewegt, unter Bordwaffenfeuer. Nachts kommen die Partisanen. Das
Reich ist fast vollständig von den Alliierten besetzt. Der Endkampf um Berlin
hat begon-nen. Hitler operiert mit Divisionen, die nicht mehr bestehen. Tito
aber kontrolliert mit seinen Partisanen, sichtbar und unsichtbar, das gesamte
jugoslawische Staatsgebiet.
Es gibt keine Hoffnung mehr. Die Gottscheer und ihre Schicksalsgenossen aus
Sudtirol und Bessarabien, die man ebenfalls im Ranner Dreieck anzusiedeln
versucht hatte, sind hilflos, schutzlos und bewegungslos. Niemand darf ohne
Bewilligung der NSDAP-Kreisleitung Arbeitsplatz und Wohnsitz verlassen. Die
Kreisleitung aber tauscht vor, es sei noch Zeit. Die Gauleitung in Graz würde
rechtzeitig die nötigen Befehle erteilen. Andererseits war bereits im Februar
angeordnet worden, Pferde und Ochsen zu beschlagen und das Fuhrwerk
bereitzumachen. Graz aber schwieg. Endlich aber erst zwischen dem 5. und 7. Mai
1945, wurden einige hundert Frauen und Kinder per Bahn nach Österreich in
Sicherheit gebracht.
Und auf den Tag genau mit der Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai
1945, traf der Befehl des Gauleiters der NSDAP zum Abmarsch ein.
Nun rette dich, Gottscheer!
In höchster Eile sammelten sich die zu Flüchtlingen gewordenen "Umsiedler" in
Gurkfeld und Rann. Umständlich wurden Trecks zusammengestellt, schwerfällig
setzten sie sich nach Norden in Bewegung. Kaum hatten sie die Sammelplätze
verlassen tauchten die ersten Partisanen auf. "Partisanen"? Tatsächlich waren es
Halbwüchsige, die mit umgehängten Maschinenpistolen und durch Ausplünderung der
Wehrlosen ihre Männlichkeit erproben und unter Beweis stellen wollten.
Otterstädt berichtet über diese Begleitumstände der Flucht auf Seite 52 seines
Bildbandes:
"In Lichtenwald, dem von Flüchtenden erfüllten, durch englische Luftangriffe
angeschlagenen, an sich bedeutungslosen Orte, verbrachten sie, in Häusern,
Ruinen und im Freien lagernd, die erste Nacht. Die Partisanen hielten sich zur
Bewachtung am Ortsrande auf. Da flog mitten in der Nacht aus unbekannten Gründen
ein im Bahnhof zurückgelassener deutscher Munitionszug in die Luft und
verursachte ein Chaos unter den Flüchtenden. Die ersten Verwundeten mußten
mitgenommen werden. Am Morgen ging es aus dem brennenden Lichtenwald unter
Eskortierung durch vielfach bewaffnete Halbwüchsige in Richtung Steinbrück
hinaus. Unterwegs sorgten wiederholte ,Gepäckskontrollen' dafür, daß die
Gottscheer zuerst ihre Fahrzeuge, dann ihre Bündel, schließlich ihre Handtaschen
und bis sie ins Lager Sterntal eingeliefert wurden, auch ihr Geld, Schmuck,
Fingerringe und Ausweispapiere los wurden. Nach Tagen des Mordens, grausamen
Quälens, Ausplünderns und unmenschlichen Sadismus trafen die
Überlebenden über Tüffer, Cilli wieder zurück nach Tüffer und wieder Cilli im
berüchtigten Todeslager Sterntal bei Pettau ein."
Dieses Lager Sterntal bei Pettau, in dem ein wesentlicher Teil der flüchtenden
Gottscheer zusammengepfercht wurde, war eine Hölle. Die sanitären Verhältnisse
auf dem Gelände der früheren Munitionsfabrik waren für die Abertausenden völlig
unzureichend und spotteten jeder Beschreibung. Reihenweise starben die Insassen
an Seuchen, Hunger, Mißhandlungen und Mord. Kein Gottscheer Kind unter zwei
Jahren überlebte. Die jüngeren Frauen und Mädchen waren Freiwild für die
Wachmannschaften. Erst durch das Eingreifen des Roten Kreuzes fand die Qual ein
Ende.
Aus persönlichen Erlebnisberichten geht hervor, daß es außerhalb der Trecks
einer größeren, statistisch nicht erfaßbaren Zahl von flüchtenden Gottscheern
gelang, an unübersichtlichen Grenzabschnitten nach Österreich durchzukommen -
auch sie Überlebende der Tragödie ihres kleinen Stammes. Sie waren, als sie
österreichischen Boden betraten, nicht zuerst Gottscheer oder die Nachkommen von
Alt-Österreichern oder Flüchtlinge vor brutaler Gewalt oder "Um-Siedler",
sondern, wie ungezählte Opfer dieses Krieges, bettelarme Menschen, glücklich,
noch zu leben ... Heimkehr? Doch! Allerdings in einem anderen Sinne, als er in
der Dokumentation "Der Menscheneinsatz" des "Stabshauptamtes" zu lesen stand.
Das war nun eine Heimkehr in die Menschlichkeit. Hier empfingen sie
Hilfsbereitschaft, Verständnis für ihre Lage und Vertrauen. Gewiß mußten auch
sie mit Lagern vorlieb nehmen, allein, welch ein Unterschied zu Sterntal! Gleich
ihren Schicksalsgenossen aus anderen "Vorposten"-Gebieten wurden auch die
Gottscheer hauptsächlich in den Lagern Kapfenberg und Wagna bei Leibnitz in der
Steiermark untergebracht. In Kärnten wurden sie im Lager Feffernitz bei
Feistritz/Drau in der Nähe von Spittal an der Drau aufgenommen. Hier kamen sie
nach der zermürbenden Irrfahrt aus der Untersteiermark zur Ruhe, fanden sie
wieder zu sich selbst. Für viele von ihnen sollte das Lager allerdings zehn
Jahre und mehr Ersatzheimat sein. Das Leben ging weiter, auf Schmalspur. Ehen
wurden geschlossen, Kinder geboren, der Tod hielt seine Ernte.
War es den Gottscheer Lagerinsassen in Feffernitz bei Spittal an der Drau bewußt,
daß das Schicksal sie in die unmittelbare Nähe der Ortenburger-Stadt gelenkt
hatte? Sie empfanden kaum das Symbolhafte ihrer Lage. Nach Feffernitz hatte die
Flucht auch jene Frau geführt, die in den dreißiger Jahren in der Anwaltskanzlei
Dr. Arkos das Hausierwesen organisierte, Frau Paula Suchadobnik aus der Stadt.
Auch hier betreute sie Menschen. Sie schrieb Briefe für die Alten, füllte
Fragebogen für sie aus, beriet und half, wo sie konnte. Den Jungen aber erteilte
sie englischen Sprachunterricht. Warum gerade englisch? Weil das Lager zufällig
in der englischen Besatzungszone lag? Vielleicht taten dies junge Kärntner, doch
wenn ein Gottscheer beginnt, englisch zu lernen, dann denkt er zuerst an
Amerika.
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